Induktive Ladestationen für Geräte der Konsumelektronik (Technik)
H. Lamarr , München, Donnerstag, 22.02.2018, 12:43 (vor 2453 Tagen)
Das drahtlose Laden der Akkus von Smartphones ist technisch gelöst, die Technik befindet sich in der Phase der breiten Markteinführung. Doch die unscheinbaren induktiven Ladestationen können in ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich starke magnetische Wechselfelder deutlich oberhalb zulässiger Grenzwerte erzeugen. Dennoch müssen Anwender der Technik keine gesundheitlich nachteiligen Folgen fürchten. mehr ...
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Tags:
Smartphone, Akku, Ladestation
Induktive Ladestationen: Grenzwertparadoxon
H. Lamarr , München, Donnerstag, 22.02.2018, 20:32 (vor 2452 Tagen) @ H. Lamarr
Doch die unscheinbaren induktiven Ladestationen können in ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich starke magnetische Wechselfelder deutlich oberhalb zulässiger Grenzwerte erzeugen. Dennoch müssen Anwender der Technik keine gesundheitlich nachteiligen Folgen fürchten.
Der Beitrag ist für technische Laien wie den Gigaherz-Präsidenten gedacht, die mit irgendwelchen Messgeräten in unmittelbarer Nähe von W-Lan-Routern, Smartphones oder DECT-Apparaten herumfuchteln und ihren verstörten Anhängern dann Messwerte von z.B. 76 V/m präsentieren, also Werte deutlich über den zulässigen Grenzwerten. Bei induktiven Ladegeräten könnten diese selbsternannten Experten mit noch viel dramatischeren Grenzwertüberschreitungen die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen, hätten sie Zugriff auf die dazu erforderliche Messtechnik. Doch Messwerte nehmen und Messwerte richtig interpretieren sind zwei Paar Schuhe. Wer nur Zahlenwerte von numerischen Displays ablesen kann sollte besser die Finger von der Messung elektrotechnischer Größen lassen.
Wie dem im Beitrag verlinkten Forschungsbericht zu entnehmen ist, lassen sich an der Oberfläche induktiver Ladestationen des Qi-Standards magnetische Flussdichten von bis zu 1 mT (Peak) oder 200 µT (RMS) messen. Zulässig aber sind nur Werte von (je nach Frequenz) maximal 3,35 µT bis 6,25 μT. Wie kann es da sein, dass induktive Ladestationen im freien Handel überall zu erwerben sind? Die zulässigen Grenzwerte werden um Faktor 60 bis 300 überschritten!
Des Rätsels Lösung: Überschritten werden nur die abgeleiteten Grenzwerte (Referenzwerte). Die Gültigkeit dieser Grenzwerte setzt jedoch homogene Feldverhältnisse voraus wie sie nur im Fernfeld herrschen. Wo genau das Fernfeld beginnt ist in der Literatur nicht einheitlich definiert, üblicherweise werden als Grenze vier Wellenlängen Distanz zur Emissionsquelle angesehen, jüngerer Forschung zufolge soll das Fernfeld jedoch näherungsweise (geringer Fehler) schon nach nur 1 Wellenlänge herrschen. Bei den induktiven Ladestationen ist diese Differenzierung freilich hinfällig, denn wegen der niedrigen Frequenz der magnetischen Wechselfelder von ungefähr 150 kHz ist die Wellenlänge so groß, dass Messungen ohnehin stets im Nahfeld (weit unter 1 Wellenlänge) stattfinden. Dort aber herrschen inhomogene Feldverhältnisse, schon geringe räumliche Verschiebungen einer Feldsonde führen zu starken Messwertschwankungen. Unter diesen Umständen versagen die abgeleiteten Grenzwerte ihren Dienst und es müssen zur Bewertung der regulatorischen Unbedenklichkeit