"Elektrosensibilität" in Kalabrien jetzt gesetzlich anerkannt (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 15.08.2024, 23:18 (vor 28 Tagen)

"Elektrosensibilität" ist auch in Italien keine anerkannte Erkrankung. Doch in Kalabrien, das ist die südlichste der 20 Regionen des italienischen Stiefels, ticken die Uhren anders als in Rom. Dort hat eine Regionalrätin im Regionalrat (vergleichbar einem deutschen Landtag) im März 2024 erstmals die soziale Anerkennung von Fibromyalgie und "Elektrosensibilität" gesetzlich durchgesetzt. Zuvor hatte die Nachbarregion Basilikata 2013 "Elektrosensibilität" in die Gruppe der seltenen Krankheiten aufgenommen. Ob der politische Vorstoß Kalabriens in der Praxis Wirkung zeigen und in anderen Regionen Italiens Schule machen wird, bleibt abzuwarten.

[image]Auf der Sitzung des Regionalrats von Kalabrien am 12. März 2024 wurde der Gesetzesentwurf "Bestimmungen zur Anerkennung der sozialen Bedeutung von Fibromyalgie und Elektrosensibilität und zur Einrichtung der entsprechenden regionalen Register" angenommen. "Der Gesetzesentwurf," so Pasqualina Straface, "den ich sowohl als Regionalrätin als auch als Präsidentin der dritten Gesundheitskommission eingebracht habe, ist nun Gesetz geworden. Mit dem heute verabschiedeten Regionalgesetz wird nicht nur die soziale Relevanz der Fibromyalgie anerkannt, sondern zugleich die 'Elektrosensibilität' (EHS), auch bekannt als 'idiopathische Umweltintoleranz im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern'.

EHS ist klinisch durch ein der Fibromyalgie ähnliches Symptombild gekennzeichnet, ähnlich wie die Fibromyalgie jedoch weder vom staatlichen Gesundheitssystem anerkannt noch in die LEA (Livelli Essenziali di Assistenza; Katalog medizinischer Grundleistungen, auf die jeder in Italien Anspruch hat) aufgenommen worden. Die Anerkennung dieser Pathologien ist daher ein wichtiger Aspekt für all jene Menschen, die tagtäglich unter Fibromyalgie leiden und die in den meisten Fällen auf sich gestellt sind, geschweige denn Zugang zu geeigneten Therapien haben. Um die epidemiologische Inzidenz auf regionaler Ebene zu erfassen, erschien es notwendig, regionale Register für Fibromyalgie und für Elektrosensibilität einzurichten, deren Daten zur Aktualisierung der Leitlinien für die medizinischen Behandlungen und zur Durchführung klinischer und pharmakologischer Studien verwendet werden können.

Die Wartezeit wollten wir als erste mit unserem Gesetzentwurf überbrücken. Dieser zielt darauf ab, bis zur Anerkennung der Fibromyalgie und der Elektrosensibilität auf nationaler Ebene einen Unterstützungsdienst anzubieten, indem wir die Einrichtung multidisziplinärer Ambulanzen für beide Pathologien unter Mitwirkung von Fachleuten fördern. Ein regionales Koordinationszentrum wird in Kalabrien ein Netz von Ambulanzen und einen diagnostisch-therapeutischen Betreuungspfad einrichten, auch um die Standardisierung und den gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen zu gewährleisten."

Die Region Kalabrien hat im Rahmen der Zuteilung von Beiträgen gemäß dem Erlass des Gesundheitsministeriums vom 8. Juli 2022 einen Betrag von 160'034 Euro für die Organisation der therapeutischen und rehabilitativen Versorgung und der diagnostischen Pfade für Fibromyalgie-Patienten erhalten.

Quelle: Consiglio regionale della Calabria approva la Legge sulla fibromialgia

Hintergrund
Rezeption des Gesetzes durch eine italienische EHS-Organisation
Vom kalabrischen Reginalrat verabschiedeter Gesetzestext (italienisch)
Die Kalabresen scheinen ziemliche Dickköpfe zu sein, sind sie von etwas überzeugt, setzen sie ihren Kopf durch. Eine Anekdote aus den Tiefen der Mobilfunkdebatte belegt das: Der Fall Diamante [ergänzt am 23.08.2024].

Kommentar: Begrüßenswert finde ich an dem Vorgang vor allem das angekündigte Register für "elektrosensible" Personen, die sich infolge des neuen Gesetzes in medizinische Behandlung begeben. Denn das wäre mWn weltweit ein Novum und würde es erstmals zulassen, die Prävalenz von "Elektrosensibilität" in einer Bevölkerung statistisch zu erfassen, statt aus Umfragen abzuleiten. Allerdings hat Kalabrien keine große Bevölkerung, wahlberechtigt sind nur rd. 1,89 Mio. Personen. Das bedeutet: Wenn meine Formel zur Berechnung der Anzahl schwer betroffener "Elektrosensibler" stimmt, sollte sich das kalabrische EHS-Register nach ein paar Jahren auf stolze 17 Einträge eingependelt haben. Das bescheidene Budget für die angekündigten Maßnahmen sollte dafür ausreichend sein. Ich bin gespannt ... :yes:

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

"Elektrosensibilität" in Kalabrien zieht Kreise bis Stuttgart

H. Lamarr @, München, Samstag, 24.08.2024, 14:02 (vor 19 Tagen) @ H. Lamarr

Gut zu wissen, dass Diagnose-Funk nicht verborgen bleibt, was hier im Forum geschrieben wird. Die Meldung über die EHS-Anerkennung in Kalabrien wurde keine 24 Stunden später auch von dem Stuttgarter Verein verwurstet, selbstredend ohne jeden Hinweis auf die primäre Sekundärquelle in Deutschland :-).

Mit der Berichtigung einer seit 2011 verbreiteten Falschmeldung tut sich Diagnose-Funk hingegen bis heute schwer.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

"Elektrosensibilität" in Kalabrien sozial anerkannt

H. Lamarr @, München, Sonntag, 25.08.2024, 18:10 (vor 18 Tagen) @ H. Lamarr

"Der Gesetzesentwurf," so Pasqualina Straface, "den ich sowohl als Regionalrätin als auch als Präsidentin der dritten Gesundheitskommission eingebracht habe, ist nun Gesetz geworden. Mit dem heute verabschiedeten Regionalgesetz wird nicht nur die soziale Relevanz der Fibromyalgie anerkannt, sondern zugleich die 'Elektrosensibilität' (EHS), auch bekannt als 'idiopathische Umweltintoleranz im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern'.

Auch im Titel des Gesetzes ist von einer Anerkennung der sozialen Bedeutung von EHS die Rede. Aber was ist unter der sozialen Anerkennung einer Krankheit zu verstehen? Copilot weiß dazu folgendes:

Mit der “sozialen Anerkennung” einer Krankheit ist gemeint, wie eine Krankheit von der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt wird. Dies kann verschiedene Aspekte umfassen, wie zum Beispiel:

Stigma und Vorurteile: Manche Krankheiten, wie psychische Erkrankungen, können stigmatisiert sein, was bedeutet, dass Betroffene oft Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt sind.

Unterstützung und Verständnis: Eine Krankheit, die sozial anerkannt ist, wird oft mit mehr Verständnis und Unterstützung von der Gesellschaft begleitet. Dies kann sich in Form von sozialen Diensten, finanzieller Unterstützung oder einfach durch empathisches Verhalten zeigen.

Mediale Darstellung: Wie Krankheiten in den Medien dargestellt werden, kann ebenfalls die soziale Anerkennung beeinflussen. Positive und aufklärende Berichterstattung kann dazu beitragen, das Verständnis und die Akzeptanz zu erhöhen.

Gesetzliche und politische Maßnahmen: Die Anerkennung einer Krankheit kann auch durch gesetzliche Regelungen und politische Maßnahmen unterstützt werden, die den Betroffenen helfen, z.B. durch den Zugang zu medizinischer Versorgung oder durch Schutz am Arbeitsplatz.

Aha. Anscheinend ist mit einer "sozialen Anerkennung" keine "rechtliche Anerkennung" verbunden, die Betroffenen irgendwelche Rechtsansprüche einräumt. Das kalabrische Gesetz ist in diesem Punkt etwas unscharf, in Art. 1, Abs. 1 ist lediglich davon die Rede, es sei "in Erwartung einer nationalen Anerkennung" entstanden. Von Rechtsansprüchen steht in dem Gesetz nichts.

Auf meine Frage, welche Formen von Anerkennung es neben der sozialen noch gäbe, antwortete Copilot:

Ja, neben der sozialen Anerkennung gibt es auch andere Formen der Anerkennung, die wichtig sein können:

Medizinische Anerkennung: Dies bezieht sich darauf, dass eine Krankheit von der medizinischen Gemeinschaft als legitime und behandlungsbedürftige Erkrankung anerkannt wird. Dies kann die Diagnose, Behandlung und Forschung zu dieser Krankheit beeinflussen.

Rechtliche Anerkennung: Hierbei geht es darum, dass eine Krankheit durch Gesetze und Vorschriften anerkannt wird. Dies kann den Zugang zu bestimmten Leistungen, wie z.B. Krankengeld, Invaliditätsrente oder spezielle Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz, ermöglichen.

Wissenschaftliche Anerkennung: Dies bezieht sich auf die Anerkennung einer Krankheit durch wissenschaftliche Forschung und Studien. Dies kann dazu beitragen, dass mehr über die Krankheit verstanden wird und neue Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden.

Persönliche Anerkennung: Dies ist die Anerkennung, die eine Person von sich selbst oder von nahestehenden Personen erhält. Es kann bedeuten, dass die betroffene Person ihre Krankheit akzeptiert und sich selbst die notwendige Unterstützung und Pflege zugesteht.

Nach den jüngsten WHO-Reviews sehe ich für die medizinische, rechtliche und wissenschaftliche Anerkennung von "Elektrosensibilität" die nächsten 30 Jahre schwarz.

Kuriosum am Rande, das über die Detailkenntnisse des kalabrischen Regionalrats in Sachen EHS Auskunft gibt: Der in Frankreich erfundene "Welttag der Elektrosensibilität" findet bekanntlich (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) jedes Jahr am 16. Juni statt. Nicht so in Kalabrien. Laut dem Gesetz (Art. 4, Abs. 1) hat er dort im Mai stattzufinden:

Die Region richtet ohne Kosten für ihren Haushalt den regionalen Tag zur Linderung von Fibromyalgie und Elektrosensibilität ein, der jährlich am 12. Mai, dem nationalen Tag, begangen wird.

Basta!

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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