Meine unfreiwillige Flucht vor dem Mobilfunk (Elektrosensibilität)
Anekdotische Leseprobe aus einem neuen Buch über "Elektrosensibilität" (Titel: Offline-Modus aktiviert: Meine unfreiwillige Flucht vor dem Mobilfunk) von Carolin Sandner.
Ich kann und werde nicht mehr in diese Wohnung zurückkehren. Ganze sechs Wochen nach dem Einzug steht dieser Entschluss nun fest. Meine Mutter versteht nur Bahnhof, wenn ich von Schlafproblemen und Handymast rede. Sie fragt mich allen Ernstes, ob wir Eheprobleme hätten. Eigentlich fast schon wieder witzig. Trennung nach einer Woche Ehe. Ich kann ihr meine Lage nicht verständlich machen, aber das macht auch nichts. Sie liebt mich trotzdem und freut sich riesig über ganz viel Zeit mit ihrer Enkeltochter. Tatsächlich macht selbige wenige Tage später ihre ersten Schritte genau in Omas Arme.
Ich handele mit meiner Mutter einen Deal aus. Von Montag bis Freitag kann ich bei ihr schlafen. Die Wochenenden gehören ihrem Lebensgefährten. Die beiden haben getrennte Wohnungen.
Ich schlafe mehrere Nächte am Stück durch und fühle mich wie neugeboren. Derweil sucht Thomas fieberhaft nach Möglichkeiten wie wir drei wenigstens am Wochenende zusammen sein können. Zunächst wartet er mit einem kleinen Bed and Breakfast in Haan auf. Liebevoll eingerichtet macht es einen sehr netten Eindruck auf mich. Die Pensionswirtin ist freundlich, zeigt uns alles und überlässt uns dann die Schlüssel. Thomas blickt aus dem Fenster. Auf einmal gähnt er übertrieben auffällig und behauptet er sei schrecklich müde, er müsse schon ins Bett. Rasch zieht er die Vorhänge zu. Ich bleibe ahnungslos, entscheide, mich mit hinzulegen und packe mein Buch aus. Irgendwann gehen wir beide zur Ruh. Die Kleine schlummert längst friedlich zwischen uns.
Dann beginnt das übliche Spielchen. Ich schlafe ein, schrecke hoch, schlafe ein, schrecke hoch. Ich wundere mich. Auf einmal fällt mir auch Thomas` komisches Verhalten vom Abend wieder ein. Ich gehe zum Fenster, ziehe den Vorhang beiseite – und blicke auf einen rot blinkenden Sendemast. Zwar nicht in unmittelbarer Nähe, aber doch deutlich erkennbar einige Straßen weiter.
„Das darf doch nicht wahr sein!“ seufze ich innerlich und beginne augenrollend meine obligatorische Lesenacht. Am anderen Morgen blickt mein Mann mich betreten an.
„Sorry, Schatz. Es war mir auch erst bei unserer Ankunft aufgefallen. Ich hab gehofft du merkst nichts. Aber du hattest eine Scheißnacht, oder?“
Das trifft es wohl. Ich bin aber nicht sauer, er hat es ja auch nur gut gemeint. Wenigstens mal wieder eine Nacht zu dritt.
Von nun an geht Thomas gründlicher bei seiner Suche vor. Kurze Zeit später stößt er auf ein kleines Hotel. Aufmerksam fährt er vorher die gesamte Umgebung ab und findet keinen Handymast. Er redet mit dem Hotelbetreiber, bleibt bei der Wahrheit und teilt mit, dass wir bis auf weiteres freitags und samstags zu dritt und sonntags zu zweit ein Zimmer benötigen. Der Hotelier überschlägt sich fast vor Freundlichkeit. Wir sind bestimmt die Kunden des Jahres. Er nennt einen passablen Preis und die Ära Hotel beginnt. Für einige wenige Wochen lebe ich also unter der Woche wieder bei Muttern und am Wochenende im Hotel. Die Lösung ist nicht optimal, aber auf jeden Fall besser als schlaflos in der Strahlenwohnung. Ich fühle mich wie auf der Durchreise. Keine Ahnung wie lange dieses Experiment psychisch und finanziell durchführbar ist.
Kommentar: Es gehört mittlerweile zum Standardrepertoire von "Elektrosensiblen", Anekdoten zu schildern, bei denen die Betroffenen angeblich ohne jede Kenntnis von einer stattfindenen Funkimmission die typischen Symptome von "Elektrosensiblen" zeigen. Dies soll ihre Fähigkeit glaubhaft machen, schwache Funkwellen tatsächlich unangenehm spüren zu können. Wissenschaftler konnten bislang freilich keinen einzigen "Elektrosensiblen" finden, der schwache Funkwellen auch unter strenger wissenschaftlicher Aufsicht treffsicher spüren kann. Sie konnten dagegen jede Menge "Elektrosensible" finden, die Symptome entwickelten sobald man ihnen sagte, dass sie befeldet werden. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Befeldung tatsächlich stattfand oder nur behauptet wurde, die Testpersonen reagierten auf beides gleich.
Wenn Frau Sandner also, wie sie in ihrer Anekdote schildert, in Haan eine schlaflose Nacht mit Symptomen hatte und erst danach den Sendemast entdeckte, so sind an dieser Schilderung Zweifel angebracht. Unglaubwürdig ist, dass der fieberhaft suchende Ehemann den Sendemasten bei der Auswahl der Pension in Haan unbeachtet gelassen haben will. Die bekannte EMF-Datenbank der BNetzA hätte ihn mühelos vorab in Kenntnis gesetzt, wo in Haan Sendemasten stehen. Die Ungenauigkeiten von etwa ±80 Meter bei der Standortanzeige wären verschmerzbar gewesen.
Wahrscheinlicher aber ist ein anderes Szenario: Frau Sandner outet sich freundlicherweise im Gigaherz-Forum als Teilnehmerin "cassandra". Schon in ihrem ersten Posting (November 2010) fragt "cassandra" nach einem Messgerät. Und am 9. Mai 2016 gibt sie bekannt, einen "esmogspion" zu haben. Frau Sandner ordnet sich damit nahtlos in die Reihe der "Elektrosensiblen" ein, die sich mit kleinen billigen Detektoren Orientierungshilfe geben lassen, ob es ihnen in ihrer momentanen Umgebung gut oder schlecht geht. Dass Frau Sandner ihren Detektor ausgerechnet bei einem Wochendausflug in unbekannte Gefilde nicht dabei gehabt hat ist genauso unwahrscheinlich wie der Umstand, dass sie mit ihrem Gerät ihr Pensionszimmer nicht schnellstens auf Elektrosmog hin untersucht hat. Sollte sie dies heimlich gemacht haben, worauf ihre Anekdote hindeutet, führt sie auch ihren Ehemann an der Nase herum. Eigenen Angaben zufolge will "cassandra" schon auf 100 nW/m² mit Schlafstörungen reagieren.
Dachstandorte für Sendemasten haben üblicherweise keine roten Signallampen, um z.B. Hubschrauberpiloten auf das Hindernis aufmerksam zu machen. Solche Signallampen sind hohen Funktürmen vorbehalten. Allzu fieberhaft kann mMn Thomas nicht nach einem funkarmen Plätzchen in Haan gesucht haben, wenn er so einen Turm übersehen konnte.
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Hintergrund
Untersuchung der Schlafqualität bei Anwohnern einer Basisstation
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –