Newman vs. Motorola: Lennart Hardell auf dem Prüfstand (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.07.2024, 00:37 (vor 49 Tagen)

Der amerikanische Neurologe Christopher Newman († 2006) litt an einem Hirntumor und war so davon überzeugt, dass sein Mobiltelefon diesen verursacht hat, dass er Vertreter der Mobilfunkindustrie auf 800.Mio. Dollar Schadenersatz verklagte. Doch Newman scheiterte bereits in der Beweisaufnahme. Vor allem deshalb, weil sein wichtigster Gutachter Lennart Hardell die Richterin Catherine C. Blake nicht überzeugen konnte. Lesen Sie hier die Erklärung der Richterin, warum sie Hardell hat durchfallen lassen.

Der Reigen der Hirntumorverfahren wegen Mobiltefonnutzung startete im April 1992 in den USA mit dem Fall Suzy Reynard. Christopher Newman zog 2000 am Baltimore City Circuit Court nach. Sein Fall, dem sich bald weitere Kläger anschlossen, landete zur Beweisaufnahme bei der damals 50-jährigen Bezirksrichterin Catherine C. Blake. Newmans Anwälte verpflichteten unter Federführung der Kanzlei Peter Angelo den schwedischen Wissenschaftler Lennart Hardell als einen ihrer Gutachter. Hardell war ihnen damals aufgefallen, weil er 1999 damit begonnen hatte Studien zu publizieren, die Hirntumoren erstmals in Zusammenhang mit Mobiltelefonstrahlung brachten. Doch ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der USA aus dem Jahr 1993 (Daubert gegen Merrell Dow Pharmaceuticals Inc.), weist US-Richter an, zu prüfen, ob die Argumente von Gutachtern sowohl relevant als auch wissenschaftlich fundiert sind, bevor sie in einem Prozess auftreten dürfen. Die Anwälte der Beklagten ließen an den Gutachtern der Kläger kein gutes Haar und forderten die Nichtzulassung ihrer Stellungnahmen. Um sich selbst ein Bild zu machen, befragte Richterin Blake im Februar 2002 die Gutachter beider Seiten während einer 5-tägigen Anhörung. Am 30. September endete die Beweisaufnahme mit Blakes Beschluss, dem Antrag der Beklagten stattzugegeben, die Zeugenaussage der Klägerinnen auszuschließen und umgekehrt den Antrag der Kläger abzulehnen, Aussagen bestimmter Sachverständiger der Verteidigung auszuschließen. Da unter diesen Umständen eine Hauptverhandlung nicht möglich ist, war das Verfahren damit zuende.

Ihren Beschluss begründete Richterin Blake ausführlich mit einem Schriftsatz. Daraus habe ich den Abschnitt, der sich mit dem Ausschluss von Lennart Hardell beschäftigt von dem Übersetzungsdienst Deepl ins Deutsche übersetzen lassen und stellenweise nachgebessert. Wer sich dafür interessiert, warum Hardell 2002 als Gutachter scheiterte, findet im Folgenden die Antworten aus erster Hand. Wegen der großen Textmenge habe ich diesmal auf meine übliche Formatierung wortwörtlich zitierter Textpassagen verzichtet und mich mit der Formatierung kursiv begnügt. Der besseren Lesbarkeit wegen fehlen im deutschen Text alle Quellenverweise, die im englischen Text enthalten sind:

Richterin Blakes Begründung für den Ausschluss von Lennart Hardell

[...] Die Kläger haben eine Reihe von Sachverständigen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vorgeschlagen, um ihre Verursachungstheorie zu untermauern. Die Beklagten wiederum unterstützen ihren Ausschlussantrag mit einer Reihe angesehener klinischer, akademischer und forschender Wissenschaftler aus denselben relevanten Disziplinen. Entscheidend für den Fall der Kläger ist jedoch der von ihnen vorgeschlagene Experte auf dem Gebiet der Epidemiologie und Onkologie, Dr. Lennart Hardell. Experten auf beiden Seiten des Falles stimmten darin überein, dass Tierstudien unzureichend sind und dass es verlässliche epidemiologische Beweise für einen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonen und Krebs geben muss, um eine Theorie der Krebsverursachung beim Menschen zu unterstützen. Obwohl einschlägige Tierstudien und ein Verständnis der wissenschaftlichen Prinzipien, die mit Hochfrequenzemissionen verbunden sind, zur Debatte beitragen, reichen sie für sich genommen nicht aus, um die Schlussfolgerung zuzulassen, dass die Benutzung von Mobiltelefonen die Krebserkrankung von Dr. Newman oder einer anderen Person verursacht hat. Aus diesem Grund werde ich mich zunächst auf die Aussage von Dr. Hardell konzentrieren.

Dr. Hardell ist der einzige Arzt, auf den sich die Kläger berufen, um den spezifischen Kausalzusammenhang zu belegen. Er ist ordentlicher Professor für Onkologie am Universitätskrankenhaus in Orebro, Schweden, und teilt seine Zeit zwischen Forschung, Lehre und klinischer Praxis auf. Er hat "Tausende" von Krebspatienten und "Hunderte" von Hirntumorpatienten diagnostiziert und behandelt, seit er 1976 seine Arbeit als Onkologe aufnahm. Dr. Hardell hat auch zahlreiche Studien auf dem Gebiet der Krebsepidemiologie durchgeführt und veröffentlicht. Seine Ausbildung, Erfahrung und Schulung begründen für sich genommen seine Qualifikation, Gutachten in den Bereichen Onkologie und Epidemiologie abzugeben, wenn diese Gutachten ansonsten den Daubert-Standards entsprechen.

In Vorbereitung auf die Erstellung eines Gutachtens zur Verursachung in diesem Fall hat Dr. Hardell Dr. Newman telefonisch befragt und Dr. Newmans medizinische Unterlagen und MRTs geprüft. Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei dem Tumortyp um ein "anaplastisches Astrozytom Grad 3" handelte und dass "der Tumor auf der rechten Seite des Gehirns im Okzipitalbereich lag und sich bis in den Schläfenbereich erstreckte". Er nahm aufgrund von Informationen von Dr. Newman und seinem Rechtsbeistand an, dass Dr. Newman von Oktober 1992 bis zur Diagnose seines Hirntumors im März 1998 ein analoges Mobiltelefon benutzte. Von Oktober 1992 bis April 1995 nutzte Dr. Newman das Telefon etwa dreißig Minuten pro Monat; von Mai 1995 bis Mai 1998 wiesen die Telefonrechnungen eine Nutzung von 19.684 Minuten aus. Somit belief sich die Gesamtdauer der Handynutzung auf 343 Stunden. Dr. Newman hielt das Telefon hauptsächlich in der rechten Hand neben seinem rechten Ohr, wobei die Antenne nicht ausgefahren war. Dr. Hardell kam zu dem Schluss, dass sich der Tumor in dem Bereich befand, der der Stelle, an der die Antenne gehalten wurde, am nächsten lag, nämlich im "rechten temporalen okzipitalen Bereich" des Gehirns.

