Eskalation im Fall Semmelweis (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 10.06.2007, 17:13 (vor 6362 Tagen)

Anfang 2007 berichteten wir über den Streifall Semmelweis (alle Namen sind frei erfunden, der Rest ist authentisch). Dabei ging es um eine alte Dame, der von einem Dr. Ahus geraten wurde, ihre Wohnung aufzugeben und in eine strahlenärmere Gegend zu ziehen. Diese gut gemeinte Empfehlung hatte für die Betroffene und ihre Angehörigen fatale Folgen. Als dies vor ein paar Tagen deutlich wurde, nahm das IZgMF noch einmal Kontakt zu Dr. Ahus auf ...


Sehr geehrter Herr Dr. Ahus,

Sie erinnern sich sicherlich noch an den Fall von Frau Semmelweis in XXXXXXXX (Dezember 2006). Die Situation dort ist seither eskaliert. Dies berichtet Frau Schwarzenbeck, Tochter von Frau Semmelweis. Sie hat mich vergangenen Freitag angerufen, weil sie und ihr Mann keinen Rat mehr wissen.

Nachdem Sie im Dezember 2006 Frau Semmelweis den Umzug in eine strahlungsarme Gegend empfohlen haben, hat die alte Dame ihren gesamten Hausstand in Kisten und Koffer gepackt und wartet seither bis zum heutigen Tag darauf, dass ihre Tochter eine neue Wohnung für sie findet! Die bisherige Wohnung wird von ihr praktisch nur noch zum Übernachten benutzt, tagsüber geht sie entweder in ihrem Stadtviertel ruhelos umher oder hält sich bei ihrer Tochter auf. Wie Frau Schwarzenbeck weiter sagte, drehen sich die Gedanken ihrer Mutter nur noch um die vermeintlich gefährliche Strahlenbelastung in ihrer Wohnung, ein anderes Gesprächsthema kennt sie nicht mehr. Der Nachbar, der mit seinem DECT-Telefon einen Teil der Funkfeldbelastung beisteuert, soll sich inzwischen zwar zur Nutzung eines strahlungsarmen Modells bereit erklärt haben, jedoch ist der Mann angeblich seit Monaten nicht mehr in seiner Wohnung zu erreichen, sodass diese Entlastung bis auf weiteres ungewiss ist.

Wegen ihrer panischen Angst vor der Strahlung wurde Frau Semmelweis dieses Jahr bereits 3-mal zur psychiatrischen Behandlung in eine Nervenklinik eingewiesen. Nach Auskunft ihrer Tochter zeigt die Behandlung jedoch keine Wirkung, die Ärzte hätten schon darauf hingewiesen, dass eine weitere Behandlung nicht mehr infrage kommt. Ihre Mutter, so Frau Schwarzenbeck, leide bereits seit 30 Jahren unter Schizophrenie und benötige daher auch dringend der Fürsorge durch die Tochter. Diese ist jetzt gewährleistet, weil Mutter und Tochter nicht weit voneinander wegwohnen. Der empfohlene Umzug in eine strahlungsarme Gegend würde die Betreuung von Frau Semmelweis durch die Angehörigen aller Voraussicht nach jedoch erheblich in Mitleidenschaft ziehen, da XXXXXXX mit mehr als 1000 Senderstandorten mobilfunktechnisch bestens erschlossen ist und im Stadtgebiet kaum eine Wohnung zu finden sein dürfte, die Ihrer Einschätzung nach, Herr Dr. Ahus, als strahlungsarm einzustufen ist.

Ich schreibe Ihnen dies hier im Auftrag von Frau Schwarzenbeck, die sich nicht selbst an Sie wenden möchte, weil Sie verbale Entgleisungen Ihnen gegenüber befürchtet. Wörtlich sagte sie: "Wenn der Mann wüsste, was er bei meiner Mutter angerichtet hat!" Bevor ihrer Mutter die Strahlenangst eingeredet worden sei, habe sie sich in ihrer Wohnung über lange Zeit hinweg wohl gefühlt.

Dennoch geht es jetzt nicht um eine Schuldzuweisung, sondern alleine darum, wie Frau Semmelweis und dem Ehepaar Schwarzenbeck am besten zu helfen ist. Wir haben uns dazu auf folgendes Vorgehen geeinigt: Herr Schwarzenbeck wird bei Frau Semmelweis die Küchenwand zum Nachbarn mit Abschirmfarbe streichen. Der schwarze Farbton der Farbe macht sofort deutlich, dass sich in der Küche etwas Neues zugetragen hat. Außerdem hat sich mein Mann bereit erklärt, mit einer Fliegengitterkonstruktion eine deutlich sichtbare Abschirmung am Schlafzimmerfenster von Frau Semmelweis anzubringen. Beide Maßnahmen sollen bewirken, dass die alte Dame nicht länger aus Koffern leben muss, sondern ihre Wohnung wieder als Lebensraum akzeptiert. Die Maßnahmen sehen zwar technisch aus, sind in Wahrheit aber therapeutischer Natur.

Ihnen Herr Dr. Ahus kommt bei alledem eine wichtige Funktion zu: Denn aller Voraussicht nach wird sich Frau Semmelweis bei Ihnen melden, über das Vorhaben berichten und Ihre Meinung dazu wissen wollen. Angesichts der beschriebenen Begleitumstände wäre es dann außerordentlich wichtig, dass Sie Ihre Bedenken wegen Elektrosensibilität zurückstecken und die beiden Schirmmaßnahmen uneingeschränkt und mit viel Nachdruck gut heißen! Bedenken Sie bitte, dass Sachargumente auf Frau Semmelweis weit weniger Wirkung haben als Ihr akademischer Titel. Sollte darüber hinaus von ihr die Bitte für eine erneute Messung an Sie herangetragen werden, so gilt auch dann die grundsätzliche Handlungsrichtlinie, alles zu tun, was zur Wiedergewinnung der Akzeptanz der Wohnung förderlich ist.

Ich begrüße es sehr, Herr Dr. Ahus, wenn Sie sich im beschriebenen Sinne aktiv an der Schadensbehebung beteiligen und würde mich um eine baldige kurze zustimmende Nachricht freuen, die ich unverzüglich an Frau Schwarzenbeck weitergeben werde.

Mit freundlichen Grüßen
IZgMF

Heidrun Schall

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Anfrage, Semmelweis, Instrumentalisierung, Eskalation, Schaden, Einladung, Unglück, Rücksichtnahme


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