HUJs Irrtümer (22): EU-Verträge – ein Trojanisches Pferd? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 22.11.2025, 19:14 (vor 6 Tagen) @ H. Lamarr

Behauptung: [...] Die Firma ERICSSON (Dänischer Antennenhersteller) hat bereits ausgerechnet, dass die Fussgänger auf den Trottoirs ca 90V/m zu erdulden hätten. Natürlich inklusive der Kleinkinder in den Kinderwagen.
Es wird nur noch wenige Wochen dauern bis die ICNIRP ihre Grenzwert-Empfehlung von 60 auf 90V/m erhöht. [...]

Quelle: Die EU-Verträge – ein Trojanisches Pferd?
Jahr: 2025

Berichtigung: Die Behauptung Jakobs ist Teil eines längeren Beitrags, in dem der Ex-Elektriker seine Ur-Ängste für den Fall formuliert, dass die alten bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz von Anfang der 1990er-Jahre um das seit 2014 verhandelte institutionelle Rahmenabkommen (InstA) ergänzt werden. Auf diese Ängste muss nicht weiter eingetreten werden, denn die Schweiz brach 2021 die InstA-Verhandlungen mit der EU ab. Eine Übernahme der in der EU geltenden EMF-Grenzwertregelungen und eine damit verbundene Abschaffung der schweizerischen Anlagegrenzwerte steht damit bis auf Weiteres nicht zur Debatte.

Nur die Richtung stimmt

Davon unberührt bleibt die Feststellung, dass Ericsson kein dänisches Unternehmen ist, sondern ein schwedisches. Außerdem ist Ericsson nicht nur ein Antennenhersteller, sondern weltweit einer der größten Technikausstatter für Mobilfunknetzwerke.

Erstes 90-V/m-Märchen wurde 2019 aufgetischt

Kümmern wir uns jetzt um die ansatzlos vorgetragen Behauptung, Ericsson habe ausgerechnet, Fußgänger auf Gehwegen müssten 90.V/m erdulden. Diese Darstellung des Ex-Elektrikers ist ebenso dreist wie falsch. Dreist deshalb, weil Jakob den Unsinn schon einmal 2019 in die Welt gesetzt hat. Damals im Zusammenhang mit dem Entwurf der neuen Icnirp-Empfehlungen, deren finale Fassung 2020 publiziert wurde. Jakob leitete seinerzeit einen Icnirp-Grenzwert von 90 V/m aus den Empfehlungen ab, allerdings unter völlig falschen Voraussetzungen und deshalb von A bis Z falsch. Trotzdem griffen andere den fehlerhaft abgeleiteten Grenzwert auf und am Ende verbreitete sogar das ZDF den Blödsinn, für 5G werde der Referenzwert von 61 V/m auf 90 V/m angehoben. Die absurde Story ist hier und dort ausführlich dokumentiert und muss daher nicht wiederholt werden.

Alles nur geklaut ...

Diesmal bezieht sich Jakob bei der Neuauflage seines 90-V/m-Märchens nicht auf die Icnirp-Empfehlungen, sondern auf eine Grafik aus einer Präsentation, die er 2018 bei Ericsson abgegriffen hatte und die ihm zur Bibel wurde. Denn er glaubte, mit der Präsentation im Besitz der absoluten Wahrheit über die Exposition durch das kommende 5G zu sein. Aber: Die Präsentation war von Christer Törnevik, bei Ericsson Chef der Abteilung "EMF and Health", zusammengestellt worden, um Fachleute der ITU (Internationale Fernmeldeunion) auf neue Herausforderungen des 5G-Mobilfunks einzustimmen. Ex-Elektriker gehörten nicht zu dieser Zielgruppe. Und so kam, was kommen musste: Jakob bastelte sich anhand der Präsentation in Eigenregie abwegige Schreckensszenarien der 5G-Exposition zurecht. Da er ein selbstgewisser Einzelgänger ist, ließ er keinen Fachmann über seine verkorksten Interpretationen drüberschauen, sondern sonnte sich damit sofort in der Öffentlichkeit

Jakob hütete seine Bibel wie einen Schatz und teilte nie einen Link zur Quelle. So dauerte es etwa ein Jahr, bis ich die Quelle aufspürte und mir die Original-Präsentation anschauen konnte. Schnell wurde deutlich, wo Jakob Sachverhalte verdrehte oder wichtige Angaben verschwiegen hat. Dokumentiert ist diese Geschichte hier.

Das Bild, das Jakob zu seiner Behauptung präsentiert, hat er aus dem Deckblatt der Präsentation und einer Teilmenge von Folie 3 selber zusammengeschustert. Folie 3 zeigt im Original viel mehr:

Originalfolie Nr. 3 aus der Präsentation von Christer Törnevik, Ericsson
[image]
Bild: Ericsson

Was Jakob geflissentlich verschweigt

► Die schöne Emissionsgrafik zeigt keine gewöhnliche adaptive 5G-Kleinzellenantenne, sondern eine für 28 GHz! Dieses Band ist in der Schweiz jedoch noch gar nicht für Mobilfunk freigegeben, weil die Regulierungsbehörde (ComCom) entschieden hat, vorläufig keine höheren Frequenzen (z.B. 26 GHz, 40 GHz) für Mobilfunk zu vergeben.
► Die Antenne hat 512 Elementarantennen und kann damit bis zu acht Beams erzeugen. Horizontal beträgt der Schwenkbereich der Beams ±60°, vertikal ±15°.
► Die Emissionsgrafik zeigt nicht die tatsächliche Emission der Antenne in (horizontaler) Hauptstrahlrichtung, sondern die Einhüllende für sämtliche Strahlrichtungen, welche die acht Beams einnehmen können.
► Die Strahlungsleistung der Antenne beträgt in Summe für alle Beams weniger als 1 W.
► Die Abstrahlung der Antenne in vertikaler Richtung ist nicht bekannt. In horizontaler Richtung beträgt bei Gültigkeit der Icnirp-Grenzwerte der Sicherheitsabstand (Sperrzone) in Hauptstrahlrichtung 1,5 Meter. Nach unten dürfte der Sicherheitsabstand schätzungsweise 0,5 Meter betragen. Eine Exposition von Passanten mit 90 V/m ist damit völlig ausgeschlossen, wird die Antenne mindestens 2,5 Meter über dem Erdboden montiert.
► In der blauen Fußleiste schreibt Törnevik: Die Einhaltung der Icnirp-Grenzwerte ist bei normalen Installationen kein Problem – allerdings ist die Sperrzone größer als bei 3G/4G.
Die Sperrzone ist 10-mal größer bei 1/100 der Icnirp-Grenzwerte – Installationen können daher schwierig sein.

Mit "1/100 der Icnirp-Grenzwerte" adressiert der Schwede die Anlagegrenzwerte in der Schweiz, allerdings bezogen auf die Leistungsflussdichte. Der Bezug auf die in der Schweiz gängigere elektrische Feldstärke verkleinert das Größenverhältnis zwar auf "1/10 der Icnirp-Grenzwerte", das ändert aber nichts daran, dass die Sperrzone mit den Anlagegrenzwerten 10-mal größer sein muss als ohne die Anlagegrenzwerte.

Was bedeutet das im Klartext? Mit 28-GHz-Kleinzellen bekommt die Schweiz an manchen Standorten ein Problem, die Anlagegrenzwerte einzuhalten. Denn wenn z.B. in Deutschland oder Frankreich die Icnirp-Grenzwerte schon in 1,5 Meter Abstand zur Antenne eingehalten werden, sind in der Schweiz für die gleiche Antenne 15 Meter Abstand erforderlich. Stehen aber nur z.B. 10 Meter Abstand zur Verfügung, kann die Antenne trotzdem montiert werden, darf dann aber nur mit reduzierter Sendeleistung strahlen. Die Montageprobleme sind somit überschaubar und nicht unlösbar, sondern eher lästig. Ob die 28-GHz-Probleme in der Schweiz einen neuen politischen Anlauf zur Lockerung der Anlagegrenzwerte bewirken, wird sich zeigen. Ich sehe dies nicht.

In Anbetracht von Jakobs absurder Drohung "Es wird nur noch wenige Wochen dauern bis die ICNIRP ihre Grenzwert-Empfehlung von 60 auf 90V/m erhöht" kann ich nur feixen:

► Ganz egal, was der Ex-Elektriker da geraucht haben mag, es war zu stark für ihn.
► Guter Wein wird mit den Jahren besser, Jakobs Blödsinn von 2019 ist auch 2025 noch Blödsinn.
► Ich setze zehn Träger Franziskaner Hefe-Weißbier auf Icnirp, dass sie weder in wenigen Wochen, noch Monaten oder Jahren den maximalen HF-EMF-Grenzwert auf 90 V/m anheben werden.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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