5G-Netzausbau in der Schweiz: geteilte Meinungen (Allgemein)
Weiß man in einer beliebigen Streitfrage die Mehrheit hinter sich, gibt einem das üblicherweise das gute Gefühl "richtig zu liegen". Mittel zum Zweck sind Meinungsumfragen. Damit lässt sich aber auch Schindluder treiben.
Das Schweizer Anti-Mobilfunk-Projekt Frequencia brachte diese Woche die Mutmachermeldung: "Comparis-Umfrage: 41,7 Prozent sind gegen einen schnellen 5G-Netzausbau. 50 Prozent der Frauen sind dagegen". Diese Titelzeilen der Mobilfunkgegner bedient die Erwartungshaltung ihrer Anhänger und suggerieren, Gegner des Netzausbaus könnten die Oberhand haben. Erst im Kleingedruckten erfährt man, 42,5 Prozent, also die Mehrheit, befürworten den vom Bundesrat vorgeschlagenen schnellen Ausbau. Nach demokratischen Regeln wäre der schnelle Netzausbau damit, wenn auch knapp, in der Schweiz beschlossene Sache.
5G-Gegnern laufen die Anhänger davon
Tatsächlich sieht die Realität für Schweizer Mobilfunkgegner aber noch merklich schlechter aus, als es die knappe Differenz von nur 0,8 Prozentpunkten einem glauben machen will. Dazu muss man sich nur anschauen, wie sich die Meinung des Schweizervolks in Sachen 5G-Netzausbau seit 2020 verändert hat. Dies hat Statista, ein Unternehmen der Statistikbranche im März 2022 getan, und eine aktuelle Umfrage mit Ergebnissen von 2020 verglichen. Sollte die Grafik bei Statista durch Eigenwerbung verdeckt sein, kann man sich die wichtigsten Ergebnisse des Vergleichs hier abholen und zu der Erkenntnis kommen, dass den 5G-Gegnern in der Schweiz die Anhänger scharenweise von der Fahne gehen. Dies dürfte daran liegen, dass 5G in der Schweiz ab April 2019 eingeführt wurde, inzwischen dort weit verbreitet ist und die Bevölkerung eigene Erfahrungen damit sammeln konnte. So wurde wegen 5G die Milch im Kühlschrank eben nicht sauer, Rinder flüchteten nicht vor 5G-Funkmasten, die Leute schlafen mit 5G weder besser noch schlechter als zuvor und Vögel können 5G-Funkmasten passieren, ohne tot vom Himmel zu fallen. Kurzum: Die von Mobilfunkgegnern vorausgesagten Schreckensszenarien trafen allesamt nicht ein. Warum also sollten sich die Eidgenossen weiter gegen den 5G-Netzausbau sträuben?
Zurück zu Frequencia. Seit zwei Jahren bastelt das Projekt an einer schweizweiten Volksinitiative, um durch eine Verfassungsänderung den Alpenstaat mobilfunktechnisch vom Rest der Welt abzukoppeln. Mehrfach wurde der Start der Initiative angekündigt, jedoch immer wieder ohne Angabe der Gründe verschoben, zuletzt auf Frühjahr 2022. Es hat also noch Zeit bis zum 21. Juni, den Worten Taten folgen zu lassen, wonach es momentan aber nicht aussieht. Dieses Zögern könnte der Initiative den Erfolg kosten. Denn wenn Statista die Realität korrekt abbildet, ist das Hoffen auf bessere Zeiten für 5G-Gegner ein schwerer taktischer Fehler. Hinzu kommt, dass die gegenwärtig in der gesamten EU laufende Europäische Bürgerinitiative "Stop 5G" auf ernüchternd wenig Resonanz stößt und das Ziel von mindestens 1 Mio. Unterstützer bis 1. März 2023 aus heutiger Sicht weit verfehlen wird.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –