Hirntumoren: Großstudie Cosmos gibt Entwarnung (I) (Forschung)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 06.03.2024, 14:57 (vor 261 Tagen)

Die multinationale prospektive Kohortenstudie Cosmos beobachtet an mehr als 264'000 Handynutzern so genau wie nie zuvor deren Exposition mit HF-EMF und das Vorkommen von Hirntumoren (Gliome, Meningiome, Akustikusneurinome). Ein jetzt rd. sieben Jahre nach Studienbeginn veröffentliches erstes Follow-up (Nachbeobachtung) bringt organisierte Mobilfunkgegner schwer in Bedrängnis. Denn anhand der erhobenen Daten konnten die Studienautoren selbst bei Intensiv- und Langzeitnutzern von Mobiltelefonen (mehr als 15 Jahre) kein erhöhtes Hirntumorrisiko feststellen.

Publiziert wurde das erste Follow-up (Mobile phone use and brain tumour risk – COSMOS, a prospective cohort study) von einer Arbeitsgruppe mit den Korrespondenzautoren Maria Feychting und Paul Elliott am 2. März 2024 online in der Fachzeitschrift Environment International (Volltext). Der Abstract gibt über das Wesentliche Auskunft:

Hintergrund: Jede neue Generation von Mobiltelefonen hat Diskussionen über die mögliche Karzinogenität durch die Exposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) ausgelöst. Die bislang verfügbaren Daten sind unzureichend, um Rückschlüsse auf die langfristige und intensive Nutzung von Mobiltelefonen zu ziehen, da sie infolge von Erinnerungsfehlern und Auswahlfehlern (recall & selection bias) oder eine grobe Expositionsbewertung eingeschränkt sind. Die Kohortenstudie über Mobiltelefone und Gesundheit (COSMOS) wurde gezielt entwickelt, um derartige Unzulänglichkeiten auszuschalten.

Methoden: Wir rekrutierten Teilnehmer in Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Königreich im Zeitraum 2007 bis 2012. Mit dem Ausgangsfragebogen (baseline) wurde die lebenslange Nutzung von Mobiltelefonen erfasst. Die Teilnehmer wurden durch bevölkerungsbasierte Krebsregister verfolgt, um Gliom-, Meningiom- und Akustikusneurinom-Fälle während der Nachbeobachtung zu identifizieren. Eine nicht-differenzierte Fehlklassifizierung der Exposition wurde reduziert, indem die Schätzungen der Mobiltelefon-Anrufzeit durch Regressions-Kalibrierungsmethoden auf Grundlage selbstberichteter Daten und der objektiven, von den Mobilfunknetzbetreibern aufgezeichneten Expositionsinformationen zu Beginn der Studie angepasst wurden. Die Hazard-Ratios (HR) und 95-Prozent-Konfidenzintervalle (CI) für Gliome, Meningiome und Akustikusneurinome im Zusammenhang mit der lebenslangen Nutzung von Mobiltelefonen wurden mit Cox-Regressionsmodellen berechnet, wobei das erreichte Alter als zugrundeliegende Zeitskala diente und an Land, Geschlecht, Bildungsniveau und Familienstand angepasst wurde.

Ergebnisse: 264'574 Teilnehmer haben 1'836'479 Personenjahre angesammelt. Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 7,12 Jahren wurden 149 Gliome, 89 Meningiome und 29 Fälle von Akustikusneurinomen diagnostiziert. Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer betrug 1,00 (95.% CI 0,98-1,02) für Gliome, 1,01 (95.% CI 0,96-1,06) für Meningeome und 1,02 (95.% CI 0,99-1,06) für Akustikusneurinome. Für Gliome betrug die HR für mehr als 1908 regressionskalibrierte kumulative Stunden (90. Perzentil-Cut-Point) 1,07 (95 % CI 0,62-1,86). Mehr als 15 Jahre Mobiltelefonnutzung war nicht mit einem erhöhten Tumorrisiko verbunden; für Gliome lag die HR bei 0,97 (95.% CI 0,62-1,52).

