Recht: Das Ermessen der Kommunen liegt meist bei Null (Allgemein)

Gast, Dienstag, 31.03.2009, 08:39 (vor 5698 Tagen)

Begünstigt vom Gesetzgeber: Nur städtebauliche Argumente können den Bau von Mobilfunkanlagen verhindern. Mit gesundheitlichen Bedenken wenden sich Mobilfunk-Gegner gegen den Bau von Antennen. Genau solche Argumente aber verfangen nicht, erklärt Dr. Helmut Schuster, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, im Gespräch mit der RUNDSCHAU.

RICHARD FÄRBER

RUNDSCHAU: Herr Dr. Schuster, es geht das Gerücht, Ihnen sei es gelungen, den Bau eines Mobilfunkmasts in einem Wohngebiet zu verhindern. Wie haben Sie das geschafft?

Dr. HELMUT SCHUSTER: Der Fall betraf den Altstadtbereich der Stadt Hechingen. Dort ist ein reines Wohngebiet ausgewiesen, in dem Antennenanlagen auf den Dächern aus städtebaulichen Gründen, also wegen der besonderen Bedeutung der Altstadtkulisse, ausgeschlossen sind. Es handelt sich aber um einen Einzelfall, der nicht verallgemeinerungsfähig ist.

In Baden-Württemberg können Mobilfunkanlagen bis zu zehn Metern Höhe ohne Baugenehmigung errichtet werden. Heißt das, dass Funkmasten nach Gusto in die Landschaft gestellt werden dürfen.

SCHUSTER: Nein, das darf man prinzipiell nicht. Mobilfunkanlagen sind zwar genehmigungsfrei. Wenn aber im Bebauungsplan inhaltliche Beschränkungen bestehen wie beispielsweise in Hechingen, dann dürfen Mobilfunkanlagen nicht errichtet werden. Die Frage der Höhe sollte man übrigens nicht überbewerten. Wer höher bauen will, muss nur eine Genehmigung beantragen.

Kritiker behaupten, dass das Interesse der Mobilfunkbetreiber mittlerweile über der Planungshoheit der Gemeinden steht.

SCHUSTER: Diese Feststellung ist so nicht zutreffend. Mobilfunkanlagen werden vom Gesetzgeber zwar grundsätzlich begünstigt, weil man eine flächendeckende Versorgung erreichen will. Die Standorte werden in diesen Vorschriften aber nicht geregelt. Dafür sind die Bebauungspläne da. Mobilfunkmasten sind ja häufig selbständige, gewerblich genutzte Anlagen. Für jedes Baugebiet muss geprüft werden, ob solche Anlagen dort untergebracht werden können. In Gewerbe- und Industriegebieten versteht sich das von selbst, aber auch in Mischgebieten sind sie generell zulässig. Allgemeine und reine Wohngebiete aber sind vom Grundsatz her nicht für gewerbliche Anlagen gedacht. Die Frage, ob eine Befreiung oder eine Ausnahme zu erteilen ist, stellt sich also nur hier.

Bedeutet das, dass die Kommunen Mobilfunkmasten in Wohngebieten über den Bebauungsplan grundsätzlich verhindern können?

SCHUSTER: Die Einflussmöglichkeiten der Kommunen dürfen nicht überbewertet werden. Wenn ein Anspruch nachgewiesen werden kann, erteilen die Baurechtsbehörden auch in Allgemeinen und reinen Wohngebieten eine Befreiung. Die Rechtssprechung ist da eindeutig: Wenn kein städtebaulicher Grund erkennbar ist, der gegen den Bau einer Mobilfunkantenne sprechen würde, reduziert sich der Ermessensspielraum auf Null, die Befreiung ist zwingend zu erteilen. Grundsätzlich gilt also, dass solche Mobilfunkanlagen in nahezu allen Baugebieten zugelassen werden können. Will man sie in der Bauleitplanung, also im Bebauungsplan wirksam ausschließen, helfen nur städtebauliche Argumente.

Welche Steuerungsmöglichkeiten haben die Kommunen dann überhaupt?

SCHUSTER: Sie können versuchen, die Standorte zu gliedern. Sie schließen in bestimmten Bereichen Mobilfunk-Antennen aus, weisen den Betreibern dafür aber andere Standorte zu. Es muss dann aber sicher gestellt sein, dass diese alternativen Standorte tatsächlich verfügbar sind. Ist das nicht der Fall ist, gibts wieder Druck auf die ausgeschlossenen Gebiete. Wenn dann ein Grundstückseigentümer bereit ist, eine Antennenanlage auf seinem Haus zu dulden, wird man den Bau nicht verhindern können. Es gab einen Fall, bei dem einem Mobilfunkbetreiber erlaubt wurde, eine Anlage im Außenbereich zu errichten. Er hatte im angrenzenden Gewerbegebiet nachweislich niemanden gefunden, der ihn auf seinem Grundstück bauen lassen wollte. Ein Grundstück zu kaufen war ihm aus finanziellen Gründen nicht zuzumuten. Das Beispiel macht deutlich, dass man unter Umständen gar nicht konsequent steuern kann.

Sollten die Kommunen selbst Flächen bereithalten?

SCHUSTER: Eine Verpflichtung besteht nicht, aber es wird empfohlen. Die Mobilfunkbetreiber haben Absprachen mit den kommunalen Spitzenverbänden getroffen, wonach die Standorte im Dialog mit den Kommunen gefunden werden sollen. Wenn die Kommune möchte, dass bestimmte Gebiete verschont werden, muss sie eben für eine entsprechende Verfügbarkeit von Flächen Sorge tragen. Und der Konsens mit dem Betreiber ist leichter zu erreichen, wenn die Gemeinde selbst Flächen anbietet. Meine Erfahrung zeigt, dass die Mobilfunkbetreiber dann auch versuchen, reine und allgemeine Wohngebiete so weit es geht zu meiden oder zumindest nicht in der Nähe von Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen zu bauen. Auf dem Dialogweg gelingt es oft, dass solche aus Bevölkerungssicht kritische Standorte geschont werden.

Warum werden gesundheitliche Bedenken von den Gerichten eigentlich nicht berücksichtigt?

SCHUSTER: Weil Eigentumsfreiheit herrscht. Nach geltendem Recht kann man mit seinem Eigentum tun und lassen, was man möchte, sofern es keine Einschränkungen durch Gesetze oder Verordnungen gibt. So lange der Gesetzgeber beziehungsweise der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass bei Einhaltung der Grenzwerte nach dem Stand der Wissenschaft gesundheitliche Gefahren durch Mobilfunk nicht zu befürchten sind, kann man mit dem Argument der Gesundheitsgefahr einem Mobilfunk-Anbieter nicht untersagen, seine Anlage zu betreiben. Diese Sicht der Dinge wurde durch die Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht und zum Verfassungsgericht bestätigt.

© Copyright Südwest-aktiv Rundschau / Erschienen am 21.03.2009

Tags:
Recht, Verwaltungsgericht, Standortkonzept, Gemeinde, Minimierung, Zweiklassengesellschaft, Planungshoheit, Steuerungsmöglichkeiten

Recht: Das Ermessen der Kommunen liegt meist bei Null

underground, Dienstag, 31.03.2009, 09:26 (vor 5698 Tagen) @ Gast

So lange der Gesetzgeber beziehungsweise der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass bei Einhaltung der Grenzwerte nach dem Stand der Wissenschaft gesundheitliche Gefahren durch Mobilfunk nicht zu befürchten sind, kann man mit dem Argument der Gesundheitsgefahr einem Mobilfunk-Anbieter nicht untersagen, seine Anlage zu betreiben. Diese Sicht der Dinge wurde durch die Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht und zum Verfassungsgericht bestätigt.>

...und sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht das so, wie Krahn-Zembol schmerzlich erfahren musste.:clap:

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Krahn-Zembol

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