2023-11-16: LTE-Strahlung schädigt Hühnerembryonen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 01.12.2024, 16:12 (vor 3 Tagen) @ H. Lamarr

Titel: Studie zeigt: LTE-Mobilfunkstrahlung schädigt Hühner-Embryos – uns Menschen auch?

Eigentlich hatte ich nicht vor, mir "Pressemitteilungen" von Diagnose-Funk auch noch rückwirkend anzutun. Das vorliegende Exemplar disqualifiziert den Verein aber so nachdrücklich als ernst zu nehmenden Gesprächspartner, dass ich nicht daran vorbeigekommen bin.

► Vereinsvorstand Jörn Gutbier bläht sich populistisch auf: "Diese neue Studie liefert Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke einen guten Anlass zum Handeln. Schwangere müssen dringend über die Gefahren für ihr werdendes Kind aufgeklärt werden, die von der Nutzung von Mobilfunkgeräten während der Schwangerschaft ausgehen. Was wir im Tierversuch bei Hühnerembryos sehen, passiert sehr wahrscheinlich auch beim Menschen. Doch niemand will, dass Kinder schon vor der Geburt Schäden davontragen. Daher brauchen wir eine Aufklärungskampagne zum gesundheitsverträglichen Umgang mit Mobilfunk. Wenn die Ministerin jetzt weiter schweigt und tatenlos bleibt, versündigt sie sich an der zukünftigen Generation. Das sind harte Worte, doch sie passen zu den dramatischen Ergebnissen der Studie."

Und jetzt schauen wir mal, auf welcher atemberaubenden Grundlage sich Gutbier so stark aufbläht.

► Auszug aus der Studie: [...] To experiment, 120 fertile Indian River breed chicken eggs were used. These eggs were collected from VIP Shahadat Hatchery located in Rangpur-5400 and had an average weight of 60 g. The 60 eggs were separated into two groups. [...] Nein, nicht 60 Eier wurden in zwei Gruppen aufgeteilt (Fall- und Kontrollgruppe), sondern 120 Eier. Kein schlimmer Fehler, dass er gedruckt vorliegt, wirft aber kein gutes Licht auf die Sorgfalt der Autoren und der Redaktion.

► Die 60 Eier der Fallgruppe (A) wurden zu je 30 Stück auf zwei Eierhalter aufgeteilt, die sich in einem Inkubator alle zwei Stunden einmal um die eigene Achse drehten. Als Strahlungsquelle für die Fallgruppe verwendeten die Autoren zwei handelsübliche Mobiltelefone vom Typ Samsung Galaxy J5, die ins Zentrum der Eierhalter gelegt wurden. Der Maximalabstand zwischen Telefon und einem Ei betrug 12 cm. Die Telefone weisen einen SAR-Wert von 1,4 W/kg aus und wurden im Expositionszeitraum (14 Tage) täglich 4-mal für 15 Minuten mit einem Videoanruf zum "strahlen" gebracht.

► Ist oben die Expositionsapparatur noch halbwegs nachvollziehbar beschrieben, wird es nun kryptisch, heißt es doch im Original: "The SAR of each chicken embryo in Group A was not calculated. Instead, determining the average exposure level that all of the embryos in Group A experienced using the cell phone's SAR value." Die Autoren sind offensichtlich von der Annahme ausgegangen, jedes Ei der Fallgruppe habe im Mittel 1,4 W/kg Strahlungsleistung aufgenommen.

► Die Dosimetrie der Studie ist mMn eine einzige Katastrophe. Da stimmt nichts. Ein handelsübliches Handy darf nicht als Strahlungsquelle verwendet werden, da die Sendeleistung des Geräts allein von der Basisstation bestimmt wird, in die das Handy momentan eingebucht ist. Situationsabhängig buchen Basistationen Handys auf andere Funkkanäle oder sogar andere Basisstationen um, was fallweise gravierende Auswirkungen auf die Sendeleistung des Handys haben kann. Auf diese Weise lässt sich niemals eine kontrollierte Exposition gewährleisten, sondern nur eine unkontrollierte, was wiederum mit nachvollziehbarem wissenschaftlichen Handeln nichts zu tun hat.

► Völlig neben der Spur sind die Studienautoren mit ihrer Annahme, die Eier hätten 1,4 W/kg Leistung aufgenommen, nur weil dies der SAR-Wert der verwendeten Handys sei. Die Annahme wäre nur dann tendenziell für Eier mit Berührungskontakt zum Handy zutreffend, wären die Handys auf maximale Sendeleistung dirigiert worden. Mit einem Funkmessplatz anstelle einer öffentlichen Basisstation wäre dies gezielt machbar gewesen, nicht aber mit der Expositionsmethode der Studienautoren. Ein Messplatz allein aber hätte nicht gereicht. Zusätzlich hätte geprüft werden müssen, ob Galaxy-J5-Handys ihren maximalen SAR-Wert überhaupt im LTE-2100-Frequenzband und nicht in einem ganz anderen Frequenzband verursachen.

► Völlig neben der Spur sind die Autoren, die Handys einfach auf die Eier im Zentrum der Eierhalter zu legen. Eine homogene Bestrahlung aller Eier, gut für die Aussagekraft der Studie, lässt sich so niemals erreichen. Abhängig von Trägerfrequenz/Wellenlänge sind bei Mobiltelefonen Mindestabstände einzuhalten (Fernfeld), um halbwegs homogene Wellenfronten zu erzielen. Im Nahfeld und im reaktiven Nahfeld gelten andere physikalische Gesetze als im Fernfeld. So wie die Autoren die Eier befeldet haben, wurde jedes Ei anders exponiert.

► Von allen guten Geistern verlassen waren die Autoren, die Sendeleistung der beiden Mobiltelefone mit einem Messgerät vom Typ "TriField 100XE" zu überwachen (Originaltext: [...] a TriField Meter, model 100XE, was used to verify the phones’ EMF output). Denn dieses Zeigerinstrument hat eine obere Grenzfrequenz von 100 kHz und ist deshalb für die Messung von 2,1-GHz-Signalen völlig ungeeignet. Das hätte mMn sogar Gutbier erkennen können.

Damit lasse ich's gut sein, obwohl noch längst nicht alles gesagt ist.

Die Autoren der Studie mögen gute Pathologen oder Anatomen sein, von Dosimetrie verstehen sie nichts und hätten deshalb besser einen Funktechniker mit ins Boot geholt. Da sie dies versäumt haben, sehe ich ihre Studie als wissenschaftlich wertlos an. Anscheinend wollten die Autoren auf Biegen und Brechen eine alarmierende Studie abliefern. So zumindest verstehe ich das alles andere als ergebnisoffene "Objective" im Abstract: "The study was designed to determine the harmful effects of 4G mobile phone radiation [...]".

Was unterscheidet nun den Diagnose-Funk-Vorstand Gutbier von den Autoren einer Studie, der ich mit allem Respekt das Prädikat "Schrottstudie" verleihe? Gutbier ist kein guter Pathologe und kein guter Anatom, sondern Architekt. Ob ein guter oder schlechter kann ich nicht beurteilen, wohl aber, dass er Qualitätsstudien nicht von Schrottstudien unterscheiden kann.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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