Mobilfunkgegner müssen Cosmos entwerten

Für überzeugte Mobilfunkgegner sind die Ergebnisse der Cosmos-Studie existenzbedrohend, die Szene wird deshalb alles daran setzen, die Studie nachträglich zu entwerten. Gegen das früh einsehbare Studienkonzept gab es seitens der Gegner keine Einwände, weil zu diesem Zeitpunkt Ergebnisse noch völlig offen waren. Es hätte statt Entwarnung auch Alarm geben können und dann wären irgendwelche von den Gegnern vorsorglich vorgetragenen Einwände gegen das Konzept für sie schädlich gewesen. Also wartet man lieber die Ergebnisse ab und feiert diese gegebenenfalls oder versucht diese nachträglich zu entwerten. So geht das schon seit vielen Jahren, dahinter steckt System, wobei die Entwertungsversuche der Gegner nicht selten äußerst angestrengt wirken und dem Versuch gleichkommen, ein Kamel durch ein Nadelöhr zu pressen. Zuweilen beruhen die Entwertungsbemühungen an einer entwarnenden Studie gar nur auf Einwänden, die von den Studienautoren selbst in ihrer Publikation geschildert werden. Laien, bevorzugte Zielgruppe überzeugter Mobilfunkgegner, erkennen solche Spielchen in aller Regel nicht und Experten sind darüber eher belustigt als betroffen. Cosmos ist schon isoliert betrachtet ein markanter Schlusspunkt hinter dem lang gehegten Verdacht, Mobiltelefone könnten Hirntumoren auslösen, noch markanter wird dieser Schlusspunkt bei der Gesamtschau, die ältere Studien widerspruchsfrei mit einbezieht.

Cosmos substanziell zu entwerten dürfte Mobilfunkgegnern schwer fallen. Denn diese Großstudie hat aus den Einschränkungen vorangegangener Großstudien gelernt und diese gezielt ausgeschaltet. Die folgenden Textpassagen, sie beruhen auf der Diskussion der Studienergebnisse durch die Studienautoren, mögen dies auszugsweise belegen.

Kein Risikozuwachs bei Vieltefonierern

In dieser großen Kohortenstudie, die speziell zur Untersuchung potenzieller Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit der Nutzung von Mobiltelefonen konzipiert wurde, fanden die Autoren keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Gesprächszeit mit Mobiltelefonen und dem Risiko für Gliome. Die statistische Aussagekraft ist für Meningeome und Akustikusneurinome begrenzt, aber die Ergebnisse weisen nicht auf einen Zusammenhang hin. Kein Zusammenhang wurde bei den stärksten Mobiltelefonnutzern festgestellt, die regressionskalibriert kumulativ mehr als 1062 Stunden am Mobiltelefon verbrachten, was für etwa ein Viertel aller Teilnehmer zutrifft, oder die im höchsten Dezil der kumulativen Nutzung auf mehr als 1908 Stunden (mehr als 2168 unkalibrierte Stunden) kamen. Letztere wurden allerdings nur für Gliome analysiert. Insgesamt deuteten weder die regressionskalibrierten Schätzungen der kumulativen Stunden mit Mobiltelefonie noch die unkalibrierten Schätzungen auf ein erhöhtes Tumorrisiko auf jedem Expositionsniveau hin. Ein großer Teil der Teilnehmer hatte vor Studienbeginn mindestens 15 Jahre lang regelmäßig Mobiltelefone benutzt und bei den Teilnehmern mit der längsten Geschichte der Mobiltelefonnutzung wurde kein erhöhtes Risiko festgestellt.

Verbindung zu den Kohortenstudien in Dänemark

In Übereinstimmung mit unseren Ergebnissen fanden zwei frühere prospektive Kohortenstudien, die auch die frühesten Mobiltelefonnutzer einschlossen, keinen Zusammenhang mit dem Krebsrisiko (Frei et al., 2011, Schüz et al., 2022, Schüz et al., 2011). Die Kombination der Ergebnisse von COSMOS und diesen Kohorten ergab eine gepoolte Risikoschätzung für Gliome von 0,94 (95 % CI 0,84-1,04) für ≥10 Jahre seit der ersten Mobiltelefonnutzung, basierend auf 764 exponierte Fälle. Beiden früheren Kohortenstudien fehlten noch Informationen über das kumulative Ausmaß der Handynutzung, und beide Studien konnte die Risiken der stärksten Handynutzer noch nicht bewerten. COSMOS hat diese Einschränkungen mit der detaillierten Expositionsbewertung für über 250'000 Personen überwunden.

Verbindung zur Interphone-Großstudie

Die Ergebnisse der bisher größten Fall-Kontroll-Studie, Interphone (Interphone Study Group, 2010, Interphone Study Group, 2011), stimmen ebenfalls weitgehend mit denen von COSMOS überein, da sie weder ein erhöhtes Hirntumorrisiko bei 95 Prozent der Studienpopulation noch ein erhöhtes Risiko in Abhängigkeit von der Zeit seit Beginn der regelmäßigen Mobiltelefonbenutzung zeigen. Die Interphone-Studie hatte jedoch ein erhöhtes Risiko für Gliome und Akustikusneurinome in Verbindung mit den höchsten 5 Prozent der selbst angegebenen kumulativen Gesprächszeit (≥1640 Stunden) festgestellt. In der Interphone-Studie wurde das Ausmaß der Mobiltelefonnutzung jedoch retrospektiv anhand von Befragungen ermittelt, die durchgeführt wurden, nachdem bei den Patienten ein Hirntumor diagnostiziert worden war. Diese Methode ist anfällig für Verzerrungen des Erinnerungsvermögens, insbesondere da der Tumor und seine Behandlung Gedächtnis und Kognition beeinträchtigen können. Darüber hinaus überschätzten Vielnutzer in der Interphone-Studie ihre Mobiltelefonnutzung stark; in der Expositionskategorie ≥1640 Stunden betrug das Verhältnis von selbst angegebenen zu von Netzbetreibern aufgezeichneten Stunden mehr als vier (Vrijheid et al., 2009). Eine solche Übertreibung konnte bei COSMOS (Toledano et al., 2018) nicht beobachtet werden, trotz der seither einsetzenden neueren Nutzung von Mobiltelefonen für andere Zwecke als zum Telefonieren. Somit stellen die ≥1062 regressionskalibrierten kumulativen Stunden, die von 25 Prozent der COSMOS-Teilnehmer angegeben wurden, wahrscheinlich eine wesentlich höhere Anzahl tatsächlicher kumulierter Stunden dar als die ≥1640 Stunden, die in Interphone angegeben wurden.

Diese Ergebnisse und die Inkonsistenz mit den COSMOS-Ergebnissen untermauern die Vermutung, dass die bescheidene Risikoerhöhung bei den 5 Prozent der stärksten Mobiltelefonnutzer in der Interphone-Studie auf eine Verzerrung der Berichterstattung zurückzuführen ist.

Übereinstimmung mit Inzidenzstudien

Darüber hinaus stimmen die COSMOS-Ergebnisse mit zeitlichen Inzidenzstudien aus Ländern mit gut etablierten Krebsregistern überein. In diesen Studien wurde kein Anstieg der Inzidenz von Hirntumoren in den Altersgruppen festgestellt, die am häufigsten Mobiltelefone benutzen (de Vocht, 2021, Deltour et al., 2022, Elwood et al., 2022, Ostrom et al., 2022, Villeneuve et al., 2021); dies hat den Vorteil, dass der zum Zeitpunkt der IARC-Bewertung im Jahr 2011 verfügbare Bestand an Inzidenz-Zeit-Trendstudien (Baan et al., 2011) nunmehr um zehn Jahre verlängert vorliegt.

COSMOS widerlegt Hardell-Studien

Im Gegensatz zu COSMOS und allen anderen Inzidenz-Zeit-Trendstudien, auch aus den nordischen Ländern (Deltour et al., 2022), berichtete eine Fall-Kontroll-Studienreihe in Schweden über erheblich erhöhte Risikoschätzungen für Gliome und Akustikusneurinome im Zusammenhang mit Mobiltelefonnutzung. Und dies schon nach sehr wenigen kumulativen Nutzungsstunden und kurze Zeit nach Beginn der Mobiltelefonnutzung (Hardell et al., 2006, Hardell et al., 2013, Hardell et al., 2005). Eine mögliche Erklärung für diese Ergebnisse könnten eine Verzerrung der Erinnerung sowie andere methodische Probleme sein (Ahlbom et al., 2009).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Hirntumor, Gliom, COSMOS, Krebsrisiko, Handystrahlung, Entwarnung, Interphone-Studie, Cosmos-Studie, Karzinogenität, Meningiom, Konfidenzintervalle

Hirntumoren: Großstudie Cosmos gibt Entwarnung (II)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 06.03.2024, 14:58 (vor 261 Tagen) @ H. Lamarr

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Objektive Daten statt Expositionsschätzungen