Um seine Meinung zu untermauern, dass die Benutzung eines analogen Mobiltelefons den Hirntumor von Dr. Newman verursacht hat, stützte sich Dr. Hardell auf die Ergebnisse seiner eigenen epidemiologischen Forschung. Vor der Anhörung hatte Dr. Hardell zwei einschlägige Arbeiten in Fachzeitschriften mit Peer-Review veröffentlicht: Use of cellular telephones and the risk for brain tumours: A case-control study, INT'L J. OF ONCOLOGY 15: 113-116 (1999) (das "1999 Paper") und Ionizing radiation, cellular telephones and the risk for brain tumours, EUR. J. OF CANCER PREVENTION 10:523-529 (2001) (das "2001 Paper"). Beide basieren auf einer Studiengruppe von 233 Patienten mit einer Hirntumordiagnose. Im Papier von 1999 berichtete Dr. Hardell, dass es kein "insgesamt erhöhtes Risiko für Hirntumore im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Mobiltelefonen" gibt, unabhängig davon, ob es sich um analoge oder digitale Telefone handelt, und dass es "keinen Dosis-Wirkungs-Effekt" gibt. Es wurde ein "nicht-signifikant" erhöhtes Risiko für Hirntumore festgestellt, die sich auf derselben Seite des Kopfes befinden wie das Mobiltelefon ("ipsilateral"), aber "die Ergebnisse basieren auf niedrigen Zahlen und müssen mit Vorsicht interpretiert werden". Durch eine Neuberechnung der Daten, die im Papier von 2001 rechts- und linksseitige Tumore kombinierten, eine Methode, die im Papier von 1999 offenbar abgelehnt wurde, fand Dr. Hardell ein erhöhtes Risiko bei ipsilateraler Nutzung eines Mobiltelefons, basierend auf nur dreizehn exponierten Fällen.

Dr. Hardell führte eine zweite Studie mit einer größeren Gruppe von Fällen durch, die aus den regionalen Krebsregistern Schwedens stammten. Es wurden Fragebögen an etwa 1.600 Fälle und die gleiche Anzahl von Kontrollpersonen verschickt, die von 1.429 der Fälle und 1.470 der Kontrollpersonen beantwortet wurden (PX.42). Die Daten wurden im Jahr 2001 gesammelt und in zwei Veröffentlichungen zusammengefasst: "Cellular and cordless telephones and the risk for brain tumors" und "Use of cellular telephones and the risk for astrocytoma". Die erste Arbeit enthielt Ergebnisse sowohl für gutartige als auch für bösartige Hirntumore. Dr. Hardell stellte ein erhöhtes Risiko (Odds Ratio 1,26) für die Entwicklung eines Hirntumors fest, wenn ein analoges Telefon mehr als ein Jahr bis zu sechs Jahre lang benutzt wurde. Dieses Gesamt-Wahrscheinlichkeitsverhältnis wurde jedoch nur erreicht, wenn man die Akustikusneurinome mit einbezog, eine gutartige Tumorart, die in der Studie von 1999 nicht berücksichtigt wurde und bei der die Ergebnisse keinen signifikanten Anstieg zeigten. Wichtig ist, dass die erste Arbeit von Dr. Hardell (PX.42) kein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung bösartiger Hirntumore bei der Nutzung von Mobiltelefonen ergab.

In seiner zweiten Arbeit, die aus der größeren Studie hervorging, untersuchte Dr. Hardell die Risikofaktoren im Zusammenhang mit der Entwicklung von bösartigen Hirntumoren in 588 Fällen. Insgesamt wurde kein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines bösartigen Hirntumors, einschließlich Astrozytom, festgestellt (PX.43).

Dr. Hardell untermauert seine Verursachungstheorie jedoch mit seinen angeblichen Erkenntnissen über einen erhöhten Zusammenhang zwischen der Entwicklung bösartiger Hirntumore, einschließlich Astrozytomen, und "ipsilateraler" Telefonnutzung: Das heißt, Personen, die Tumore entwickelten, gaben mit größerer Wahrscheinlichkeit an, dass sie ihr Telefon auf derselben Seite des Kopfes wie die Tumore benutzt hatten. Die Stichhaltigkeit und Relevanz dieses Ergebnisses unterliegt ernsthafter Kritik, wie weiter unten ausführlicher erörtert wird.

Bei der Anwendung der Daubert-Faktoren ist es zunächst wichtig festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Anhörung im Februar 2002 keines der beiden Manuskripte zur Veröffentlichung in einer von Experten begutachteten Zeitschrift angenommen worden war. Tatsächlich wurde das Manuskript von The Lancet, einer angesehenen britischen medizinischen Fachzeitschrift, zur Veröffentlichung abgelehnt, weil die Gutachter erhebliche Kritik übten, u. a. an den "großen Konfidenzintervallen" und daran, dass "die Gesamtaussage des Papiers viel zu eindringlich formuliert war". Dr. Hardell zog seinen Antrag auf Veröffentlichung in Oncology Research zurück.

Nach der Anhörung wurde die zweite Arbeit von Dr. Hardell, "Use of cellular telephones and the risk for astrocytoma", von The International Journal of Radiation Biology, einer Fachzeitschrift mit Peer-Review, angenommen, aber noch nicht veröffentlicht. In seinem Schreiben an Dr. Hardell stellte der Herausgeber jedoch fest, dass "wir noch nie eine Arbeit angesichts einer so niedrigen Bewertung durch die Gutachter angenommen haben". Die erste Arbeit von Dr. Hardell, "Cellular and cordless telephones and the risk for brain tumours" (Zellulare und schnurlose Telefone und das Risiko für Hirntumore), wurde vom European Journal of Cancer Prevention angenommen und in Band 11 (2002) veröffentlicht.

Die Tatsache der Veröffentlichung entbindet natürlich nicht von der Notwendigkeit, die Ergebnisse und die Methodik der Studie zu prüfen, so dass sich die Untersuchung weiterhin auf die Relevanz und Validität in Bezug auf die in diesem Fall vorgelegten Kausalitätsgutachten konzentriert. Was die Frage der Relevanz betrifft, so zeigt, wie bereits erwähnt, keine der beiden Studien ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung bösartiger Hirntumore aufgrund der analogen Nutzung von Mobiltelefonen. Die Kläger stützen sich stattdessen auf das erhöhte Risiko für alle Hirntumore, das durch die Einbeziehung der Kategorie der gutartigen Akustikusneurinome ermittelt wurde, was auf den Fall von Dr. Newman nicht zutrifft und in der Arbeit von Dr. Hardell von 1999 nicht beobachtet wurde. Sie stützen sich auch auf die Assoziation von Astrozytomen mit ipsilateralem Gebrauch. Die Gültigkeit dieser Ergebnisse ist aus mehreren Gründen zweifelhaft.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Hardell, Hirntumor, USA, Prüfstand, Faktencheck, Gutachter, Daubert, Newman, Reynard, Blake, Konfidenzintervalle

Newman vs. Motorola: Lennart Hardell auf dem Prüfstand (II)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.07.2024, 00:40 (vor 49 Tagen) @ H. Lamarr

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Erstens besteht das Problem der Verzerrung der Erinnerung. Der Fragebogen von Dr. Hardell beruhte notwendigerweise darauf, dass Personen, die einen Hirntumor auf einer Seite ihres Kopfes entwickelt hatten, gebeten wurden, sich daran zu erinnern, auf welcher Seite des Kopfes sie ihr Mobiltelefon benutzt hatten. Dr. Meir Stampfer, Professor für Medizin an der Harvard Medical School und Vorsitzender der Abteilung für Epidemiologie an der Harvard School of Public Health, legte überzeugend die Gründe für die Feststellung dar, dass die Ergebnisse von Dr. Hardell wahrscheinlich durch eine Verzerrung des Erinnerungsvermögens beeinflusst wurden. Einer der wichtigsten dieser Gründe war, dass die Studie ein erhöhtes Tumorrisiko bei ipsilateralem Gebrauch für alle analogen, digitalen und schnurlosen Telefone feststellte, obwohl es ansonsten keine wissenschaftliche Befunde gibt, dass schnurlose Telefone Hirntumoren verursachen. Ein weiteres Beispiel ist das Muster des verringerten Risikos auf der kontralateralen Seite, das im Durchschnitt zu einem "Null"-Ergebnis führt (kein Zusammenhang).

Zweitens fällt das Fehlen einer nachgewiesenen Dosis-Wirkungs-Beziehung auf, was laut Dr. Hardell einer der wichtigsten Faktoren für den Nachweis der Kausalität ist. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass seine Papiere, seine eidesstattliche Aussage und seine Anhörung nicht dazu dienen, eine wissenschaftlich gültige Dosis-Wirkungs-Beziehung für die Nutzung von Mobiltelefonen und Hirntumoren zu finden, insbesondere nicht für Astrozytome.

Drittens ist es sehr problematisch, sich auf eine ipsilaterale Assoziation als Beweis für eine Verursachung zu berufen, wenn es keine zugrundeliegenden Beweise für einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und der Entwicklung von bösartigen Hirntumoren gibt. Wie in einem Bericht in The Lancet, der die Arbeit von Dr. Hardell aus dem Jahr 1999 kommentiert, erläutert wird, ist seine Theorie der Upsilateralität von Natur aus fehlerhaft: "Da es keinen Anstieg des Gesamtrisikos für einen Tumor gab, erfordert eine Assoziation zwischen der Seite des Tumors und der Seite der Telefonnutzung die unplausible Schlussfolgerung, dass die Telefonnutzung nicht das Risiko beeinflusst, ob ein Hirntumor auftritt, sondern nur seinen Ort." Diese Kritik gilt insbesondere für die aus den späteren Studien von Dr. Hardell hervorgegangenen Papiere, bei denen die beteiligten Zahlen ausreichend groß waren, um ein erhöhtes Risiko für bösartige Hirntumore aufzuzeigen, falls ein solches Risiko bestand.

Viertens legt Dr. Hardell eine übermäßige Betonung auf die positiven Ergebnisse für isolierte Untergruppen von Tumoren. Wie Dr. Stampfer erklärte, ist es keine gute wissenschaftliche Methodik, bestimmte erhöhte Untergruppen als signifikante Befunde hervorzuheben, ohne zuvor eine Hypothese aufgestellt zu haben, um nach bestimmten Mustern zu suchen oder diese zu erklären, wie z. B. einen Dosis-Wirkungs-Effekt. Darüber hinaus werden bei einer großen Anzahl von Untergruppenvergleichen zumindest einige von ihnen allein durch Zufall eine statistische Signifikanz aufweisen. In der Studie von Dr. Hardell gibt es keinen generellen Hinweis auf einen Anstieg in einer signifikanten Anzahl der Untergruppen. Während Dr. Richter mit dieser Analyse nicht einverstanden ist, finde ich Dr. Stampfer überzeugender.

Die Methodik von Dr. Hardell zur Prüfung der Lateralität wurde von keinem anderen dem Gericht vorgestellten Wissenschaftler angewandt. Sie wurde auch nicht repliziert. Die Studien von Inskip und Muscat, die die Lateralität mit anderen Mitteln und zugegebenermaßen mit einer kleineren Anzahl von Personen getestet haben, zeigen kein erhöhtes Risiko. Ein Teil der Schwierigkeit besteht darin, dass Dr. Hardell notgedrungen einen "Phantom"-Tumor einer bestimmten Seite des Kopfes in der Kontrollgruppe zuordnete und dabei dieselbe Seite des Kopfes wie bei den Vergleichsfällen verwendete. Dieses Verfahren scheint mit dem epidemiologischen Grundsatz unvereinbar zu sein, dass die Exposition nicht auf der Grundlage des Ergebnisses definiert werden kann.

Den Ergebnissen von Dr. Hardell stehen die zahlreichen Studien gegenüber, die in Fachzeitschriften mit Peer-Review und von internationalen wissenschaftlichen und staatlichen Gremien veröffentlicht wurden, auf die bereits verwiesen wurde. Dr. Eugenia Calle, die Leiterin der analytischen Epidemiologie der American Cancer Society, überprüfte die Ergebnisse der Muscat-, Inskip- und Johansen-Studien sowie die Arbeiten von Dr. Hardell aus den Jahren 1999 und 2001 und stellte fest, dass deren Ergebnisse mit den Berichten von mehr als zehn wissenschaftlichen Gremien und Regierungsstellen übereinstimmen, die keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Benutzung von Mobiltelefonen und der Entwicklung von Hirntumoren zeigen. Sie fand "keine verlässliche Grundlage" für einen Zusammenhang zwischen der Benutzung von Mobiltelefonen und Hirntumoren. Ebenfalls von Bedeutung sind die nationalen Inzidenzdaten für Hirntumore. Tumore des Typs, der bei Dr. Newman diagnostiziert wurde, gibt es bekanntermaßen seit fast hundert Jahren, wobei die meisten keine bekannte Ursache haben. Es gab Schwankungen, aber keine signifikante Gesamtveränderung in der Häufigkeit solcher Tumore trotz der zunehmenden Nutzung von Mobiltelefonen in der amerikanischen Bevölkerung. Wie sowohl Dr. Stampfer als auch Dr. Laterra bezeugten, zeigten landesweit geführte Daten (das vom National Cancer Institute entwickelte Register Surveillance, Epidemiology, and End Results ("SEER")) keine wissenschaftlich signifikante Veränderung in der Meldung aller Gliome bei den 35- bis 39-Jährigen (Dr. Newmans Altersgruppe) im Zehnjahreszeitraum 1988 bis 1998 oder für bösartige Hirntumore bei den 35- bis 39-Jährigen von 1973 bis 1998 sowie bei anderen Altersgruppen. Dr. Laterra fand wie Dr. Stampfer keine wissenschaftlichen Beweise, die den Gebrauch von Mobiltelefonen mit Hirntumoren in Verbindung bringen würden.
[...]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die von den Sachverständigen der Kläger vorgelegten Gutachten zur Verursachung [von Newmans Hirntumor; Anm. Postingautor] den Daubert-Test nicht bestehen. Ihre Argumentation, Theorien und Methoden sind in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht allgemein anerkannt, wie die zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen und staatlichen Berichte zeigen, die keine ausreichenden Beweise dafür finden, dass die Benutzung von Mobiltelefonen Hirntumore beim Menschen verursacht, sowie die Reihe von etablierten, erfahrenen und hochqualifizierten Experten, die von der Verteidigung als Zeugen geladen wurden. Die einzige veröffentlichte, von Experten begutachtete epidemiologische Studie, die eine solche Verursachung feststellt, weist schwerwiegende Mängel auf, und eine zuverlässige Epidemiologie ist unerlässlich, bevor eine Verbindung zwischen Tierstudien und der Verursachung von Krebs beim Menschen hergestellt werden kann. Weder die Arbeit von Dr. Hardell noch die Tierstudien von Dr. Lai, auf die sich die Sachverständigen der Kläger in hohem Maße berufen, wurden von anderen Wissenschaftlern repliziert oder anderweitig bestätigt. Darüber hinaus sind die veröffentlichten Studien von Dr. Lai nicht relevant oder "passend", wenn sie auf Funkstrahlung bei Mobiltelefonfrequenzen angewendet werden.

Aus all diesen Gründen wird dem Antrag der Beklagten auf Ausschluss der Zeugenaussage der von den Klägern vorgeschlagenen Sachverständigen stattgegeben und der entsprechende Antrag der Kläger auf Ausschluss der Zeugenaussage der Sachverständigen der Beklagten abgelehnt.
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Newman vs. Motorola: Lennart Hardell auf dem Prüfstand (III)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.07.2024, 23:23 (vor 48 Tagen) @ H. Lamarr

Aus all diesen Gründen wird dem Antrag der Beklagten auf Ausschluss der Zeugenaussage der von den Klägern vorgeschlagenen Sachverständigen stattgegeben und der entsprechende Antrag der Kläger auf Ausschluss der Zeugenaussage der Sachverständigen der Beklagten abgelehnt.