einer Ladestation die Basisgrenzwerte herangezogen werden (SAR-Wert oder elektrische Feldstärke im Gewebe). Üblicherweise wird dann wegen der Grenzen der Messtechnik nicht mehr gemessen, sondern die Immission an komplexen Rechenmodellen simuliert. So auch im konkreten Fall des Forschungsberichts. Das Ergebnis ist verblüffend: Trotz massiver Überschreitung der abgeleiteten Grenzwerte wird der Basisgrenzwert bezüglich der absorbierten Leistung (SAR) um mindestens Faktor 1000 unterschritten! Bei der induzierten elektrischen Feldstärke im Gewebe ist der Abstand (Sicherheitsreserve) zum zulässigen Basisgrenzwert ebenfalls gegeben, jedoch mit Faktor 10 erheblich kleiner als beim SAR-Wert.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Induktive Ladestationen für Mobilgeräte und E-Fahrzeuge
H. Lamarr , München, Sonntag, 16.09.2018, 23:50 (vor 2246 Tagen) @ H. Lamarr
Mit Hilfe der berührungslosen Energieübertragung können ortsveränderliche elektrische Verbraucher kontakt- und damit kabellos aufgeladen werden. Mögliche Anwendungsbereiche dieser Technologie sind Consumergeräte (z. B. Handys, Smartphones, Tablets oder Kameras) sowie der Automobilbereich (Laden von Elektrofahrzeugen). Die kabellose Ladetechnik funktioniert nach dem Prinzip des Transformators und beruht damit auf der magnetischen Induktion: Ein in einer Sendespule (Transmitter) fließender Wechselstrom erzeugt ein sich zeitlich änderndes Magnetfeld, das in einer Empfängerspule (Receiver) eine Wechsel-spannung induziert. Meistens handelt es sich um Planarspulen, die über einen Abstand („Luftspalt“) parallel zueinander angeordnet sind. Der Wirkungsgrad dieser Art der Energieübertragung ist primär von den Spulengrößen und ihrem Abstand sowie der verwendeten Frequenz abhängig. Er ist grundsätzlich schlechter als bei klassischen Transformatoren, da der gewünschte Bedienkomfort – einfaches Aufeinanderlegen bzw. Platzieren der beiden Spulen – das Vorhandensein eines Luftspaltes im Gegensatz zum geschlossenen magnetischen Kreis des Transformators erforderlich macht. Durch diesen Luftspalt ist auch ein höheres magnetisches Streufeld vorhanden, das grundsätzlich relevant für eine Exposition sein kann. Im Folgenden seien zunächst zwei aktuell sich am Markt etablierende Anwendungen erläutert. Danach werden absehbare technologische Trends aufgezeigt, um abschließend die Konsequenzen für die Expositionsbewertung zu diskutieren.
Konsumelektronik
Für das kabellose Laden von mobilen Elektrogeräten hat das Wireless Power Consortium (WPC) eine einheitliche Spezifikation namens „Qi“ verabschiedet. Dieser offene Standard erlaubt Energieübertragungen bis zu 5 W mit einer Spulengröße von ca. 40 x 40 mm², die Erweiterung auf 35 W wird derzeit definiert. Die Übertragungsfrequenz beträgt je nach benötigter Leistung zwischen 110 kHz und 205 kHz. Die aufzuladenden Geräte werden auf einer speziellen Ladefläche (Lade-Pad) abgelegt, die die Geräte erkennt und den Ladevorgang startet. Mit Hilfe einer „Foreign Object Detection“ ist es möglich, Gegenstände aus Metallteilen auf dem Lade-Pad zu detektieren und den Ladevorgang beim Überschreiten einer programmierten Verlustschwelle abzubrechen, da sich ansonsten die Metallteile durch die induzierten Wirbelströme stark erhitzen könnten. Derzeit ist der Qi-Standard das am weitesten verbreitete System für drahtloses Laden.
Elektroautos
Für das kabellose Laden von Elektrofahrzeugen hat eine aus OEM, Zulieferern und Instituten bestehende Interessensgemeinschaft eine Anwenderregel (VDE 2011) erarbeitet, in der u. a. die technischen Parameter dieser Technologie und die Schutzziele definiert sind. Die Systemfrequenz liegt bei 140 kHz (-20 kHz, +50 kHz) und die maximale Eingangsleistung bei 3,68 kW. Bei einem angestrebten Wirkungsgrad von mehr als 90 % entspricht dies einer auf dem Fahrzeug verfügbaren Übergabeleistung von mehr als 3,3 kW. Die Sendespule ist als „stationäre Feldplatte“ primär unter dem Fahrzeug angeordnet, d. h. im Erdboden bündig zur Straßenoberfläche eingelassen oder auf dem Boden aufliegend. Die angestrebte Spulenfläche von 1000 x 1000 mm² ist im Vergleich zur „Qi“-Spezifikation sehr groß, um insbesondere die magnetische Flussdichte klein halten zu können. Gleichzeitig definiert die Anwenderregel bezüglich des Schutzes von Personen in magnetischen Feldern so genannte Schutzziele: Im „öffentlichen Bereich“ (Bereich neben, vor und hinter dem Fahrzeug) sowie im Innenraum des Fahrzeugs darf für die magnetische Flussdichte der Referenzwert der ICNIRP 1998 für die Allgemeinbevölkerung (d. h. z. B. 6,25 μT bei 140 kHz) nicht überschritten werden. Bei Überschreitung dieses Referenzwertes ist der Nachweis der Einhaltung der Basisgrenzwerte zu erbringen.
Bereits diese beiden Anwendungen sind hinsichtlich möglicher Expositionsszenarien aufgrund der derzeit fehlenden Daten noch nicht endgültig beurteilbar. Es kann jedoch grundsätzlich konstatiert werden, dass im eigentlichen Bereich der Übertragung, d. h. im Luftspalt zwischen den beiden Spulen, die Referenzfeldstärken für die Personenexposition bei der jeweiligen Betriebsfrequenz überschritten werden können. Dementsprechend ist das Streufeld des Luftspaltes um die Spulenanordnung grundsätzlich expositionsrelevant und wirft die Frage nach der Zugänglichkeit dieser Bereiche, d. h. zumindest in der Praxis konkret möglicher Teilkörperexpositionen, auf.
Streufeldproblematik
Weiterhin ist derzeit wenig bekannt zum realen Sicherheitsniveau der Gesamtsysteme. Den zugänglichen technischen Spezifikationen der Hersteller sind zwar entsprechende Detektions- und Sicherheitsmaßnahmen zu entnehmen, aber es gibt praktisch noch keine von unabhängigen Stellen in realen Versuchen ermittelten Expositionsdaten für vorstellbare „worst-case-Fälle“.
Auf der anderen Seite wird der beabsichtigte Komfortgewinn für den Verbraucher und damit der wirtschaftliche Erfolg und die Marktdurchdringung dieser Systeme als erheblich eingeschätzt, weil nicht nur auf die Kabel zum Nachladen verzichtet werden kann, sondern sich die Frage der Kompatibilität zwischen verschiedenen Steckern überhaupt nicht mehr stellt (beabsichtigtes Fernziel: Jedes Smartphone oder Tablet kann auf jede Ladematte gelegt werden, die ubiquitär wie z. B. Steckdosen vorhanden sein sollen; auf jedem Parkplatz befinden sich induktive Ladestationen für Elektroautos).
Seit einigen Jahren gibt es deshalb weitere Konsortien, die das induktive und damit kabellose Aufladen der Akkus in portabler Elektronik, insbesondere bei Handys, Smartphones und Laptops, durch entsprechende Standardisierung als Massenprodukt realisieren wollen (siehe z. B. Heise 2012). Abweichend zum o. a. Qi-Standard sollen höhere Frequenzen im Bereich um 6,78 MHz und 13,56 MHz und auch größere Luftspalte mit einigen mm Abstand genutzt werden, letzteres verstärkt die Streufeldproblematik.
Die Streufeldproblematik beim Laden von Elektroautos in der o. a. Konfiguration hat zu weiteren Entwicklungen geführt. Ein System steht kurz vor der Markteinführung und arbeitet mit einer flächenmäßig kleineren Spulenanordnung und kleinerem Luftspalt, wobei die Fahrzeugspule im Vorderbereich des Fahrzeugs verbaut wird und das Fahrzeug entsprechend nahe an eine Wand mit der passenden Senderspule herangefahren werden muss.
Die Entwicklung der induktiven Ladetechnologien wird deshalb in Bezug auf die Personenexposition kritisch zu begleiten sein.
Quelle: Elektromagnetische Felder neuer Technologien - Statusbericht der Strahlenschutzkommission (2013)
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –