Es war einmal ein "Wipfelstecher", ... (Technik)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 11.09.2025, 22:01 (vor 1 Tag, 2 Stunden, 37 Min.) @ Schutti2

Erstmals 2012 tischte Herr Jakob die Geschichte vom Wipfelstecher auf.

Weil Gigaherz-Ex-Präsident Jakob sich ein Techno-Märchen nach dem anderen aus den Fingern saugt, kriege ich den Verdacht nicht los, der betagte Ex-Elektriker leidet an unbehandelter Pseudologia Phantastica. Der folgende kleine Faktencheck von Jakobs alter "Wipfelstecher"-Story aus dem Jahr 2012 bestätigt diesen Eindruck aufs Neue.

Schauen wir uns zuerst einmal an, was Gigaherz-Jakob unter dem oben im Zitat verlinkten Beitrag aus dem Jahr 2012 behauptet hat:

[...] Selbstverständlich gab es schon vor 20 Jahren kein Baumsterben durch Elektromagnetische Felder von Sendeanlagen. Der Wipfelstecher war es. Ein von der Telecom gerade neu entdecktes Insekt, welches Tannenwipfel unterhalb 1.5m vom oberen Ende anbohrte und dann seine Eier in das Bohrloch legte.

Eine von der Anwohnervereinigung gestartete weltweite Umfrage unter 20 Entomologen, zu Deutsch Insektenforschern, ergab dann allerdings, dass dieses Viech völlig unbekannt war. Was wiederum mit den Beobachtungen bei gefällten Bäumen übereinstimmte. Es gab nämlich auch keine Bohrlöcher. [...]

Hans-U. Jakob, der große Botaniker

Unmittelbar vor dieser Behauptung erzählt Jakob im selben Beitrag etwas von 15 V/m gemessen in Wipfelhöhe (25 m über Grund) einer Tanne und 1,5 V/m gemessen dicht über dem Erdboden. Die Differenz beider Werte nennt der Ex-Elektriker "Spannungsdifferenz" (tatsächlich ist es eine Feldstärkedifferenz). Wegen dieser "Spannungsdifferenz" soll ein "Ausgleichsstrom" über die "Wasserwege" des Baumes gegen Erde geflossen sein und dieser "Ausgleichsstrom" soll seinerseits den Wassertransport von den Wurzeln in den Wipfel behindert oder gar unterbunden haben. Dieser atemberaubend dilettantische Erklärungsversuch Jakobs wäre eine nähere Betrachtung wert, hier und jetzt geht es aber einzig und allein um Jakobs "Wipfelstecher".

Anschuldigung auf dünnen Beinchen

Wie üblich plaudert der Ex-Elektriker nur daher, ohne seine Behauptungen mit Quellen oder Links zu belegen. So ist denn der einzige Hinweis auf eine Verbindung des "Wipfelstechers" zur Mobilfunkindustrie die vage Passage: "Ein von der Telecom gerade neu entdecktes Insekt". Ob Jakob mit "Telecom" die Deutsche Telekom oder allgemein die "Telecom"-Industrie meint, dürfen sich die Leser selbst zusammenreimen. Die retrospektive Literaturrecherche mit ChatGPT in Zeitungsarchiven hat jedoch keinerlei Treffer dafür ergeben, um 2012 herum könnte irgendein Mobilfunknetzbetreiber versucht haben, mit dem "Wipfelstecher" Wuchsschäden im Wipfel von Bäumen zu erklären. Dies deutet stark darauf hin, Jakob hat sich die "Wipfelstecher"-Story exklusiv selbst aus den Fingern gesaugt. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Begebenheiten frei erfindet. Dem Gigaherz-Ex-Präsidenten steht es nun frei, mich eiskalt zu widerlegen, indem er Belege für seine Behauptung beibringt, der "Wipfelstecher" sei ein "von der Telecom gerade neu entdecktes Insekt". Solange er diese Belege nicht beibringt, bleibe ich bei meinem Verdacht.

Der Wipfelstecher: Es gibt ihn, es gibt ihn nicht, ...

Im zweiten Absatz des Jakob-Zitats oben versucht er den Eindruck zu erwecken, der "Wipfelstecher" sei ein Phantominsekt, das noch nicht einmal Insektenforschern bekannt ist. Vermutlich soll dadurch der falsche Eindruck gefestigt werden, "die Telecom" und nicht er habe den Baumschädling frei erfunden.

Dummerweise ist der "Wipfelstecher" jedoch keine pure Erfindung, denn die Existenz dieses Baumschädlings ist belegt. Und zwar wunderbar passend zu Märchenonkel Jakob ausgerechnet von den Gebrüdern Grimm, die nicht nur Märchen gesammelt haben, sondern 1854 auch das Deutsche Wörterbuch herausgaben. Und darin heißt es klipp & klar:

wipfelstecher, m., vgl. wipfelbeiszer: sie (die baumschädlinge) werden sonst auch wipfelstecher oder lisetten genennet allg. haush.-lex. (1749) 3, 746. —

Etwas ausführlicher ist der Eintrag zum "Wipfelbeiszer":

wipfelbeiszer, m., name eines baumschädlings, vgl. 1DWb wipfelstecher, zu wipfel 1 a α γγ: wipfelbeiszer ist ein kleines ungeziefer, welches nicht nur die wipfel der junggewachsenen zweiglein abbeiszet, sondern auch die junggepfropften und oculirten hochstämmigen bäume beschädigt allgem. haush.-lex. (1749) 3, 746. —

Womit die Existenz des Baumschädlings "Wipfelstecher" zweifelsfrei belegt ist. Dem Wörterbuch zufolge handelt es sich dabei nicht um die Bezeichnung eines bestimmten Insekts, sondern um die Bezeichnung einer Gattung oder Familie. Und anscheinend ist mit "Wipfel" etwas anderes gemeint als der Hauptwipfel eines Baumes. Und die alternative Bezeichnung "Lisetten" könnte als Hinweis betrachtet werden, dass es sich um saugende Insekten handelt, die keine Löcher ins Holz bohren, um dort Eier abzulegen.

Fazit

Schaut man nur ein klein wenig genauer hin, zerplatzt auch diese Schauergeschichte von Jakob, wie alle seine anderen, wie eine Seifenblase. Deshalb gilt nach wie vor die Merkregel: Glaube keinem organisierten Mobilfunkgegner ungeprüft auch nur ein Wort. Wünscht dir einer z.B. einen guten Morgen, erwidere den Gruß erst nach einem Kontrollblick auf die Uhr. Denn es könnte längst Abend sein :-).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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