Wie Wissenschaft manipuliert wird (Allgemein)

MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:12 (vor 7495 Tagen)
bearbeitet von unbekannt, Mittwoch, 28.04.2004, 19:05

DIE ZEIT - WISSEN - MEDIZIN

Blockiertes Register

Ab Mai werden Medikamentenstudien europaweit erfasst.
Doch Patienten und Forschern bleibt der Einblick verwehrt

Von Harro Albrecht

© Anne Fritsch

Kann der Sportfan nicht einschlafen, weil er über einem Detail der Fußballhistorie grübelt, hilft das Internet. Unter www.sportsfreund.de findet er alles, um zur Ruhe zu kommen. Die Datenbank Ewige Liga weiß, dass in den Jahren 1964 und 1978 der 1. FC Köln Meister wurde. Und der Loser-Club Bayer Leverkusen ist zwischen 1964 bis 2003 im Durchschnitt auf Platz 7,3 gelandet.

Plagt hingegen den Krebspatienten eine ernster zu nehmende Unruhe, bleibt er ratlos. "Wo finde ich für meine schwer krebskranke Mutter eine Übersicht über alle laufenden Krebsstudien?", fragte kürzlich die Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen den Freiburger Gerd Antes, Spezialist für die Verwertung klinischer Studien. "Nirgendwo", antwortete er. Heinen war fassungslos: "Ich war davon ausgegangen, dass irgendwo alle Studien registriert werden." Irrtum! Da mögen Statistiken zum Balltreten sorgfältigst gebunkert und veröffentlicht, jeder Olympiafinalist zu ermitteln sein - wenn es um Versuche am Menschen geht, ist es mit der Akribie und Transparenz vorbei.
Ab 1. Mai müssen zwar Pharmahersteller ihre Arzneimittelstudien in der europäischen Datenbank European Clinical Trials Database (Eudract) anmelden, aber nur "befugte Bundesoberbehörden", wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Bundesamt für Impfstoffe und Sera, dürfen einen Blick in dieses Fort Knox medizinischer Daten werfen. Die Geheimniskrämerei hält nicht nur hilfesuchende Patienten ab, auch Forschern bleibt essenzielles Wissen verwehrt.
"Öffentlich zugängliche Studienregister sind eine wissenschaftliche, ökonomische und ethische Pflicht", mahnt Gerd Antes vom Cochrane Zentrum in Freiburg. Die Cochrane Collaboration fasst aus der zugänglichen Literatur Studien zusammen und destilliert daraus statistisch gut abgesicherte Erkenntnisse. Auf diese Evidence Based Medicine (EBM) vertraut dann nicht nur die harte Schulmedizin, sondern auch die Politik. Mit Hilfe des Lotsen EBM sollen teure, aber unwirksame Therapien umschifft und nützliche Verfahren schneller eingeführt werden können. Aber sogar Antes, Wächter über medizinisches Wissen, hat nur Zugriff auf unvollständige Datensammlungen.

Denn alle vorhandenen Literaturdatenbanken sind lückenhaft. Seit 1948 sind weltweit eine Million klinische Studien durchgeführt worden - aber schätzungsweise nur die Hälfte aller Ergebnisse ist in Fachzeitschriften publiziert. Wer also einen medizinischen Leitsatz zu formulieren versucht, kennt höchstens die Hälfte der Beweise - aus Sicht der Patienten eine erschreckende Einschränkung. Sogar der Experte betreibt Wahrheitsfindung ohne Zugriff auf wesentliche Fakten.

"Die ganze evidenzbasierte Medizin ist Schrott", sagt daher Christoph Kranich, Leiter der Patientenberatung in der Verbraucher-Zentrale Hamburg. Die EBM, auf der heute alles fuße, was Mediziner machten und Krankenkassen bezahlten, stehe auf tönernen Füßen, weil man nicht sicher sein könne, dass auch die Studien mit negativen Ergebnissen publiziert werden.

Die Kritik ist berechtigt. Analysen haben ergeben, dass positive Forschungsergebnisse eher zitiert werden als negative. Das hat seinen Grund: Fachzeitschriften veröffentlichen lieber Durchbrüche als Niederlagen, Forscher bekommen Geld, wenn Aussicht auf Erfolg besteht, und die Pharmaindustrie möchte Patzer oft am liebsten unter den Teppich kehren (siehe Seite 40). "Aufgrund der verfälschten Datenlage herrscht chronischer Überoptimismus", sagt Antes. Das sei einer der Gründe, warum häufig ein paar Jahre nach Einführung eines Medikaments Ernüchterung einkehre. Wüsste der Wissenschaftler von den Daten, die im Tresor schlummern, wären etliche Mittel gar nicht erst auf den Markt gekommen.

Mitunter wird diese Verzerrung lebensgefährlich. Gern zitiert wird das Beispiel eines Arzneimittels gegen Herzrhythmusstörungen nach einem Herzinfarkt. Schon 1980 fanden britische Kardiologen vage Indizien, dass dieses Medikament zwar den Herzrhythmus stabilisiert, aber die Behandelten trotzdem verfrüht sterben. Das Medikament wurde nicht weiterentwickelt, die Studie nicht veröffentlicht. Acht Jahre später bemerkten Kollegen in einer größeren Untersuchung, dass ähnliche Substanzen tödlich wirken können. Inzwischen waren mutmaßlich Tausende Patienten falsch behandelt worden.

Solche Irrfahrten soll die neue Datenbank Eudract verhindern. Berichte vom Abbruch medizinischer Studien und über Nebenwirkungen laufen hier auf, auch wenn dieses Wissen keinen Eingang in Publikationen fand. Nationale Behörden können sich informieren, bei Bedarf Alarm schlagen und Projekte stoppen.

Doch Eudract ist erklärtermaßen nur eine Datenbank, die Sicherheit schaffen soll. Den Fortschritt beflügelt sie nicht. Das war auch nicht geplant, als die Europäische Kommission 2001 die entsprechende Direktive beschloss. "In der EU-Kommission war von Anfang klar, dass diese Datenbank vertraulich sein wird", sagt Friedrich Hackenberger, im BfArM Leiter des Fachgebiets Klinische Prüfungen. Alle Beteiligten, so scheint es, hatten in vorauseilendem Gehorsam der Pharmaindustrie Vertraulichkeit zugesichert. Die Angst war groß, die Konzerne würden die Mitarbeit verweigern, wenn Hinz und Kunz in ihren Laborberichten blättern könnten.
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Pharmaindustrie

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MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:13 (vor 7495 Tagen) @ MK

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Im BfArM tut man sich mit dem Diskretionsgelübde schwer. "Bisher geben wir nichts heraus", sagt Friedrich Hackenberger, einer der wenigen, die künftig in Eudract stöbern dürfen. Bittet ihn ein Patient um Hilfe, dann verweist er ihn an den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) - es könnte sich ja um einen Spion der Industrie handeln.

Beim BPI kann dem Patienten selten geholfen werden. Für ein zentrales, öffentliches Register hat die Industrie nämlich nichts übrig. "Hoffentlich wird es so etwas nie geben", sagt Thomas Porstner, Justiziar beim BPI. Die Industrie sei wegen des hohen Geheimnisschutzes sehr vorsichtig mit dem, was sie nach draußen gibt, "da gelten knallharte wirtschaftliche Interessen".

Lieber reicht das BPI den Rat suchenden Patienten weiter an die Fachkreise der Ärzte. Dort herrsche Übersicht genug, heißt es. Doch gerade wegen der Blockadepolitik der pharmazeutischen Industrie ist selbst bei einem gut informierten Mediziner nicht gesichert, dass dieser im Bilde ist. Der Kreis schließt sich.

Einerseits verweist die pharmazeutische Industrie mit Recht darauf, dass ohne Geheimnisschutz Innovationen für den Patienten ausbleiben. Andererseits aber verhindert dieser Schutz wissenschaftliche Erkenntnis zum Nutzen der Patienten und macht es diesen schwer, sich über aktuelle Studien zu informieren. Unterdessen arbeiten weltweit Ärzte ahnungslos an bereits erforschten Therapieansätzen, weil sie nirgends erfahren können, dass die entsprechende Kur woanders längst gescheitert ist.

In anderen Ländern werden die Patientenrechte höher geachtet. Unter www.clinicaltrials.gov sind in den USA zumindest alle öffentlich geförderten Projekte einsehbar. Dort können Ärzte und Patienten ihre Fragen eintippen. Auf die Stichwörter "lung cancer, New York" wirft das System dann 71 Studien aus, für die noch Versuchspatienten gesucht werden. Auch kommerzielle Institutionen nutzen nämlich die Vorteile der Transparenz - denn sie eröffnet ihnen die Möglichkeit, für ihre Studien zu werben. In Großbritannien empfahl der Verband der Arzneimittelindustrie seinen Mitgliedern, die Web-Seite www.controlled-trials.com mit Informationen zu bestücken. "Sie haben begriffen, dass sie dreistellige Millionenbeträge sparen, weil sie viel schneller an Probanden kommen", sagt Gerd Antes.

In Deutschland ist es um die Transparenz schlecht bestellt. Es existieren zwar verstreute Register (vor allem ärztlicher Fachgesellschaften), aber keine zentrale Sammelstelle. Dabei hätten die Probanden ein moralisches Recht auf die Verwertung der Ergebnisse. Schließlich haben sie ihr Wohl riskiert, damit sie selbst oder andere vom Therapieversuch profitieren.

Aus ethischen Gründen, sagt Antes, müsse zumindest ein patentrechtlich unbedenklicher Minimaldatensatz gespeichert werden: "Die Industrie pocht immer auf Datenschutz, weil sie so tut, als ob sie sonst alles publizieren müsste." Dabei gehe es nur darum, die Kontaktadresse, das Ziel der Studie und ihren derzeitigen Status mitzuteilen - "nicht Einzelheiten, die schutzbedürftig wären.

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Wie Wissenschaft manipuliert wird

MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:18 (vor 7495 Tagen) @ MK

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Einerseits verweist die pharmazeutische Industrie mit Recht darauf, dass ohne Geheimnisschutz Innovationen für den Patienten ausbleiben. Andererseits aber verhindert dieser Schutz wissenschaftliche Erkenntnis zum Nutzen der Patienten und macht es diesen schwer, sich über aktuelle Studien zu informieren. Unterdessen arbeiten weltweit Ärzte ahnungslos an bereits erforschten Therapieansätzen, weil sie nirgends erfahren können, dass die entsprechende Kur woanders längst gescheitert ist.

In anderen Ländern werden die Patientenrechte höher geachtet. Unter www.clinicaltrials.gov sind in den USA zumindest alle öffentlich geförderten Projekte einsehbar. Dort können Ärzte und Patienten ihre Fragen eintippen. Auf die Stichwörter "lung cancer, New York" wirft das System dann 71 Studien aus, für die noch Versuchspatienten gesucht werden. Auch kommerzielle Institutionen nutzen nämlich die Vorteile der Transparenz - denn sie eröffnet ihnen die Möglichkeit, für ihre Studien zu werben. In Großbritannien empfahl der Verband der Arzneimittelindustrie seinen Mitgliedern, die Web-Seite
Aus einem zentralen Register wird vorerst nichts. Anfang April beschloss der Bundestag die Umsetzung der EU-Direktive in deutsches Recht mit der 12. Novelle des Arzneimittelrechts. Anfang Juni geht das Gesetz durch den Bundesrat. Von einem öffentlich zugänglichen Registerteil steht darin nichts.

Ohnehin decken das Arzneimittelrecht und Eudract nur einen Teilbereich ab. Sie zielen auf klinische Studien mit Medikamenten. Ein erheblicher Teil der medizinischen Wissenschaften beschäftigt sich jedoch mit neuen Operationen, Blutanalysen und medizinischen Hilfsmitteln. Eigentlich sind all diese Aktivitäten aktenkundig. Jedes Experiment am Menschen oder mit menschlichen Geweben muss bei den 54 Ethik-Kommissionen in Deutschland begutachtet und registriert werden.

Dort also lagern die Informationen, nach denen der Patient fahndet. Bloß: Auch sie sind unerreichbar. "Es gibt kaum so etwas Geheimes wie die Archive von Ethik-Kommissionen", sagt Hansjörg Just, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen. Könnten nicht die Kommissionen ihr Votum an eine Publikationspflicht koppeln? Das ist geplant, doch soll es den Forschern überlassen bleiben, wo sie ihre Projekte registrieren. Im Prinzip befürworten die Kommissionen ein zentrales Register. In der Praxis aber sind sie sich noch uneinig. Schon jetzt sei die Arbeitsbelastung hoch und das Geld knapp.

Ethiker Just hat bereits konkrete Vorstellungen: "Die Informationen müssen die öffentlich-rechtlichen Ethik-Kommissionen liefern." Die Daten, schlägt er vor, sollten an einer medizinischen Hochschule gesammelt werden, in Kooperation mit dem Cochrane-Zentrum.

Im Prinzip könnte sogar die Finanzierung geklärt sein: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), sagt Just, sei in der Pflicht, die Finanzierung von jährlich schätzungsweise 160.000 Euro zu übernehmen. Das BMBF verkündet selbst, eine Registrierung klinischer Studien sei "aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen von hoher Bedeutung und dringend erforderlich". Das Ministerium unterstützt sogar Initiativen in dieser Richtung. Denn grundsätzlich sei man zur initialen Unterstützung eines nationalen Studienregisters bereit, heißt es. Einzig zur dauerhaften Finanzierung mag man sich im Ministerium nicht durchringen. Die Politiker haben das Problem erkannt. Aber ernst genug nehmen sie es noch nicht.

(c) DIE ZEIT 22.04.2004 Nr.18

nur zur privaten Verwendung zulässig

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Wissenschaft, Ethik-Kommission, Ethikrat

Die Tricks der Pharma-Industrie

MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:23 (vor 7495 Tagen) @ MK

DIE ZEIT - WISSEN - MEDIZIN

Die Tricks der Pillendreher

Wie Pharmafirmen mogeln, damit Studien die gewünschten Resultate zeigen

Von Jochen Paulus

Pharmakonzerne stehen regelmäßig vor einem teuren Problem. Sie haben viel Geld in die Entwicklung eines Medikaments gesteckt. Nun müssen sie Zulassungsbehörden und Ärzte von dessen Wirksamkeit überzeugen. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Zum Glück gibt es bewährte Methoden. Gegen Honorar sind viele Professoren gern behilflich, Befunde zu fabrizieren, die im Sinne des Auftraggebers ausfallen.

Zwei Spezialisten haben Ende vergangenen Jahres in einer Satire für das British Medical Journal die gängigen Tricks aufgezählt, um potenten Auftraggebern einen positiven Versuchsausgang garantieren zu können: Ex-Oxford-Professor David Sackett und Andrew Oxman vom norwegischen Direktorat für Gesundheit und Wohlfahrt. Die beiden Verfechter der gestrengen evidenzbasierten Medizin zeigen in ihrem Artikel auf, wie leicht es ist, zu positiven Befunden zu gelangen: Das Mittel dürfe nur "nicht weitaus schlechter als ein Schluck dreifach destilliertes Wasser" wirken.

Zuerst komme es auf die Wahl des Vergleichspräparats an, heißt es in ihrem Szenario. Gern genommen würden Placebos. Die seien leichter zu schlagen als vorhandene wirksame Medikamente. Aber auch beim Kampf gegen etablierte Konkurrenzprodukte lässt sich etwas tun. Man setze deren Dosis herab - schon schwächelt der Konkurrent gegen den üppig verabreichten Neuling. Das Bitterböse am Ulk von Sackett und Oxman ist, dass es zu den witzigen Anleitungen zum Tricksen durchaus Entsprechungen in der Realität gibt. Wenn die Dosierungen von miteinander verglichenen Arzneien sich nicht entsprechen - so ergab eine Auswertung von 56 Studien mit Entzündungshemmern, publiziert in den Archives of Internal Medicine -, profitiert davon meist das Präparat der Firma, die die Studie in Auftrag gegeben hatte.

Auch eine besonders kräftige Dosis von der Konkurrenz kann unter Umständen ratsam sein - wenn die Nebenwirkungen gemessen werden wollen. Haloperidol etwa, das klassische Mittel gegen Schizophrenie, erzeugt bei hoher Dosierung Muskelkrämpfe, so genannte extrapyramidale Nebenwirkungen. Die Hochdosis-Finte machten sich mehrere Konzerne zunutze. In mindestens acht Studien mit antipsychotischen Medikamenten der zweiten Generation für drei Firmen bekamen die Patienten doppelt bis fünfmal so viel Haloperidol verabreicht wie üblich. Daniel Safer von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore sagt: "Das garantiert praktisch, dass das Produkt der zweiten Generation weniger extrapyramidale Nebenwirkungen zeitigt als Haloperidol."

Gefällt trotz ausgefeilter Planung das Endergebnis nicht, kann Statistik helfen. Sackett und Oxman empfehlen zur Schönung von Ergebnissen: einfach so lange Daten von Teilgruppen untersuchen, "bis sich ein signifikanter Effekt in der gewünschten Richtung findet".

Auch solche Beispiele sucht man jenseits der Satire nicht lange vergebens. Die US-Firma Immune Response hatte einen therapeutischen Impfstoff namens Remune gegen den Aids-Erreger in 77 Kliniken an über 2500 Patienten testen lassen. Doch die Krankheit schritt fort, die Kranken starben. Da besann sich die Firma auf eine Teilgruppe von 250 Patienten, denen man besonders oft Blutproben entnommen hatte. Diesen Kranken ging es zwar nicht besser. Aber sie zeigten eine stärkere Immunreaktion als Placebo-Patienten. Diesen Vergleich wollte Immune Response veröffentlicht sehen. Die beauftragten Forscher weigerten sich. Der Vergleich war vorher nicht geplant gewesen. "Die haben nach Daten gebaggert", schimpfte Studienleiter James O. Kahn von der University of California in San Francisco.

Viele Forscher sind kooperativer. Bezahlen Firmen die Studien, schneidet ihr neues Medikament in 51 Prozent der Studien günstiger ab als das alte. Sind Geldgeber neutral, passiert dies nur in 16 Prozent der Studien. Das fand Bodil Als-Nielsen von der Universität Kopenhagen bei der Analyse von 370 Untersuchungen heraus.

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Die Tricks der Pharma-Industrie

MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:24 (vor 7495 Tagen) @ MK

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Natürlich fälscht ein ehrbarer Professor nicht. Stattdessen greift er zu einer Strategie, die harmloser nicht scheinen könnte: Veröffentlicht werden nur Daten der Patienten, die bis zum Ende der Studie mitgeschluckt haben. Nur Eingeweihte sehen den Verzerr-Effekt der Methode. Denn wer das Medikament verweigert, aussteigt, weil ihm die Nebenwirkungen zu viel werden oder weil es nicht anschlägt, fällt natürlich aus der Studie raus. In Deutschland nimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Unterlagen für klinische Studien mit Arzneimitteln entgegen. Kommen den Beamten Zweifel, können sie Berichte und Akten anfordern. Das tun sie etwa, wenn Daten "zu schön aussehen", sagt Frieder Hackenberger, der Leiter des Fachgebiets Klinische Prüfung. Dabei fänden sich gelegentlich "durchaus Diskrepanzen" zu den Behauptungen der Hersteller "bis hin zum bewussten Manipulieren".

Beliebt ist auch das Unterschlagen von Befunden. SmithKline Beecham, Vorläuferfirma des Pharmariesen GlaxoSmithKline, hatte sein Antidepressionsmittel Seroxat an Kindern und Jugendlichen getestet. Die Resultate enttäuschten. In der Studie Nummer 377 schnitt das Präparat sogar schlechter ab als das Placebo. Das hauseigene Central Medical Affairs Team empfahl daraufhin, "die Verbreitung dieser Daten wirkungsvoll zu steuern, um jegliche negative kommerzielle Wirkung zu minimieren". Dass jemand dieses Dokument vor kurzem an die BBC schickte, war Pech und zwang GlaxoSmithKline zu der Verlautbarung, das Papier habe "sachlich falsche Schlüsse" enthalten. Einige Spezialisten kannten die Ergebnisse, waren jedoch "durch Schweigeklauseln am Reden gehindert", wie die beteiligte Forscherin Jane Garland im Nachhinein klagte.

Von drei Studien publizierte GlaxoSmithKline nur eine einzige in einer Fachzeitschrift. Bei der waren die Hauptwirkungen von Seroxat zwar auch nicht besser als jene des Placebos. Doch die gesponserten Forscher konzentrierten sich nach bewährter Methode auf Nebenbefunde und resümierten, das Mittel sei bei Heranwachsenden "wirksam". Sie nahmen nicht weiter tragisch, dass fünf Behandelte "emotionale Labilität" zeigten, womit in erster Linie Selbstmordgedanken umschrieben wurden. In der Placebo-Gruppe gab es nur einen solchen Fall.

2003 warnte die britische Arzneimittelbehörde nach Analyse der Daten davor, Minderjährigen Seroxat oder eines von fünf vergleichbaren Medikamenten zu verordnen: wegen erhöhter Selbstmordgefahr und zweifelhaftem Nutzen. Andere Länder schlossen sich an. "Nach Diskussionen" mit der kanadischen Gesundheitsbehörde tat GlaxoSmithKline selbst öffentlich kund, das Mittel habe "keine größere Wirksamkeit bei Depressionen als Placebo gezeigt" und sollte wegen "eines möglicherweise erhöhten Risikos suizidbezogener Nebenwirkungen" bei Minderjährigen "nicht verwendet werden".

(c) DIE ZEIT 22.04.2004 Nr.18

nur zur privaten Verwendung zulässig

Die Forschung kann also unser Problem nicht lösen

H. Lamarr @, München, Freitag, 30.04.2004, 13:01 (vor 7493 Tagen) @ MK

Besten Dank für diese Postings. Die sind zwar ein laaanger Riemen, zeigen m. M. nach aber deutlich, dass wir auf die ultmativen Beweise ob gesundheitsschädlicher Wirkungen des Mobilfunks wohl ewig warten können. Denn nichts scheint einfacher zu sein, im Falle des Falles flugs die passende Gegenstudie zu basteln. Und dann wird wieder alles solange zerredet bis Gras über der Sache gewachsen ist. Bin mal gespannt, wann die unbequeme TNO-Studie (Niederlande, UMTS) auf diese Weise gekippt wird.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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