BfS-Chefin Paulini riskiert Vertrauensverlust der Bevölkerung (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 22.03.2019, 15:31 (vor 1929 Tagen) @ H. Lamarr

Mahnt ein namenloser Mobilfunkgegner aus Kleinsendelbach zur Vorsicht beim Mobilfunk, überwindet die Mahnung nur selten die Anziehungskraft des Dorfkerns. Ganz anders bei Autoritäten wie Inge Paulini, Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS): Was sie sagt hat Gewicht. Besonders jetzt, da die Versteigerung der 5G-Lizenzen läuft und die Medien fast täglich meist ohne Tiefgang die Frage ventilieren, ob mit 5G Gesundheitsrisiken verbunden sind. Zu erwarten war, Paulini, weil gut informiert, sollte die Hysterie dämpfen. Doch gegenwärtig schüttet sie wohl unabsichtlich Öl ins Feuer. Ob Absicht oder nicht, sie riskiert damit den Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Fachkompetenz des BfS.

Ein denkwürdiger Satz der BfS-Chefin

[image]Inge Paulini, seit April 2017 BfS-Chefin, strahlt irritierende Signale aus. So gestand sie der "Passauer Neue Presse" (PNP) in einem Interview, das am 19. März 2019 veröffentlicht wurde, über die biologische Wirkung höherer 5G-Frequenzen ... "haben wir noch wenige Erkenntnisse und werden mittelfristig weitere Forschung betreiben." Ein denkwürdiger Satz. Denn am selben Tag startete die Auktion zur Versteigerung der 5G-Lizenzen in Deutschland. Jedermann ist bislang stillschweigend davon ausgegangen, das Bundesamt hätte die Jahre zuvor intensiv genutzt, um die Unbedenklichkeit der neuen höheren 5G-Frequenzen frühzeitig zu ergründen. Stattdessen fängt die Prüfung erst jetzt an – viel zu spät! Von der Nachrichtenagentur AFP aus der bayerischen Provinz hinaus getragen in die Republik, verbreitet sich Paulinis Aussage wie ein Lauffeuer. Doch der vermeintliche Forschungsskandal ist keiner, er beruht auf einem Missverständnis. Denn die biologische Wirkung der jetzt versteigerten (höheren) 5G-Frequenzen um 3,6 GHz und darüber hinaus ist schon heute gut erforscht. Weniger Erkenntnisse gibt es erst für noch höhere 5G-Frequenzen über 26 GHz (bis 90 GHz). Bis die BNetzA auch diese Frequenzen in einigen Jahren versteigert, werden die Kenntnislücken geschlossen sein. Allzu schwierig ist das Unterfangen nicht, viele Erkenntnisse bei tieferen Frequenzen lassen sich gut auf höhere transformieren.

Eine Befürchtung aus der Mobilfunk-Steinzeit

Weiter heißt es in dem PNP-Interview, aus Paulinis Sicht sei offen "was geschieht, wenn etwa unterschiedliche Betreiber am gleichen Ort Sendeleistung aufbauen." Doch da ist nichts offen. Seit jeher teilen sich Netzbetreiber Standorte für Mobilfunksendemasten und die BNetzA berücksichtigt bei ihrer Genehmigung jedes Standorts nicht nur die Emission der Sendetechnik aller Betreiber am Standort, sondern sogar die Emissionen benachbarter Standorte, damit es unter keinen Umständen zu einer Überschreitung geltender Grenzwerte kommt. Dies ist seit Jahrzehnten bewährte Praxis und nichts deutet darauf hin, dass die BNetzA bei 5G-Standorten daran etwas ändern möchte.

Paulinis Auftritt bei "nano"

Am 25. Februar 2019 war Paulini in der Sendung "nano" auf 3sat zu sehen (abrufbar bis 26.02.2024). Der Sender brachte einen 3-minütigen auf Krawall gebürsteten TV-Beitrag zu 5G, in dem u.a. behauptet wird, die Versuchstiere der NTP-Studie waren "... für neun Stunden am Tag einer üblichen Mobilfunkstrahlung ausgesetzt." Das ist falsch, Thomas Gill, der als Journalist diesen Unsinn zu verantworten hat, sollte sich sein Lehrgeld zurück erstatten lassen. Nach dieser Behauptung ab Minute 1:25 wird Paulini eingeschnitten (Minute 1:53). Sie sagt: "In den Studien im Tierversuch wurden sehr sehr hohe Strahlungswerte angewendet, die sehr weit weg entfernt sind von den Strahlungen, die wir im Alltag erfahren." Bravo, damit hat sie recht. Oder auch nicht. Denn ebenso wie Gill unterlässt die BfS-Chefin die zur Interpretation der NTP-Studie wichtige Differenzierung, um welche "Mobilfunkstrahlung" es sich bei dieser Studie genau gehandelt hat. Geht es um die Strahlung von Mobiltelefonen oder um die Strahlung von Sendemasten? Beides ist das gleiche, aber nicht dasselbe. Deshalb gibt es schließlich für beide Funksignalquellen zwei unterschiedliche Grenzwerte. Mobilfunkgegner vermeiden häufig die Differenzierung nach der Quelle und reden nebulös von "Mobilfunkstrahlung", manche stehen gar im Verdacht dies zu tun, um absichtlich Verwirrung bei Laien zu stiften.

Um es kurz zu machen: Die Befunde der NTP-Studie sind mit Blick auf Sendemasten völlig belanglos, denn deren Grenzwerte, da hat Paulini recht, wurden anlässlich der Studie bis ums 75-Fache überschritten. Kein Mensch wird in der realen Welt jemals auch nur annähernd so stark von einem Sendemasten befeldet wie die Nager der NTP-Studie. Doch einige Wissenschaftler sehen die NTP-Studie nicht mit Blick auf Sendemasten, sondern auf Mobiltelefone. Dann sieht es anders aus, dann gilt der wesentlich höhere Teilkörpergrenzwert und dieser wird nur noch ums maximal 3-Fache überschritten. Das sind nun nicht mehr "sehr sehr hohe Strahlungswerte", sondern Werte in der Nähe zum Erlaubten. Paulini hätte die Gelegenheit nutzen können, der breiten Desinformation über die NTP-Studie energisch entgegen zu treten. Vielleicht mit diesen Worten: "Die NTP-Studie bringt für die Risikobewertung von Mobilfunksendemasten keinerlei Erkenntnisgewinn, dafür war die Befeldung viel zu stark. Für Mobiltelefone aber ist sie bedeutsam. Bis auf weiteres sollten Käufer vorsorglich darauf achten, Smartphones zu erwerben, die einen niedrigen SAR-Wert zeigen, und in kauf nehmen, dass diese Modelle bei schwachem Signal (z.B. in Tiefgaragen) schlechter Netz bekommen als Modelle mit hohem SAR-Wert."

Abschließend noch ein letzter Ausrutscher der BfS-Chefin, zu finden in dem 3sat-Video ab Minute 1:53: "Die Personengruppen, die wir besonders im Fokus haben," sagt Paulini, "die besonders schützenswert sind - Kinder, Säuglinge, Kranke, alte Menschen, - der Ausbau der 5G-Netze sollte auf jeden Fall so erfolgen, dass sensible Orte, Orte, wo diese Menschen sich aufhalten - Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, – dass die erst mal ausgenommen werden." Das hört sich an wie die Sorgen aus der guten alten GSM-Zeit. Doch wohin mit den Kindern, den Schülern und den Kranken, wenn deren Zeit in den Einrichtungen um ist? Dann müssen sie für längere Zeit zurück in ihre total von 5G verstrahlten Wohnungen und Häuser. Eigentlich hätte die promovierte Toxikologin merken müssen, an ihrem selbst erteilten Schutzauftrag kann etwas nicht stimmen. Der Denkfehler ist leicht zu benennen: Nicht die Sendemasten sind das Problem, sondern, wenn überhaupt, die Endgeräte!

Das muss sie abstellen

Das BfS ist die Schnittstelle "Strahlenschutz und Gesundheit" zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Das Gros der Bevölkerung hat damit kein Problem. Mobilfunkgegner und deren Vereine aber beäugen misstrauisch jeden Schritt, den das BfS macht, öffentliche Unterstellungen und Vorwürfe gegenüber dem Amt sind keineswegs selten. Das Motiv: Organisierte Mobilfunkgegner möchten dem BfS die Deutungshoheit streitig machen, ob die Mobilfunktechnik gesundheitlich unbedenklich ist oder nicht. Mit Sachargumenten ist dem Amt wegen der fachlichen Kompetenz seiner Mitarbeiter und seiner Neutralität nicht beizukommen. Schon einmal versuchte daher ein Anti-Mobilfunk-Verein, die Kompetenz des Amtes in der Mobilfunkdiskussion über einen Umweg öffentlich infrage zu stellen. Diesen Angriff überstand das BfS noch ohne erkennbaren Schaden. Doch es wird weiter am Ruf genagt, gesägt und gescharrt.

Worauf ich hinaus will, die Akzeptanz des BfS in der Bevölkerung steht und fällt mit seiner Glaubwürdigkeit. Nimmt diese Schaden, werden andere versuchen das entstandene Vakuum zu füllen. Das ist der Plan. Die obigen Äußerungen von Inge Paulini sind aus dieser Sicht heraus keine Bagatelle, sondern ein latentes Risiko für das Ansehen des Amts. Denn jede unbedachte Äußerung der Amtschefin wird außerhalb des Amtes als offizielle Stellungnahme des BfS ankommen. Die Präsidentin muss sich darüber klar werden, dass jede ihrer öffentlichen Aussagen auf die Goldwaage gelegt, und wenn irgend möglich zum Nachteil ihrer Behörde ausgelegt wird. Ein solcher Nachteil tritt schon ein, wenn – wie bereits geschehen – Mobilfunkgegner Paulini wegen ihrer unbedachter Äußerungen vereinnahmen und als Zeugin der Anklage instrumentalisieren. Das muss sie abstellen. Die Präsidentin des BfS darf sich von niemanden vor den Karren spannen lassen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Handy, Sendemast, BfS, Risikobewertung, Glaubwürdigkeit, NTP-Studie, 5G, Paulini


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