Hirntumor: Anwälte des Klägers entfachen Medienrummel (Allgemein)
Hier ein paar weitere Fakten über den Fall:
Der "Stern" schreibt: Der Richterspruch datiert vom 11. April, wurde aber von den Justizbehörden im norditalienischen Ivrea erst am Donnerstag bekannt gemacht. "Weltweit zum ersten Mal hat ein Gericht die unsachgemäße Verwendung eines Handys als Ursache für einen Gehirntumor anerkannt", erklärten die Anwälte Stefano Bertone und Renato Ambrosio.
Da stimmt einiges nicht. Das urteilende Gericht in dem Städtchen Ivrea etwa 50 km nordöstlich von Turin (Tribunale di Ivrea) verliert über den Fall des Roberto Romeo öffentlich kein Wort. Richtig ist: Romeos Anwälte organisierten für den 20. April eine Pressekonferenz (PK) und brachten den Fall damit in die Medien. Ausschnitte aus dieser nicht einmal gut besuchten Veranstaltung sind hier im Video zu sehen. Noch am selben Tag verbreitete die französische Nachrichtenagentur AFP die Meldung weiter.
Überlaufen war die Pressekonferenz der Anwälte nicht, und die Journalisten, die
da waren, schauten lieber auf ihr Smartphone
Stefano Bertone ist Anwalt in der Kanzlei von Ambrosio&Commodo, Turin. Diese Kanzlei ist seit längerem mit der Vertretung von "Mobilfunkopfern" im Geschäft, im April 2015 trat Bertone in Bozen als Referent bei einer Mobilfunk-Anhörung des Südtiroler Landtags auf. Wer italienisch versteht, kann sich noch heute seinen Vortrag in der Nachmittags-Session ab Minute 46:50 anschauen.
Wer sich das Video von der PK angesehen hat, dem ist vielleicht der Schriftzug I.P.S.E.G. aufgefallen, der so schön hinter dem Podium zu erkennen ist. Dahinter verbirgt sich ein "Institut". Seit meinen Erfahrungen mit dem "Umweltinstitut München" bin ich Instituten gegenüber misstrauisch. Bei dem italienischen Institut handelt es sich um das (übersetzt) "Piemontese Institut für Wirtschafts- und Rechtswissenschaft". Angeblich soll es ohne Gewinnabsicht den Menschen Gutes bringen. Zufälligerweise haben die Anwälte Ambrosio und Commodo im Exekutivkomitee des Instituts ordentliche Posten. Welche Rolle das I.P.S.E.G. im Fall Romeo spielt konnte ich auf die Schnelle nicht recherchieren.
Die Kanzlei benutzt den Fall Romeo offensichtlich, um offensiv Eigenwerbung damit zu betreiben und sich als Rechtsvertretung für ähnliche Fälle zu empfehlen. Ohne die PK der Anwälte wäre der Medienrummel nicht angestoßen worden. Den ausgeprägten Geschäftssinn der Kanzlei erkennt man auch daran, dass sie vor wenigen Tagen eine Website gegründet hat, die gezielt Vieltelefonierer mit einem Hirntumor vom Typ Akustikusneurinom an die Anwälte heranführen soll.
Der Richter im Fall Romeo heißt Luca Fadda, hat mit Lord Darth Vader aber nichts zu tun.
Prozessgegner Romeos war wieder, wie im Fall Marcolini (2012), Inail, der gesetzliche Träger der Arbeitsunfallversicherung (Istituto Nazionale per l’Assicurazione contro gli Infortuni sul Lavoro). Deshalb ist es unzutreffend, wenn die Anwälte Romeos vom "weltweit ersten Fall" reden.
Um welche Instanz es sich bei dem aktuellen Urteil handelt und ob Inail in die nächste Instanz weiter zieht, dazu habe ich keine Informationen gefunden, auch das Urteil war für mich heute in italienischen Quellen unauffindbar.
Hintergrund
Das Anwaltsgeschäft mit angeblichen Mobilfunk-Hirntumoren (Thank you for Calling)
Der Fall Ricardo de Francisco, Spanien (2016)
Der Fall Marine Richard, Frankreich (2015)
[Admin: 23.04.17 Angaben zur Trägerschaft von Inail berichtigt]
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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