Nach dem Scheitern in erster Instanz ging Christopher Newman in Berufung, die 2003 am Berufungsgericht in Richmond, Virginia, verhandelt wurde. Ein Gremium von drei Richtern entschied im Oktober 2003, dass Bezirksrichterin Catherine Blake ihren Ermessensspielraum nicht missbraucht hat, als sie die Expertenaussage von Dr. Lennart Hardell ausschloss, einem schwedischen Epidemiologen und wichtigster Zeuge der Kläger. Das Berufungsgericht entschied den Fall in relativ kurzer Zeit, nachdem es vor weniger als einem Monat eine mündliche Verhandlung abgehalten hatte. [...]

Quelle: Appeals court affirms mobile-health ruling

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Lennart Hardell schon im Mai 2002 verdächtig

Alexander Lerchl @, Sonntag, 21.07.2024, 09:19 (vor 49 Tagen) @ H. Lamarr

Danke für diesen wertvollen Hinweis! Die Richterin führte ja u.a. aus:

Dr. Hardell führte eine zweite Studie mit einer größeren Gruppe von Fällen durch, die aus den regionalen Krebsregistern Schwedens stammten. Es wurden Fragebögen an etwa 1.600 Fälle und die gleiche Anzahl von Kontrollpersonen verschickt, die von 1.429 der Fälle und 1.470 der Kontrollpersonen beantwortet wurden (PX.42).

Schon damals war klar, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging, denn die hohe Zahl von Rückläufern war und ist mit ca. 90% extrem hoch und einmalig, m.a.W. völlig unglaubwürdig. Es wurde gemutmaßt, dass der Absender der Fragebögen die Antworten gleich an sich selbst geschickt hatte ...

Seinerzeit hatte ich auf diesen Skandal mit einer englischen und einer deutschen Übersetzung aus dem Schwedischen hingewiesen, allerdings ist dort der Link zur Dropbox (von den Betreibern der Dropbox) im Rahmen einer Reorganisation geändert worden, daher hier der richtige Link.

Das zeitliche Zusammentreffen (Mai 2002 der Brief, September 2002 die Ablehnung durch das Gericht) ist vermutlich Zufall.

Jedenfalls ist völlig klar, dass Hardell als Experte komplett disqualifiziert ist, und alle, die ihn zu irgendwelchen Veranstaltungen einladen oder mit ihm gar kooperieren, tun sich keinen Gefallen.

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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

Sweden’s Lennart Hardell: Under Attack from All Sides

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.07.2024, 22:08 (vor 48 Tagen) @ Alexander Lerchl

Jedenfalls ist völlig klar, dass Hardell als Experte komplett disqualifiziert ist, und alle, die ihn zu irgendwelchen Veranstaltungen einladen oder mit ihm gar kooperieren, tun sich keinen Gefallen.

Für 2002 mag das zutreffen, da hatte Hardell auch aus Sicht von Microwave News nichts zu lachen und geriet dem US-Portal zufolge von allen Seiten unter Druck (Seite 4). Das Blatt wendete sich 2011, als Iarc, maßgeblich auch wegen Hardells bis dahin publizierter Studien, das Krebsrisiko von Mobiltelefonen mit "möglicherweise krebserregend" bewertete. Über Nacht wurde Hardell damit mMn so etwas wie der arme König organisierter Mobilfunkgegner. "Arm" deshalb, weil er trotz des Erfolgs in Lyon unerwartet große Mühe hatte, Geldquellen für seine weiteren Studien zu erschließen und am Ende sogar auf Spenden von Adlkofers Stiftung Pandora angewiesen war.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
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