Smart Meter: Offener Brief an den Deutschen Bundesrat (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 31.07.2019, 02:35 (vor 1927 Tagen)

Ein weiterer Offener Brief kursiert in der Anti-Mobilfunk-Szene. Diesmal sind es Peter Hensinger und einige Akademiker, die den Deutschen Bundesrat bedrängen mit ihrer Bitte um Anstoß einer Änderung des Mess­stellenbetriebsgesetzes gemäß der Entschließung des Bundesrates vom 8. Juli 2016 (Drucksache 349/16). Im Klartext: Es geht um Smart Meter. Anfangs gibt sich der Offene Brief ungewohnt zurückhaltend und argumentiert sachlich einwandfrei. Erst im fünften und sechsten Absatz (siehe Auszug unten) kommen die Absender konkret auf ihr Anliegen zu sprechen und tragen die üblichen unbelegten Behauptungen, Verdrehungen und pseudowissenschaftlichen Begründungen vor, mit denen die Szene seit Jahren auf der Stelle tritt. Wer vom Fach ist und sich die Namen sowie akademischen Würden der Unterzeichner im Original ansieht, wird den Brief und das darin verborgene Anliegen mit einem Lächeln auf den Lippen zur Kenntnis nehmen.

[...] Zu diesen Bedenken gesellen sich vor allem seit 2018 noch argumentativ verstärkte ge­sundheitliche Argumente hinsichtlich der vielfach angewandten Funklösung. Durch neuere Forschungser­gebnisse im Mainstream der Wissenschaft – namentlich durch die Ergebnisse der umfang­reichen Studie des regierungsamtlichen National Toxicology Program (NTP) in den USA, der größten Studie ihrer Art weltweit, sowie durch eine italienische Studie des Ramazzini-Instituts (die Einwände gegen ihre Ergebnisse inzwischen widerlegt haben!) – hat sich der Verdacht erhärtet, dass Mobilfunk Krebs erregen kann. Auch wenn es insge­samt unterschiedliche Meinungen und Deutungen zu dieser Frage in der internatio­nalen Wissenschaft gibt (wie auf vielen anderen Forschungsgebieten auch), lässt sich doch nicht vom Gesetzgeber vorschreiben, welchen wissenschaftlichen Resulta­ten und Einstellungen sich die Verbraucher anzuschließen hätten. Das heißt, ihr Recht auf Vorsorge muss die Möglichkeit einschließen, häufiger funkenden Technologien im eigenen Haushalt zu wider­sprechen. Und das sollte ebenso für PLC-Modelle gelten, denn auch da gibt es begrün­dete E-Smog-Be­den­ken (z.B. liegen laut der Österreichischen Ärztekammer für Frequenzen im Kilohertzbe­reich, wie sie bei PLC-Anbindung vom Trafo zum Smart-Meter auftreten, Daten aus den USA vor, die auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuten). Alternative Daten­übertra­gungstech­ni­ken können per Ethernet-LAN, Festnetz-DSL bzw. Glasfaserkabel (ohne WLAN oder dLAN am Übergangspunkt!) funktionieren; darüber hinaus sollte an die Ver­wendung der Lifi-Technologie in modernen Messsystemen anstelle von Funk gedacht wer­den. Zweifelhaft bleibt im Übrigen aber auch dann, ob solche Datenübertragungen Grund­rechte verletzen, insofern sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen: Moder­ne Messein­rich­tungen erheben im Standard 15-minütig den Verbrauch; alle Daten können jahrelang ge­speichert und elektrisch ausgelesen werden!

Hinzu kommt hier die ethisch fällige Rücksicht auf die Menschen mit attestierter Elektro­hy­persensibilität (dazu das Buch der Ärztinnen Christine Aschermann und Cornelia Wald­mann-Selsam: Elektrosensibel. Strahlenflüchtlinge in einer funkvernetzten Gesellschaft, Aachen 2017, sowie die SWR2-Sendung „Elektrosmog und Elektrosensibilität“ vom 2. 7. 2019: https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/elektrosmog/-/id=660374/did=24137276/nid=660374/rpk0vu/). Von allen Umweltorganisationen und vielen Medizinern werden Elektrohypersensible ernst genommen und nicht als Hypo­chon­der abgetan; in einigen Fällen wurden für sie schon Rentenanerkennungen erreicht. Diese betroffene Minderheit hätte unter funkenden Geräten (namentlich in Mehrfamilien­häu­sern) zu leiden – umso mehr, als sie oft schon in ihre Keller zum Schlafen geflohen sind, weil dort bisher die niedrigste Strahlung herrschte; just dieser Schutzraum würde ihnen auch noch genom­men! Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann räumt in einem Brief an die Weiße Zone Rhön e. V. hinsichtlich Funkwasserzählern ein: Ein „besonderer persönlicher Grund für einen Widerspruch kann auch in einer glaubhaft gemachten beson­deren Sensibilität gegen elektromagnetische Strahlung bestehen.“ Solch einen Widerspruch einzuräumen, wurde im Messstellenbetriebsgesetz (das immerhin die freie Wahl des Mess­stellen­betreibers, dabei aber nicht ein wirklich alternatives Technologieangebot garan­tiert) in seiner jetzigen Form versäumt. [...]

