Geschäftsmodell: Anerkennung von Elektrosensibilität (EHS) (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Samstag, 10.07.2010, 14:52 (vor 5247 Tagen)

Im Zusammenhang mit Elektrosensibilität (EHS) geht es immer mal wieder um die "Anerkennung" der EHS als Behinderung, etwa hier oder dort. Dabei wird die "Anerkennung" stets wie ein imaginäres edles Gut gehandhabt im treuherzigen Sinne von: Wir wollen doch nur anerkannt sein, um endlich den Ruf der Spinner los zu werden, sonst nix. Mit so einer "Anerkennung" könnte dann, so träumen einige EHS, eine Art EHS-Freistaat errichtet werden, eine ganz und gar funkfreie Schutzone, ein Ghetto für EHS. So weit ist der Wunsch nach "Anerkennung" richtig edel, weil sozial und irgendwie selbstlos.

So gut wie nie wird jedoch öffentlich über ein anderes Motiv der "Anerkennung" geredet, nämlich das Erlangen dessen, was im Volksmund Frührente heißt. Vielleicht ist das deshalb kein Thema, weil es ums liebe Geld geht, worüber kaum einer gerne spricht, wenn es um seins geht. Das Motiv Frührente ist nicht mehr edel und sozial, sondern eher egoistisch und es leidet unter einem schwerwiegenden Verdacht. Der Gedanke ist ja auch zu verlockend: Man legt sich eine Behinderung zu, deren Ursache wissenschaftlich nicht zu packen ist, und strebt wegen angeblicher Arbeitsunfähigkeit infolge EHS die Frührente an. Viel Phantasie braucht es nicht, um sich auszumalen, dass diese Verlockung Schwindler anzieht, die sich auf Staatskosten auf die faule Haut legen möchten. EHS über 65 sind von diesem Verdacht natürlich nicht betroffen, wie aber steht es um jüngere EHS, wie etwa den bekannten Uli W.? Der hatte tatsächlich die Frührente angestrebt, ist damit jedoch 2009 vor Gericht gescheitert. Er musste scheitern, ansonsten wäre Simulanten oder eingebildeten EHS Tür und Tor offen gestanden, sich unter Berufung auf EHS und mit fadenscheinigen EHS-Gutachten vom mühsamen Broterwerb diskret zu verabschieden.

In Deutschland ist es nicht so leicht, sich eine Behinderung "zuzulegen". Denn um den Grad einer Behinderung festzustellen, wird ein ärztliches Gutachten erstellt. Bei der Bewertung richtet sich der ärztliche Gutachter nach Richtlinien. Dort heißt es u.a. im Abschnitt "Schmerzen und psychische Begleiterscheinungen müssen berücksichtigt werden": Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen sind anzunehmen, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einem solchen Ausmaß vorliegen, dass eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen - z. B. eine Psychotherapie - erforderlich ist. Da ist es also wieder, das Zauberwort, das EHS so gar nicht hören wollen, und das diejenigen anscheinend in eine Zwickmühle bringt, die auf Frührente aus sind.

Aus meiner Sicht versuchen ein paar Gewitzte, das Thema "Anerkennung der EHS" immer wieder neu ins Gespräch zu bringen, um den Eindruck zu erwecken, es baue sich Druck auf. Ziel ist es, jüngere EHS zu akquirieren, die sowohl die überalterte Szene auffrischen als auch mit Aktionismus die gesamte Mobilfunkdebatte beleben sollen. Da EHS auf zahlenmäßig sehr niedrigem Niveau unterwegs sind, wären schon zwei oder drei so gewonnene jüngere EHS ein großer Erfolg. Das eigentliche Ziel der Drahtzieher beim Thema "EHS Anerkennung" ist mMn die Belebung der Mobilfunkdebatte und die damit einhergehende Geschäftsbelebung.

Eine fixe Idee? Vielleicht. Es sollte einem jedoch zu denken geben, dass der jüngste Anlauf, die "Anerkennung der EHS" wieder einmal ins Gespräch zu bringen, nicht von einer EHS-Organisation kommt, sondern von der Bürgerwelle Schweiz, deren Macher, Peter Schlegel, Baubiologe ist, also jemand, der am Fortbestand der Mobilfunkdebatte wirtschaftliches Interesse hat. Welches Ziel verfolgt dieser Mann, die inzwischen vier (nicht zwei) Jahre alte Einschätzung eines einzigen schwedischen Wissenschaftlers zu EHS anno 2010 ins Deutsche zu übersetzen und durch die üblichen Alarmierungskanäle zu pumpen? Pure Menschenfreundlichkeit? Ich mag nicht dran glauben.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Filz, Geschäftsmodell, EHS, Frühverrentung, Behindertenstatus, Simulant, Schlegel, psychische Störung, Phantasiekonstrukt, Frührente, Synergie, Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderungsrente


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