Franz Adlkofer über den Fall Marine Richard (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 27.01.2016, 21:40 (vor 3223 Tagen) @ Gast

Rückblickend gesteht Franz Adlkofer ein ...

... dass meine Sicht der Dinge doch etwas zu pessimistisch gewesen ist. Inzwischen hat nämlich in Toulouse, Frankreich, ein Richter es aufgrund medizinischer Gutachten bei einer Frau mittleren Alters als erwiesen angesehen, dass sie in der Nähe von Sendemasten, Smartphones und sogar Fernsehgeräten – vergleichbar Pfarrer Häublein – unter massiven körperlichen Beschwerden wie bohrenden Schmerzen in Kopf und Wirbelsäule und Schlafstörungen leidet. Es stufte die Klägerin deshalb im Juli 2015 als zu 85 Prozent schwerbehindert ein und sprach ihr für einen Zeitraum von zunächst drei Jahren eine Rente von monatlich 800 Euro zu. Frau Marine R. lebt seit einigen Jahren in einem alten Steinhaus in den Pyrenäen nahe der spanischen Grenze ohne Strom und fließendes Wasser und natürlich ohne Handys.

Wer diese Ausführungen liest muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen: Der überzeugten Elektrosensiblen Marine Richard wurde wegen ihrer ungewollten Fähigkeit, das Vorhandensein elektromagnetischer Felder erleiden zu können, eine bezugsberechtigte Schwerbehinderung zuerkannt. Wer dies glaubt, geht Prof. Adlkofer voll auf den Leim.

Alle mir bekannten "Elektrosensiblen" besitzen mindestens ein mobiles Elektrosmog-Messgerät, mit dem sie das Vorhandensein elektromagnetischer Felder jederzeit (auch unbemerkt) abschätzen können. Unstreitig ist auch, dass Elektrosensible, im Wissen befeldet zu werden, reale Symptome entwickeln können (Nocebo-Effekt), Symptome die jeder Arzt diagnostizieren kann. So gelingt es z.B. selbst völlig harmlosen Spinnchen bei einem ausgemachten Arachnophobiker allerlei gut feststellbare Symptome auszulösen, z.B. Herzrasen, Schweißausbruch und Gänsehaut. Die Spinne selbst ist harmlos, nicht aber ihr Anblick und nicht die Angst vor ihr. Zwischen Spinne und Herzrasen ist ein klarer Zusammenhang zu sehen, der entscheidende Punkt aber fehlt: Es gibt keinen Kausalzusammenhang – eine gut gemachte Plastikspinne hätte dieselbe Wirkung.

Mit dem Fall Richard hat dies insofern zu tun, dass der Richter in Toulouse eben keine Rente wegen "Elektrosensibilität" bewilligten, wie Adlkofer Glauben machen möchte, sondern nur eine Beihilfe zum Lebensunterhalt und auch diese nur rückwirkend. Denn wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit, die sich aufgrund der realen Symptome ihrer Elektrosmog-Phobie einstellten, wurde Frau Richard zum mittellosen Sozialfall. In Sozialstaaten ist es jedoch nichts Besonderes, sondern gängige Praxis, auch psychisch Kranken (hier: Phobikern) nach erfolgreicher Prüfung des Sachverhalts Beihilfen zu gewähren. Der Fall Richard schrumpft damit von der vermeintlichen Sensation zum gewöhnlichen Rechtsstreit in der Sozialgesetzgebung.

Im Gegensatz zu Herrn Adlkofer, der seine Behauptungen über den Fall Richard nicht belegt, bin ich in der erfreulichen Lage, auf diesen Strang verweisen zu können. Dort wird auch nicht mit dem Original-Urteil hinterm Berg gehalten und verraten, warum das Versorgungsamt nicht in Berufung ging: Überzeugen Sie sich selbst – nur wer nichts weiß, muss alles glauben.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Klage, Ueberzeugung, Irreführung


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