Kommentar: Die Szene der organisierten Funkgegner liebt Offene Briefe. Denn diese haben gegenüber geschlossenen Briefen den einzigartigen Vorteil, dass sich so auch hoffnungslos zum Scheitern verurteilte Anliegen der Szene öffentlichkeitswirksam in Umlauf bringen lassen. Üblicherweise zeigen die Offenen Briefe der Funkgegner bei den Adressaten das Echo einer schalltoten Kammer. Mir ist kein Fall in Erinnerung, dass die Absender jemals eine der mutmaßlich eingetroffenen höflich formulierten Antworten vom Typ Standardfloskeln veröffentlicht hätten. So türmen sich auf den Verlautbarungsplattformen der Funkgegner zwar jede Menge Offene Briefe, jedoch keine Antworten. Aus meiner Sicht ist inzwischen in der Anti-Mobilfunk-Szene auch den letzten Verfassern Offener Briefe ihr planmäßiges Scheitern von vornherein klar. Das vermeintlich angestrebte Ziel, einen wichtigen Adressaten zu überzeugen, verblasst dadurch zur Bedeutungslosigkeit. Schmerzhaft für die Absender ist dies nicht, denn das wahre Ziel ist nicht der schwierige Adressat, sondern die simple Instrumentalisierung der Bevölkerung. Für sie lüften die Absender das Briefgeheimnis und lassen sich in die Karten schauen. Hinz und Kunz sollen sich geschmeichelt fühlen, werden sie auf diese Weise von Absendern scheinbar ins Vertrauen gezogen. Doch im Gegensatz zum Adressaten im Briefkopf haben Laien i.a. keine Fachkenntnisse über das Anliegen und auch keine fachlich qualifizierten Kontakte (Berater), die schnell erkennen, wenn ein Anliegen substanzlos begründet wird. Ein Offener Brief kann daher von ansonsten erfolglosen Interessengruppen leicht als letztes Mittel zum Zweck für die gezielte Desinformation der Bevölkerung in öffentlich diskutierten Streitfragen missbraucht werden.

Hintergrund
NTP-Studie: Hirntumor (Ratten) nach 2 Jahren Exposition
25'000 "Elektrosensible" auf der Flucht
Kunstgriff 30: Der Trick mit vermeintlichen Autoritäten

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Drucksache, Minderheit, Geltungsdrang, Vereinnahmung, Smart-Meter, Bundesrat, Ramazzini, Müggenborg, Elektro­hy­persensibilität, Minister, Offener Brief, Deutscher Bundesrat, Instrument

Smart Meter: Prof. Müggenborg fehlen die Worte

H. Lamarr @, München, Sonntag, 06.10.2019, 00:12 (vor 1860 Tagen) @ H. Lamarr

Ein weiterer Offener Brief kursiert in der Anti-Mobilfunk-Szene. Diesmal sind es Peter Hensinger und einige Akademiker, die den Deutschen Bundesrat bedrängen mit ihrer Bitte um Anstoß einer Änderung des Mess­stellenbetriebsgesetzes gemäß der Entschließung des Bundesrates vom 8. Juli 2016 (Drucksache 349/16). Im Klartext: Es geht um Smart Meter.

Der Offene Brief hat den Briefkopf von Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Honorarprofessor der RWTH Aachen und Lehrbeauftragter der Universität Kassel.

Am 29. August 2019 bat ich Prof. Müggenborg um Auskunft:

Sehr geehrter Herr Prof. Müggenborg,

der Verein für Elektrosensible, München, verbreitet Ihren Offenen Brief, den Sie wegen befürchteter gesundheitlicher Risiken funkbetriebener Smart-Meter dem Deutschen Bundesrat geschrieben haben. Darin heißt es u.a.:

[...] Und das sollte ebenso für PLC-Modelle gelten, denn auch da gibt es begrün­dete E-Smog-Be­den­ken (z.B. liegen laut der Österreichischen Ärztekammer für Frequenzen im Kilohertzbe­reich, wie sie bei PLC-Anbindung vom Trafo zum Smart-Meter auftreten, Daten aus den USA vor, die auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuten). [...].

Die Suche nach der Quelle für diese Behauptung führte mich zuerst zu einem Brief der Österreichischen Ärztekammer (Sekundärquelle) an das Österreichische Wirtschaftsministerium, in dem als einzige Primärquelle für die Behauptung eine Studie von zwei US-Wissenschaftlern genannt wird:

http://www.sammilham.com/La%20Quinta%20Middle%20school%20teachers%27%20cancers.pdf

Doch diese Studie stützt die oben genannte Behauptung in keiner Weise. Denn diese Arbeit beschäftigt sich nicht mit PLC (Power Line Communication, Datenübertragung mit einem leitungsgebundenen hochfrequenten Trägersignal), sondern mit der Auswirkung von Hochspannungstransienten, wie sie bei abrupten Schaltvorgängen (z.B. durch Schaltnetzteile) in allen Stromnetzen weltweit auftreten. Der Begriff PLC wird in der Studie kein einziges Mal erwähnt.

Kann es sein, dass Sie die aus meiner Sicht unqualifizierte Darstellung der Österreichischen Ärztekammer ungeprüft als Beleg für ein Krebsrisiko durch PLC in Ihren Offenen Brief übernommen haben? Und: Hat der Deutsche Bundesrat inzwischen reagiert?

Viele Grüße aus München

Da meine Anfrage unbeantwortet blieb, fasste ich am 14. September nach. Doch auch diese Erinnerung bewegte Müggenborg bis heute nicht zu einer Antwort. Das Schweigen des Professors bestätigt die schon häufig beobachtete Einbahnstraßen-Haltung überzeugter Funkgegner: Sie dozieren vor Laienpublikum gerne über angebliche Risiken von Funkfeldern, unerquicklichen Fragen hingegen gehen sie lieber aus dem Weg. Wohl wissend, dass es sie nur arg in die Bredouille bringen würde, haben Anti-Mobilfunk-Vereine wie die sogenannte Kompetenzinitiative und Diagnose-Funk deshalb zu keiner Zeit seit Vereinsgründung ein öffentliches Diskussionsforum angeboten.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Anfrage, Brief, Smart Meter, PLC, Müggenborg

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