Bürger-Mitsprache bei Standortwahl wenig sinnvoll (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 11.02.2011, 01:00 (vor 4969 Tagen) @ H. Lamarr

Es geht um Mitsprache.

Meine Meinung: Nein, es geht überhaupt nicht um Mitsprache, sondern ums Geschäft.

Denn wie sollen Pappkameraden wie Horst-Rüdiger und Marianne denn kompetent mitreden können, wenn es um die Standortwahl eines neuen Mobilfunksenders geht? Sie können es eben nicht, nicht weil sie zu doof dafür sind, sondern weil ihnen das Wissen ob der komplexen Zusammenhänge fehlt.

Um genau diese Problematik geht es in der 2010 publizierten Studie The public's knowledge of mobile communication and its influence on base station siting preferences von Marie-Eve Cousin und Michael Siegrist (nicht Johannes Siegrist).

Abstract
The present paper explores what people know about mobile communication and how this understanding influences people's perceptions and preferences in regard to this omnipresent technology. As shown in the past, cell phone base station siting often turns out to be a conflictive process. Citizens are not willing to tolerate base stations in their neighbourhoods because they fear health consequences. They insist on siting base stations outside residential areas. This solution resolves social conflict, but it may lead to more radiation for the phoning population. From a public health perspective, base stations should be located close to the people using cell phones. Knowledge and beliefs therefore play a critical role. A questionnaire, based on mental model methodology, was designed to learn more about people's knowledge, intuitive understanding, exposure awareness, and base station siting preferences. The mail-survey, conducted in the German-speaking part of Switzerland (N = 765; response rate 41 %), showed that laypeople's knowledge varied considerably across knowledge domains and depended on demographic characteristics. Participants had limited knowledge about interaction patterns between cell phones and base stations, and they misjudged the resulting exposure magnitudes. The observed knowledge gaps or misconceptions were related to respondents' preferences regarding base station siting. These findings provide guidance to improved conceptualisation of consumer information in regard to personal exposure awareness and, if desired, prevention.

Ich hatte Gelegenheit, in die Studie hinein zu schnuppern (Volltext), die den Teilnehmern 26 konkrete Fragen (Behauptungen) zu vorwiegend technischen Aspekten des Mobilfunks vorsetze, und in zwei Aufgaben das Verständnis elementarer Zusammenhänge für die Funkfeldbelastung bei unterschiedlichen Szenarien (Handy und Basisstation) abfragte.

Das Ergebnis ist im Hinblick auf "Mitsprache der Bürger" desaströs, denn der Kenntnisstand der Bürger ist ähnlich schlecht wie der von Allgemeinmedizinern. Folgendes Beispiel mag dies verdeutlichen. Eine der 26 Behauptungen, die die Teilnehmer bewerten mussten, lautet: Wenn die Empfangsanzeige am Handydisplay einen starken Ausschlag zeigt, dann bin ich von meinem Handy weniger Strahlung ausgesetzt als bei schwachem Ausschlag. Lösung: Diese Behauptung ist richtig, jeder der hier regelmäßig mitliest hätte diese Antwort wahrscheinlich mühelos auf Anhieb geben können. Bei unbeleckten Laien aber sieht es anders aus. 51,5 % der Teilnehmer glaubten, diese Behauptung sei falsch, rd. 28 % konnten sich nicht entscheiden und nur rd. 20,4 % tippten richtig. Nicht immer schnitten die Schweizer bei der Studie so schlecht ab, besonders groß waren die Defizite jedoch immer dann, wenn nicht intuitiv richtig zu beantwortende Zusammenhänge abgefragt wurden.

Unter solchen Umständen kann die Mitsprache von Bürgern bei der Standortwahl von Mobilfunk-Basisstationen nur in den Graben führen. Jedenfalls immer dann, wenn die Mitsprache nicht dem hässlichen Erscheinungsbild eines Masten gilt, sondern angeblichen Gesundheitsrisiken, die von interessierter Seite immer wieder ins Spiel gebracht werden, obwohl sich dafür keine objektiven Belege in den Studiendatenbanken finden lassen.

Es lohnt sich deshalb künftig einmal kritisch darauf zu achten, wer denn eigentlich die Mitsprache der Bürger bei der Standortwahl befürwortet und mit welcher Begründung dies geschieht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Bürgerbeteiligung


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