EBI "Stop 5G": Warum der letzte Sammeltag 48 Stunden hatte (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 29.03.2023, 15:57 (vor 607 Tagen) @ H. Lamarr

Zur allgemeinen Überraschung blieb der Online-Zähler jedoch am Dienstag den 28. Februar um Mitternacht nicht stehen, sondern lief noch 24 Stunden weiter. Der tatsächliche Sammelzeitraum der EBI war daher im Gegensatz zu den EU-Bekundungen nicht 1 Jahr, sondern 1 Jahr + 1 Tag. Damit hatte offensichtlich auch die Szene nicht gerechnet. Leisteten am Dienstag noch brav 4890 Unterstützung, fiel die Anzahl am Mittwoch auf 1300. Aus meiner Sicht ist die unerklärliche Verlängerung des Sammelzeitraums ein Programmfehler im EBI-Sammelsystem der EU. Da eine Absicht jedoch nicht auszuschließen ist, habe ich bei der EU eine Anfrage gestellt, ob der 366ste Tag der Sammlung als Bug oder als Feature zu sehen ist. Antwort liegt mir momentan noch nicht vor.

Eigenen Angaben zufolge gewährt die EU Europäischen Bürgerinitiativen einen Zeitraum von zwölf Monaten glatt, um für ihr Anliegen Unterstützungsbekundungen zu sammeln. Tatsächlich sind es aber gemäß einer mehr als 50 Jahre alten EWG-Verordnung zwölf Monate + 1 Tag. Übersieht dies eine EBI, die am Ende der Sammelfrist haarscharf an der Vorgabe scheitert, mindestens 1 Million gültige Unterstützungsbekundungen zu sammeln, könnte die geprellte EBI mMn Rechtsmittel gegen die EU-Kommission ergreifen. Dies ist das Ergebnis der folgend wiedergegebenen Korrespondenz zwischen der EU-Kommission und dem IZgMF.

IZgMF-Anfrage vom 1. März 2023 bei der EU:

Meine Frage gilt dem exakten Sammelzeitraum einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI).
Gemäß EU-Angaben beträgt der Sammelzeitraum einer EBI 1 Jahr (12 Monate). Die EBI "Stop 5G", die am 1. März 2022 ihre Sammlung gestartet hat, müsste demnach am 28. Februar 2023 um Mitternacht die Sammlung einstellen. Hat sie aber nicht. Die Sammlung läuft momentan anscheinend bis 1. März 2023 um Mitternacht. Damit beträgt der tatsächliche Sammelzeitraum entgegen der EU-Angaben 1 Jahr + 1 Tag. Ich bitte um Auskunft, ob es sich hierbei um einen Fehler handelt oder ob es für die offensichtliche Diskrepanz eine nachvollziehbare Begründung gibt.


Antwort des Generalsekretariats (Team der Europäischen Bürgerinitiative) der Europäischen Kommission vom 29. März 2023:

Vielen Dank für Ihre Frage nach der Dauer der Sammlungszeit, in der Organisatoren ihre Unterstützungsbekundungen sammeln können.

Art. 8 Abs. 1 der EBI-Verordnung (Verordnung 2019/788) sieht vor, dass alle Unterstützungsbekundungen innerhalb eines Zeitraums von höchstens zwölf Monaten ab einem von der Organisatorengruppe gewählten Zeitpunkt gesammelt werden müssen. Da die Frist in Monaten angegeben ist, ist das sogenannte Enddatum der Sammlung der Tag des letzten Monats, der dem Kalendertag des Beginns der Sammlungsfrist entspricht. Diese Regelung ist in der noch geltenden horizontalen Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine niedergelegt, Artikel 3(1). Wenn beispielsweise der Sammlungszeitraum am 2. April 2022 begann, endet die Sammlungsfrist von 12 Monaten am 2. April des Folgejahres (2023).

Erwiderung des IZgMF vom 29. März 2023:

Besten Dank für Ihre substanzielle Antwort. Besonders aufschlussreich ist aus meiner Sicht in der Verordnung 1182/71 bei Artikel 3 der Absatz 2c. Dort heißt es:

[...] Eine nach Wochen, Monaten oder Jahren bemessene Frist beginnt am Anfang der ersten Stunde des ersten Tages der Frist und endet mit Ablauf der letzten Stunde des Tages der letzten Woche, des letzten Monats oder des letzten Jahres, der dieselbe Bezeichnung oder dieselbe Zahl wie der Tag des Fristbeginns trägt. [...]

Dieser Absatz bestätigt Ihr Beispiel eines 12-monatigen Sammelzeitraums vom 2. April 2022 bis zum 2. April des Folgejahres (2023). Zugleich bedeutet dieser Absatz jedoch auch, dass der tatsächliche Sammelzeitraum 12 Monate + 1 Tag ist!

Was nach Haarspalterei aussieht, kann jedoch im Einzelfall über den Erfolg oder Misserfolg einer EBI entscheiden. Nämlich dann, wenn einer EBI zur Erreichung der Schwelle von 1 Mio. gültiger Unterstützungsbekundungen am letzten Tag der Sammlung nur noch wenige fehlen.

Konkretes Beispiel: Die kürzlich gescheiterte EBI "Stop 5G" startete ihre Sammlung am 1. März 2022 (0:00 Uhr). Im Vertrauen auf 12 Monate Sammelfrist erklärte sie kurz vor Ablauf der Frist in ihren Aufrufen zur Unterstützung den 28. Februar 2023 (24:00 Uhr) zum letzten Tag der Sammlung. Dies brachte der EBI am 28. Februar 2023 etwa 4'900 Unterstützungsbekundungen ein. Tatsächlich endete die Sammelfrist jedoch erst am 1. März 2023 (24:00 Uhr). Da dies aber weder den EBI-Organisatoren noch ihren Unterstützern bekannt war, gab es an diesem Tag nur noch etwa 1'300 Unterstützungsbekundungen. Und ich behaupte: Jeder verständige Mensch wird einen von der EU auf 12 Monate begrenzten Sammelzeitraum genauso (falsch) interpretieren wie es den Organisatoren der EBI "Stop 5G" passiert ist.

Verstehen Sie mich bitte richtig, am Scheitern der EBI "Stop 5G" ändert der irrtümlich um 1 Tag verkürzt propagierte Sammelzeitraum nichts. Bei anderen EBIs, die am Ende des Sammelzeitraums nur knapp vor der entscheidenden Schwelle stehen, kann ein irrtümlich um 1 Tag verkürzt kommuniziertes Ende des Sammelzeitraums jedoch maßgeblich für einen Misserfolg sein.

Sollte ich Verordnung 1182/71, Artikel 3, Absatz 2c unzutreffend interpretiert haben, teilen Sie mir dies bitte mit. Sollte ich hingegen richtig liegen benötige ich keine Antwort. Um künftig Missverständnisse über das genaue Enddatum eines EBI-Sammelzeitraums zu vermeiden, schlage ich stattdessen vor, dass die EU auf ihrer Webseite zum Ablauf einer Europäischen Bürgerinitiative den genauen Endzeitpunkt umgehend unmissverständlich deutlich macht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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