Disziplinarverfahren gegen Prof. Dominique Belpomme (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 01.11.2018, 16:14 (vor 2019 Tagen)

Der französische Mediziner Prof. Dominique Belpomme (75) steckt in großen Schwierigkeiten, denn der Disziplinarausschuss der Ärztekammer von Ile-de-France (Region Paris) hat im März 2017 ein Verfahren gegen ihn eröffnet. Belpomme wird vorgeworfen, anlässlich seiner Atteste für "Elektrosensible" gegen ethische Regeln seines Berufsstandes verstoßen zu haben.

Nach seiner Laufbahn als Onkologe wendete sich Belpomme mit dem Eintritt in den Ruhestand der sogenannten Umweltmedizin zu und fing an, auf Basis eines pseudowissenschaftlichen Diagnoseverfahrens (Encéphaloscan) für überzeugte Elektrosensible Atteste auszustellen (EHS-Atteste), die er sich gut bezahlen lässt. Doch diese Atteste sind vorgedruckte Formulare, in die lediglich die Namen der Patienten handschriftlich eingefügt werden. Eine solche Massenabfertigung ist nach Artikel 35 des französischen Verhaltenskodex für Mediziner unzulässig, Patienten hätten ein Recht auf individuelle Diagnosen und die Berücksichtigung persönlicher Umstände.

Weiterhin wird Belpomme vorgeworfen mit der Encephaloscantechnik (Ultraschall-Hirn-Tomosphygmographie) ein ungeprüftes alternativmedizinisches Diagnoseverfahren zu verwenden, das zu Beginn der 1980-er Jahre aufkam, 1986 jedoch in der Versenkung verschwand. Das Verfahren ist wissenschaftlich nicht anerkannt, Krankenkassen und Behörden distanzieren sich davon. Die Ärztekammer sieht in der Verwendung der Encephaloscantechnik ebenfalls einen Verstoß gegen den Verhaltenskodex, dieser verlange von Ärzten eine sorgfältige wissenschaftsbasierte Diagnose.

Patienten, die Prof. Belpomme aufsuchen, dürfen nicht arm sein. Schon das Beratungsgespräch kostet 120 Euro, wovon 80 Euro die Krankenkassen tragen. Doch das ist nur der Anfang. Hinzu kommen für eine Blutuntersuchung 450 Euro und weitere 250 Euro für einen Encephaloscan. Die Zeitung Le Figaro schrieb dazu süffisant, dies sei offensichtlich "noch immer nicht teuer genug, um Leichtgläubige abzuschrecken", die Warteliste derjenigen, die zu Belpomme wollten, habe immerhin acht Seiten Umfang.

Den Stein ins Rollen brachte Dr. med. Jacques Lambrozo. Er war seinerzeit bei Électricité de France (EDF), – einem börsennotierten staatlich dominierten französischen Elektrizitätsversorger (weltweit zweitgrößter Stromerzeuger) – Direktor einer Abteilung, die für die Sammlung und Auswertung medizinischer Studien zuständig ist. Lambrozo war aufgefallen, dass anlässlich der Proteste gegen die Einführung von Smart-Metern (franz.: Linky-Meter) in Frankreich, jedes zweite von etwa 100 eingereichten EHS-Attesten auf das Konto von Belpomme ging. Darüber informierte er die Ärztekammer. An die Öffentlichkeit brachte den Skandal die medizinische Nachrichtenagentur APMnews. Die Umrüstung der rd. 35 Mio. französische Haushalte auf Smart-Meter ist seit 2007 im Gange, gut 13 Mio. Haushalte sind bereits mit den intelligenten Zählern ausgestattet.

Was in der internationalen Anti-Mobilfunk-Szene üblich ist, gilt auch für Frankreich. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Belpomme ergriff die dortige Szene Partei für ihren Fürsprecher und startete unverzüglich eine grell illustrierte Petition, mit der man seine Unterstützung für den Professor bekunden kann. Gegenwärtig meldet diese Petition 9922 Mitzeichner. Dies ist für die Anti-Mobilfunk-Szene eine starke Resonanz. Da die Petition jedoch auf keiner gegen Missbrauch geschützten Website läuft und der feste Manipulationswille der Szene vielfach dokumentiert ist, sind Zweifel an der Anzahl berechtigt. Die deutschsprachige Anti-Mobilfunk-Szene, die sonst hingebungsvoll über Elektrosmog-Alarme aus den letzten Winkeln der Erde berichtet, schweigt über die Vorgänge in Frankreich ebenso betreten wie eisern.

Am 9. Juli 2018 verkündete APMNews das Ergebnis des Disziplinarverfahrens: Die Ärztekammer hat Prof. Dominique Belpomme wegen seiner Vorgehensweise im Zusammenhang mit "Elektrosensiblen" verwarnt. Die Kammer befand, Belpommes EHS-Untersuchungen und -Diagnosen würden derzeit nicht von der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt. Belpomme hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt, über die frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2019 verhandelt wird.

Quellen
31.01.2018 - Électrosensibilité: le Pr Belpomme visé par une procédure disciplinaire de l’Ordre des médecins
02.02.2018 - Electrosensibilité : le Pr Belpomme poursuivi par l'Ordre des Médecins
05.02.2018 - Électrosensibilité : en pleine dérive, le Pr Belpomme inquiété par l'Ordre des médecins
22.08.2018 - Landis+Gyr schliesst mit Enedis Verträge für die nächste Phase des Linky Smart Meter Rollouts

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Alternativmedizin, Umweltkranke, Biomarker, Belpomme, Pseudowissen, Mängel, Smart Meter, Skandal, Kontroverse, Attest, gescheitert, Verhaltenskodex, Prüfstein, wissenschaftsbasiert

Prof. Belpomme: 97,5 Prozent der EHS sind Blindgänger

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 21.11.2018, 23:54 (vor 1999 Tagen) @ H. Lamarr

Lambrozo war aufgefallen, dass anlässlich der Proteste gegen die Einführung von Smart-Metern (franz.: Linky-Meter) in Frankreich, jedes zweite von etwa 100 eingereichten EHS-Attesten auf das Konto von Belpomme ging. Darüber informierte er die Ärztekammer.

Aus Sicht von Belpomme verhält es sich ganz anders, berichtete im Februar 2018 allodocteurs.fr:

Dominique Belpomme conteste cette accusation. « Ces six dernières années, j’ai vu 2 000 malades atteints d’électrohypersensibilité et sur ces 2 000 cas, j’ai fait 50 certificats qui nécessitaient des mesures de précaution vis-à-vis de l’exposition aux champs électromagnétiques, ce qui fait 2% de personnes concernées. C’est dérisoire par rapport aux 2000 malades que j’ai pu voir. »

Bearbeitete Google-Übersetzung: Dominique Belpomme wendet ein, "in den letzten sechs Jahren habe ich 2000 Patienten mit Elektrohypersensibilität gesehen und von diesen 2000 Fällen habe ich nur in 50 Fällen Atteste geschrieben, die vorbeugende Maßnahmen gegen die Einwirkung elektromagnetischer Felder empfehlen. Das macht zwei Prozent der betroffenen Menschen. Verglichen mit den 2000 Patienten, die bei mir waren, ist das lächerlich."

Hintergrund
Elektrosensibilität in Frankreich: Stand 21.11.2018
Erstaunlicherweise haben sich anscheinend mehr Menschen nach Paris zu Belpomme auf den Weg gemacht, als sich im Internet in die Liste der überzeugten Elektrosensiblen einzutragen. Dort in der Liste sind es gegenwärtig nur 1557 Personen. Mindestens ebenso erstaunlich: Von den angeblich 2000 "Elektrosensiblen", die binnen sechs Jahren Belpomme besuchten, wurden von ihm nur 50 (2,5 Prozent) als echt anerkannt, 97,5 Prozent waren demnach wohl unechte "Elektrosensible". Lebrecht von Klitzing äußerte sich einmal ähnlich, allerdings ohne Zahlen zu nennen. Die Offenbarung von Belpomme muss bei "Elektrosensiblen" blankes Entsetzen auslösen, ganz leises freilich, damit niemand draußen etwas davon hört.

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EHS, Frankreich, Belpomme, Blindgänger, Typisierung

Disziplinarverfahren gegen Prof. Dominique Belpomme

H. Lamarr @, München, Montag, 02.03.2020, 11:43 (vor 1532 Tagen) @ H. Lamarr

Belpomme hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt, über die frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2019 verhandelt wird.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Auch die Ärztekammer war mit der Verwarnung Belpommes durch den Disziplinarausschuss nicht zufrieden und hat ihrerseits Berufung eingelegt. Dies hat mir, nachdem ich auf diese Meldung aufmerksam wurde, der französische Journalist Vincent Granier auf Anfrage bestätigt (Linky ist in Frankreich das Synonym für Smart Meter). Der Ausgang der rechtlichen Auseinandersetzung ist noch immer offen.

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Ein Jahr Berufsverbot für Belpomme

H. Lamarr @, München, Samstag, 11.03.2023, 19:41 (vor 428 Tagen) @ H. Lamarr

Belpomme hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt, über die frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2019 verhandelt wird.

[...] Der Ausgang der rechtlichen Auseinandersetzung ist noch immer offen.

Das französische Portal apmnews meldete am 16. Februar 2023:

Die Nationale Disziplinarkammer (CDN) der Ärztekammer verschärfte im Berufungsverfahren die in erster Instanz gegen Pr. Dominique Belpomme verhängte Sanktion wegen seiner Aktivitäten zur Diagnose des sogenannten „Elektrohypersensibilitätssyndroms“ (EHS) durch die Verhängung eines Berufsverbots für ein Jahr, erfuhren wir am Donnerstag vom Gericht.

Belpommes Wikipedia-Eintrag zufolge fiel die Entscheidung der Disziplinarkammer am 2. Februar 2023.

Kurz vor seinem 80. Geburtstag am 14. März ist das ein ganz spezielles Geburtstagsgeschenk für Belpomme. Inwieweit ein Jahr Berufsverbot einen 80-Jährigen noch wirksam bremsen kann, sei freilich dahingestellt.

Unter Wissenschaftlern sind Belpommes energisch vertretene Ansichten über "Elektrosensibilität" umstritten. Seine Anhänger sind einige mobilfunkkritische Wissenschaftler im Ruhestand und viele Laien aus der Anti-Mobilfunk- und EHS-Szene. Die treuesten Anhänger in Frankreich starteten im Februar 2018 eine Petition, damit Belpomme das Disziplinarverfahren unbeschadet übersteht. Stand heute hat diese Petition 10'120 Unterstützer, geholfen hat ihm das im Verfahren nicht. Kurios: Obwohl das Verfahren abgeschlossen ist, zeichnen Belpomme-Anhänger die Petition weiter. Stoppen die Petenten ihre Petition nicht, machen sich Fans des Franzosen möglicherweise noch in Jahren mit verspäteten Unterstützungsbekundungen lächerlich.

Die für Belpomme missliche Entscheidung im Berufungsverfahren wird sich voraussichtlich nicht nachteilig auf seine gegenüber Sachargumenten immune Anhängerschaft auswirken. Vielmehr ist zu erwarten, dass der Wissenschaftler als Opfer intriganter Machenschaften aufgebläht wird.

Hintergrund
Belpommes Fußabdruck im IZgMF-Forum

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