Eine wesentliche Stärke von COSMOS ist die große multinationale Kohorte mit prospektiv erhobenen detaillierten Informationen über die Zeit seit Beginn der regelmäßigen Mobiltelefonnutzung, den Umfang der Nutzung und die Nutzung von Freisprecheinrichtungen mittels standardisierter Fragebögen, welche Veränderungen der Nutzung im Laufe der Zeit erfassen. Auf diese Weise konnten die Autoren Informationen über die frühere Mobiltelefonnutzung sammeln, die von Krankheitsfolgen unbeeinflusst waren, und so eine Verzerrung der Erinnerung vermeiden. Darüber hinaus erhielten die Autoren objektiv aufgezeichnete Netzbetreiberdaten über die Dauer von Mobiltelefonanrufen, was es ihnen ermöglichte, potenzielle nicht-differentielle Expositionsmessfehler und Expositionsfehlklassifizierungen durch Regressionskalibrierungsmethoden zu reduzieren (Reedijk et al., 2023).

Nichtsdestotrotz ist ein gewisses Maß an nicht-differentieller Expositionsfehlklassifizierung bei selbstberichteten retrospektiven Informationen sowohl in Kohorten- als auch in Fall-Kontroll-Studien unvermeidlich. Eine solche Fehlklassifizierung wird sich nicht auf die Risikoschätzungen auswirken, wenn kein echter Zusammenhang besteht, sie kann aber einen Zusammenhang abschwächen, wenn tatsächlich ein Effekt besteht. Die Exposition nach der Baseline wurde bei COSMOS nicht abgeschätzt, aber wenn man bedenkt, dass sich dies auf eine sehr kurze Expositionsdauer bezieht, die für die Entwicklung von soliden Tumoren wahrscheinlich nicht relevant ist, wird die potenzielle Fehlklassifizierung der Exposition die Risikoschätzungen wahrscheinlich nicht nennenswert beeinflussen. Die im Gehirn absorbierte Energie aus der HF-EMF-Exposition durch Mobiltelefone wird auch von der Qualität der Verbindung zwischen dem Mobiltelefon und der Basisstation beeinflusst, denn je besser die Qualität, desto geringer die Ausgangsleistung (und die Emissionen) des Mobiltelefons, wohingegen die Ausgangsleistung bei schlechter Verbindung maximal bleibt. Diese Expositionsschwankungen wirken sich sowohl auf Kohorten- als auch auf Fall-Kontroll-Studien aus und sind in groß angelegten epidemiologischen Studien schwer zu messen.

Alte Wissenslücken geschlossen

Maßgebliche Expertenausschüsse, die vor relativ kurzer Zeit die wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassend geprüft haben, kamen zu dem Schluss, dass die vorliegenden Erkenntnisse nicht für ein erhöhtes Risiko von Hirntumoren durch schwache HF-EMF-Exposition bei Mobiltelefonaten sprechen (Scheer, 2023, FDA, 2008); die Erkenntnisse reichten jedoch nicht aus, um Schlussfolgerungen für die langfristige und intensive Nutzung von Mobiltelefonen zu ziehen. COSMOS wurde speziell entwickelt, um diese Wissenslücken zu schließen (Schüz et al., 2011), indem ein großer Teil der Langzeitnutzer von Mobiltelefonen einbezogen wurde, um die statistische Aussagekraft zu erhöhen.

Hintergrund
Website der Cosmos-Studie
Das Aus der Cosmos-Studie in Deutschland
Fußabdruck von Cosmos im IZgMF-Forum

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Schüz, Hirntumor, COSMOS, Krebsrisiko, Handystrahlung, Entwarnung, Langzeitstudie, Mobilfunkstrahlung, Cosmos-Studie

Hirntumoren: Anmerkungen zur Großstudie Cosmos

Gast, Montag, 18.03.2024, 01:02 (vor 250 Tagen) @ H. Lamarr
bearbeitet von Gast, Montag, 18.03.2024, 01:23

Die multinationale prospektive Kohortenstudie Cosmos beobachtet an mehr als 264'000 Handynutzern so genau wie nie zuvor deren Exposition mit HF-EMF und das Vorkommen von Hirntumoren (Gliome, Meningiome, Akustikusneurinome). Ein jetzt rd. sieben Jahre nach Studienbeginn veröffentliches erstes Follow-up (Nachbeobachtung) bringt organisierte Mobilfunkgegner schwer in Bedrängnis. Denn anhand der erhobenen Daten konnten die Studienautoren selbst bei Intensiv- und Langzeitnutzern von Mobiltelefonen (mehr als 15 Jahre) kein erhöhtes Hirntumorrisiko feststellen.


Endpunkte "Krebs" und "Symptome"

Cosmos beobachtet vereinfacht gesagt die Endpunkte "Krebs" und "Symptome" im Zusammenhang mit EMF-Exposition. Das muss man auseinanderhalten. So hat das hier vorgestellte erste Cosmos-Follow-up aus Schweden/Finnland mit Krebs nichts zu tun, dort geht es um das Symptom Kopfschmerzen.

Zeitfenster des ersten Krebs-Follow-ups

Das jetzt publizierte erste Krebs-Follow-up fasst die nationalen Daten aus unterschiedlichen Zeiträumen zusammen, da Cosmos nicht in allen teilnehmenden Ländern gleichzeitig startete. Begonnen haben die Beobachtungen der nationalen Cosmos-Studiengruppen sechs Monate nach der nationalen Erhebung der "Baseline" (Referenz). Für das Ende der erste Follow-up-Beobachtungsphase gab es neben anderen Kriterien folgende Zwischenstopps (Quelle):

"Participants were followed until any CNS tumour diagnosis, emigration, death, or end of follow-up (Denmark: end of November 2016; Finland: end of 2015; Sweden: end of 2017; Netherlands: AMIGO cohort 7th November 2017, EPIC cohort end of 2014, Nightingale cohort 14th June 2017; UK: Scotland end of 2015, England and Wales 1st April 2020)."

Der Cosmos-Teilnehmer Frankreich fehlt in der Auflistung, da unser westlicher Nachbar sich erst spät für die Teilnahme entschlossen hat und für das erste Krebs-Follow-up noch nicht ausreichend lange Daten sammeln konnte.

Risiko Mobilfunk an GSM-Ära gebunden

Mit dem Zwischenstopp ist Cosmos (Krebs) nicht zuende, sondern seit den oben genannten Daten läuft in den teilnehmenden Ländern die Beobachtungsphase für das nächste Krebs-Follow-up. Dazu schreiben die Autoren:

"Künftige Aktualisierungen der Cosmos-Kohorte zum Krebsgeschehen werden zusätzliche Informationen über mögliche Langzeiteffekte von HF-EMF infolge des Gebrauchs jüngerer Funktechniken liefern."

Mit "jüngeren Funktechniken" dürfte erstrangig und im Gegensatz zu GSM (2G) der um 2004 in Europa eingeführt 3G-Mobilfunk gemeint sein (UMTS), da 4G (LTE) erst um 2010 aufkam. Doch spektakuläre Ergebnisse sind von dem nächsten Krebs-Follow-up eher nicht zu erwarten, denn im Vergleich zu GSM befelden UMTS-Mobiltelefone aus technischen Gründen den Kopf eines Nutzers im Mittel um Faktor 100 schwächer und die fortschreitende Netzverdichtung (bedeutet geringere Sendeleistung der Mobiltelefone) dürfte die Kopf-Exposition durch Mobiltelefone von Jahr zu Jahr weiter deutlich reduziert haben. Auch deshalb soll das BfS Überlegungen endgültig aufgegeben haben, sich nach der Absage der Cosmos-Teilnahme (2005) möglicherweise doch noch an der Großstudie zu beteiligen.

Sollten Mobiltelefone überhaupt schwache Auswirkungen auf das Risiko Hirntumor gehabt haben, so sind diese auf die Anfangsjahre des Massenfunks mit GSM von etwa 1992 bis zur Ablösung durch UMTS beschränkt. Allerdings ist der Übergang fließend, da auch jüngere Mobiltelefone für Sprachverbindungen noch gerne in den GSM-Modus zurück fielen. Wegen langer Latenzzeiten lässt sich ein Anstieg der Hirntumor-Inzidenzen im nächsten Follow-up nicht kategorisch ausschließen. Trifft jedoch die Überlegung zu, dass dieser Anstieg ursächlich mit der GSM-Ära zusammenhängt, werden die Inzidenzzahlen nicht bleibend anwachsen, sondern nach einer überschaubaren Zeitspanne ein gewisses Maximum erreichen und dann wieder absinken.

Tags:
Hirntumor, Gliom, Handystrahlung, Latenzzeit, Akustikusneurinom, Cosmos-Studie, Meningiom, