Quo vadis, Lebrecht von Klitzing? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 30.05.2013, 21:39 (vor 4144 Tagen)

In der zuletzt publizierten Elektrosensiblen-Studie (von Klitzing/A. Tüngler) steht etwas, was unseren Ex-Teilnehmer "wuff" erfreuen wird:

In 1981 the WHO wrote in its report on radiofrequency and microwaves: “SAR alone cannot be used for the extrapolation of effects from one biological system to another, or for the extrapolation of biological effects from one frequency to another.”

Die WHO hatte also schon 1981, Zweifel an der Aussagekraft des SAR-Werts.

Hatte sie das wirklich?

Mir kommt dies spanisch vor. Gab es denn 1981 überhaupt schon "den SAR-Wert" und gab es, weil dieses Biest so schwierig zu messen ist, numerische Verfahren, den SAR-Wert zu bestimmen?

Auf der Suche nach der Historie des SAR-Werts bin ich im www nicht weit gekommen. Allerdings habe ich in meinem Fundus eine Fachpublikation aus dem Jahr 1981 (Mikrowellen, biologische Wirkungen und Grenzen, Valvo-Brief vom 31. Juli 1981), in der es den SAR-Wert noch nicht gibt. Darin wird auch die Geschichte der EMF-Grenzwerte erzählt, beginnend 1958, als die US-Luftwaffe 10 mW/cm² (100 W/m²) als Dauerbefeldung für gut hieß. Gemäß diesem Dokument wird 1981 der Grenzwert (auch in Deutschland) noch in Gestalt einer zulässigen Leistungsflussdichte definiert, keine Spur von Teilkörper- oder Ganzkörper-SAR.

Wie aber kommt dann v. Klitzing zu seiner Behauptung, deren Quelle auch im Literaturverzeichnis der Arbeit nur vage auftaucht (WHO. 1981. Radiofrequency and Microwaves. Geneva: World Health Organisation)?

Die Suche führte mich zur WHO-Website und dort wurde ich nach einigem hin und her auch tatsächlich genau 1-mal fündig - und erschrak.

Denn die Fundstelle bringt nicht wie erwartet ein verstaubtes WHO-Dokument zum Vorschein, sondern eine Präsentation der österreichischen Mobilfunkgegnerin Eva Maršálek, präsentiert 2005 auf einem WHO-Workshop (Base stations & wireless networks: Exposures and health consequences, Geneva, 15 – 17 June 2005).

In der Präsentation taucht der oben von v. Klitzing zitierte Satz jedoch anders auf:

SAR alone cannot be used ... for the extrapolation of biological effects from one frequency to another.

Dies macht deutlich, v. Klitzing kann nicht von Maršálek abgeschrieben haben, womöglich ist er im Besitz dieses mehr als 30 Jahre alte Dokuments. Im www konnte ich es jedoch nicht finden nur Spuren davon, z.B. auf der Seite von Dr. Oberfeld in einem Artikel von Prof. Kundi (PDF, 7 Seiten, englisch). Darin ist auch von einem SAR-Wert (4 W/kg) die Rede, der schon 1984 vereinbart worden sei.

Sieht so aus, als ob der SAR-Wert bereits kritisiert wurde, noch bevor er geboren wurde, wobei sich im Netz kein handfester Beleg dafür findet, was da die WHO 1981 denn nun genau gesagt hat.

Auf der Suche nach dem ominösen WHO-Papier bin ich auf diese schöne Fundstelle gestoßen. Schön deshalb, weil sie schön alt ist (1993) und gleich im ersten Satz gesagt wird, wo der Hammer hängt: "This report contains the collective views of an international group of experts and does not necessarily represent the decisions or the stated policy of the United Nations Environment Programme, the International Radiation Protection Association, or the World Health Organization."

Gut möglich, dass sich die WHO auch schon 1981 so klar von einem WHO-Report distanziert hat.

Um die Story abzukürzen: In der Präsentation von Frau Maršálek wird die unauffindbare Quelle etwas genauer spezifiziert, statt "WHO", wie bei v. Klitzing, heißt es dort: "After extended collaboration a WHO/IRPA Task Group on Environmental Health Criteria for Radiofrequency and Microwaves issued the first document in 1981."

Und wer, bitte, ist jetzt IRPA?

Wer es nicht weiß, den schicke ich hierhin.

"Repacholi ist Gründungsmitglied des International Non-Ionizing Radiation Committee (INIRC) und der International Radiation Protection Association (IRPA), aus beiden ging die International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) hervor, deren erster Vorsitzender der Australier 1992 wurde."

Im Grunde zitiert LvK also (unabsichtlich) den Repacholi Mike. Bingo!

Noch Fragen?

Ja, ich: Wenn ICNIRP in München erst im Januar 1994 als Verein eingetragen wurde, wie konnte Dr. Michael Repacholi dann 1992 deren erster Vorsitzender sein? Nicht einmal mehr auf die Auszüge aus Vereinsregistern kann man sich heute verlassen. Früher war das alles besser ;-).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
ICNIRP, Oberfeld, WHO, Repacholi, Klitzing, SAR-Wert, Kundi


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