Wir üben Desinformieren (13): Bagatellvergehen aufblähen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 26.09.2024, 02:06 (vor 22 Stunden, 53 Minuten)

Was mit Bagatellvergehen aufblähen gemeint ist, mag ein Beispiel verdeutlichen. Wer in München einen Baum pflanzt, muss zum Nachbargrundstück einen Mindestabstand von 2,00 Meter einhalten, gemessen von der Stammmitte. Und jetzt stellen Sie sich vor, Ihr böser Nachbar hätte den Abstand bei einem Baum nachgemessen, den Sie vor einigen Jahren pflanzten, und 1,99 Meter festgestellt. Dann könnte der Nachbar, eben weil er böse ist, Ihnen die Hölle heiß machen und theoretisch vor Gericht ein Umpflanzen des Gehölzes erstreiten. Bagatellvergehen aufblähen bedeutet also rigoroses Pochen auf eine rechtliche Regelung, selbst dann, wenn der Verstoß äußerst geringfügig ist und niemand erkennbar einen Nachteil davon hat. Behörden beharren in aller Regel auf der Ahndung von Bagatellvergehen, weil sie verpflichtet sind, alle gleichzubehandeln und nicht mal so und mal anders zu entscheiden.

Gigaherz-Jakob ist keine Behörde, Mobilfunknetzbetreibern ist er seit eh und je böse gesonnen. Für ihn kommt ein Artikel der alternativen Online-Zeitung Infosperber deshalb wie gerufen. Der gut recherchierte, aber tendenziöse Artikel prangert an, von insgesamt 76 (seit 2022) staatlich kontrollierten Mobilfunkanlagen in der Deutschschweiz und in der Romandie hätten 37 Prozent Mängel aufgewiesen – besonders häufig in der horizontalen Senderichtung und in der Montagehöhe der Antennen.

Hinweis: Die 76 Mobilfunkanlagen entsprechen gemäß Bafu 108 Mobilfunkbasisstationen. Das kommt so: Häufig werden Standorte von mehreren Betreibern genutzt und gelten dann als eine Anlage. Die Antennen und Senderbaugruppen eines Betreibers gelten hingegen als eine Basisstation.

Der Vorwurf liest sich ohne Hintergrundinformationen erstmal ziemlich dramatisch. Genau richtig für Gigaherz-Jakob. Er verwurstet den Infosperber-Artikel auf seiner Website unter dem Titel "Weltweit liederlichstes Sicherheitssystem wird überprüft".

Ein vom Bafu im April 2024 veröffentlichtes Faktenblatt, auf das Infosperber fairerweise verlinkt, Jakob nicht, relativiert die Dramatik allerdings schnell. Es benennt u.a. die zulässigen Montagetoleranzen für die Prüfpunkte Antennenhöhe (±20 cm), Azimut (±2,5°) und mechanischer Neigungswinkel (±0,5°). Größere Abweichungen von den bewilligten Sollwerten werden als Baufehler gewertet. Interessanterweise selbst dann, wenn der Baufehler zu einer schwächeren Expositionen von Anwohnern führt! Und dieser Fall war keineswegs die Ausnahme, wie vergleichende Immissionsberechnungen (fehlerhafte Montage vs. fehlerfreie Montage) ergaben. Der Vergleich der Exposition an den drei am stärksten belasteten OMEN pro Anlage (insgesamt 66 OMEN) lieferte folgende Ergebnisse:

• bei 21 OMEN nahm die Exposition zu
• bei 19 OMEN nahm die Exposition ab
• bei 26 OMEN blieb die Exposition gleich

Weder Infosperber noch Gigaherz-Jakob weisen auf diesen Sachverhalt hin.

Das Faktenblatt des Bafu gibt auch konkret Auskunft, welche Folgen die Baufehler für die 21 OMEN mit erhöhter Exposition hatten:

Bei 16 Standorten wurde eine Zunahme von weniger als 0,1 V/m festgestellt. An zwei weiteren Standorten betrug die Zunahme an den OMEN zwischen 0,1 V/m und 0,2 V/m. An drei Standorten wurde eine Erhöhung der elektrischen Feldstärke um 0,3 V/m, 0,49 V/m und 0,63 V/m festgestellt.

Wichtig ist festzuhalten, so das Bafu, dass dabei nirgends eine Überschreitung des Anlagegrenzwerts festgestellt wurde. Aber: Diese Aussage des Bafu beruht auf Berechnungen. Infosperber zufolge ergaben zwölf kantonale Kontrollmessungen in Bern (2023 und 1. HJ 2024) bei drei OMEN Überschreitungen des Anlagegrenzwerts (5 V/m), die jedoch alle unter 1 V/m blieben und daher ohne Belang sind.

Fazit: Ja, von den Mobilfunknetzbetreibern beauftragte Subunternehmer nehmen es bei der Errichtung von Mobilfunkbasisstationen nicht immer so genau. Die bislang gefundenen Baufehler sind jedoch marginal und mehr als 2/3 der Fehler wirken sich entweder nicht auf die Exposition von Anwohnern aus oder bewirken sogar eine schwächere Exposition als bei fehlerfreier Montage. Selbst gelegentliche maßvolle Überschreitungen des Anlagegrenzwerts sind kein Grund zur Sorge, denn der Anlagegrenzwert ist ein Vorsorgegrenzwert, kein Gefährdungsgrenzwert. Gleichwohl gilt für die Schweiz, deren Bevölkerung von organisierten Mobilfunkgegnern systematisch gegenüber HF-EMF-Immissionen sensibilisiert wurde, zur De-Eskalation die Devise: Vertrauen ist gut, doch Kontrolle ist besser. Die Blähboys Infosperber und Gigaherz-Jakob versuchen nun trotz dünner Faktenlage das Vertrauen der Bevölkerung in die staatliche Kontrolle zu untergraben. Ich sehe darin keine investigative, sondern eine staatsfeindliche Gesinnung, die sich dem Schüren irrationaler Furcht gegenüber HF-EMF als Mittel zum Zweck bedient.

Hinweis: Das oben im Text erwähnte Faktenblatt des Bafu hat seinerseits einen Link auf ein älteres Faktenblatt zum Thema vom Oktober 2022. Doch der Link ist tot. Im Webarchiv ist das ältere Faktenblatt jedoch noch zu haben.

Hintergrund
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Alle Folgen der Reihe "Wir üben Desinformieren"

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Wir üben Desinformieren (13): Bagatellvergehen aufblähen

Gustav, Donnerstag, 26.09.2024, 15:16 (vor 9 Stunden, 42 Minuten) @ H. Lamarr

Der Beitrag von Jakob hat noch einen weiteren Schwachpunkt. In seinen Triaden gegen das QS-System wettert Jakob eigentlich nur gegen die fernsteuerbaren Parameter wie Sendeleistung und elektrischer Tilt.
Bei dieser Kontolle des BAFU wurden jedoch nur physikalische Parameter wie z.B. die Höhe der Antenne überprüft, also genau jene Parameter die eben nicht ferngesteuert sind und damit auch nicht automatisch überwacht werden können.
Aber von giaherz.ch kam noch nie etwas Intelligentes.

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