Bundesgericht & Asut: Antworten aus erster Hand (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 19.07.2024, 00:24 (vor 68 Tagen) @ H. Lamarr

Ein Blick in die Statuten des Vereins Asut macht deutlich: Vollmitglied kann dort allein eine juristische Person sein. Da meiner Kenntnis nach ein Gericht keine juristische Person ist, kann das Bundesgericht kein Asut-Vollmitglied sein.

Peter Josi, Sprecher des Bundesgerichts, teilt meine (zitierte) Ansicht nicht. Auf Anfrage schreibt er:

Das Bundesgericht unterhält bei der asut eine sogenannte "Benutzermitgliedschaft". Das Bundesgericht ist als Institution Mitglied in verschiedenen Vereinigungen. Dies betrifft - wie auch im Text von Infosperber vermerkt - unter anderem Vereinigungen im Zusammenhang mit open source, aber auch mehrere Vereinigungen höchster Gerichtsinstanzen verschiedener Länder.

Mit dieser Klarstellung ist meine Erwiderung auf Jakobs Beitrag Makulatur, ihr ist der tragende Pfeiler abhandengekommen. Doch dadurch wird Jakobs indiskutable Schmähung des Bundesgerichts "Das sind nicht mehr nur blutige Laien, sondern zusätzlich auch noch hinterlistige Interessensvertreter" nicht richtiger. Was also tun, um den Elefanten, den der Ex-Präsident von Gigaherz so selbstgewiss herbeizaubern möchte, auf andere Weise als Mücke zu identifizieren? Schnell wurde mir klar, ohne weitere Auskünfte aus erster Hand geht das nicht. Das Bundesgericht hatte ich schon befragt, die zweite Primärquelle Asut jedoch nicht. Folglich stelle ich am 17. Juli einen sechs Punkte umfassenden Fragenkatalog für Asut-Geschäftsführer Christian Grasser zusammen, den er postwendend beantwortete:

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Antworten auf die Fragen finden Sie untenstehend. Erlauben Sie mir vorab einige Bemerkungen.

Der Schweizerische Verband der Telekommunikation (asut) besteht seit 1974 und vereint verschiedenste Unternehmen und Organisationen, die sich für ICT-Themen interessieren.

Bei den Verbandsmitgliedern handelte es sich ursprünglich um Telekom-Anwender, also Unternehmen und Organisationen aus verschiedensten Branchen, die ICT-Technologien nutzen. Fast alle Branchen waren und sind in der asut vertreten, wie Industrie, Banken, Energieunternehmen, Verkehrsbetriebe, Detailhandel, Beratungsunternehmen etc. Dazu gehören auch Organisationen der öffentlichen Hand wie Hochschulen, Polizeien, Spitäler oder eben das Bundesgericht.

Die «moderne» asut entstand 2007 durch eine Fusion zwischen der SICTA, welche die Telekomanbieter vertrat, und der «alten» asut, in der sich Telekom-Anwender organisierten. Die heutige asut vereint ICT-Anbieter und Systemlieferanten einerseits sowie deren Kunden und ICT-Nutzer andererseits und bietet eine Plattform zum gegenseitigen Austausch und zur Förderung der Digitalisierung in der Schweiz.

Antworten:

Frage: Können Sie bestätigen, dass das Bundesgericht bei Asut eine "Benutzermitgliedschaft" hat?
asut: Die überwiegende Mehrheit unserer Mitglieder sind «Vollmitglieder». Dies gilt auch für das Bundesgericht. Hinsichtlich des Mitgliederbeitrages wurde das Bundesgericht – wie die meisten ICT-Anwender – in die Kategorie «Benutzer» eingeteilt.

Gibt es eine plausible Erklärung, warum das Bundesgericht in der heute abgefragten Liste der Asut-Mitglieder nicht genannt wird?
Das Bundesgericht wird mit «Tribunal Fédéral Suisse» in der Liste aufgeführt. Da die Schweiz mehrsprachig ist, akzeptieren wir auch die französische Bezeichnung von Unternehmen und Organisationen.

Wie korrespondieren die Begriffe "Vollmitglied" und "assoziiertes Mitglied" unter Artikel 5 der Asut-Statuten mit dem Begriff "Benutzer" in der Mitgliederbeitragsordnung der Asut?
Als Branchenverband nimmt asut nur Unternehmen oder Organisationen (juristische Personen) als Vollmitglied auf. Jedes Mitglied wird dann gemäss Beitragsordnung einer Mitglieder-Kategorie zugeteilt. ICT-Anwender als «Benutzer» oder «Strategische Anwender» und ICT-Anbieter und Telekomunternehmen als «Anbieter» oder «Operator».

Privatpersonen oder einzelne Mitarbeitende einer Unternehmung oder Organisation (natürliche Personen) können nicht Vollmitglied werden. Ausgewiesene Expertinnen oder Experten, die von uns zur Mitarbeit in einer Fachkommission eingeladen werden, können jedoch als assoziiertes Mitglied der asut beitreten. Der Mitgliederbeitrag richtet sich dann nach der Kategorie «Assoziierte Mitglieder».

War es immer so, dass assoziierte Mitglieder ausschließlich auf Einladung der Asut (zur Mitarbeit in den Fachgremien) aufgenommen werden?
Ob es immer so war, kann ich nicht mehr nachvollziehen (Gründung asut 1974). Die letzten 10 Jahre war dies jedoch der Fall.

Unter der realistischen Annahme, dass exklusiv die IT-Abteilung des Bundesgerichts die Mitgliedschaft bei Asut beantragt hat, welche Nennung der Mitarbeiteranzahl wäre dann aus Sicht der Asut zur Bemessung des Mitgliedsbeitrags korrekt: Die Anzahl der Mitarbeiter in der IT-Abteilung oder die Gesamtanzahl aller Mitarbeiter des Bundesgerichts inkl. Verwaltung, Gerichtsschreiber, Richterinnen und Richter?
Auch wenn die Mitgliedschaft bei asut durch die ICT-Abteilung oder eine andere Abteilung eines Unternehmens oder einer Organisation initiiert wird, ist das Unternehmen bzw. die Organisation als Ganzes asut-Mitglied. Daher werden zur Bemessung des Mitgliederbeitrages alle Mitarbeitenden in der Schweiz bzw. der Gesamtumsatz in der Schweiz berücksichtigt.

Liegt der Asut die Beitrittserklärung des Bundesgerichts noch vor?
Die Archive vor 2014 sind nicht digitalisiert und eine rasche Recherche ist nicht möglich.

Meine Frage nach dem scheinbar fehlenden Eintrag des Bundesgerichts in der Asut-Mitgliederliste erklärt sich damit, dass ich Bewohner eines Landes bin, in dem es nur eine einzige Amtssprache gibt. Und meine Frage nach der Bemessungsgrundlage für den Mitgliedsbeitrag fußt auf dem Gedanken, dass vor mehr als zehn Jahren möglicherweise doch die IT-Abteilung des Bundesgerichts die Beitrittserklärung bei Asut eingereicht hat. Mit auf die Abteilung fokussierten Angaben. Grassers Antwort widerlegt diesen Gedanken. Zudem wies mich der Sprecher des Bundesgerichts darauf hin, das Bundesgericht bezahle den Mitgliederbeitrag M3 von heute 950 CHF für 100-499 Personen. Hinzu kämen der Zuschlag gemäß Fussnote 1 der Beitragsordnung sowie Mehrwertsteuern. Dies ergebe den von Infosperber angegebenen Gesamtbetrag (1'191,25 CHF). Die Mitarbeiterzahl zum Zeitpunkt des Beitritts habe ebenfalls zwischen 100-499 Mitarbeitenden gelegen.

Mein Fazit

Das Bundesgericht ist Vollmitglied der Asut, was ohne Kenntnis der Hintergründe durchaus Irritationen auslösen kann. Für den Verdacht, die Unabhängigkeit des Bundesgerichts sei nun nicht mehr gewährleistet, gibt es jedoch keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte. Wäre es anders, dürfte es dieses, für die Schweizer Mobilfunkbranche äußerst unerfreuliche Urteil vom 23. April 2024 nicht geben. Die Auskünfte des Bundesgerichts und von Asut zum Sachverhalt, – nachzulesen bei Infosperber und oben –, sind mMn schlüssig und widerspruchsfrei. Gleichwohl lässt es sich nicht wegdiskutieren, dass die Mitgliedschaft bei Asut ein unschöner Kratzer auf der Motorhaube des Bundesgerichts ist, der beizeiten beseitigt werden sollte. Nicht "fristlos", wie Jakob es fordert, denn dies sähe nach einem Schuldeingeständnis aus. Das Schweizer Bundesamt für Informatik und Telekommunikat(i)on (BIT) kann hingegen unbesorgt Asut-Mitglied bleiben, schon deshalb, weil sich bislang niemand öffentlich daran gestört hat.

Aus meiner Sicht hat Ex-Gigaherz-Präsident Jakob nichts Brauchbares im Köcher, um erfolgreich einen Shitstorm gegen das Bundesgericht zu entfachen. Einen Beschuss mit servierfertigen Spaghetti kann das Bundesgericht gelassen abwarten. Bon appétit.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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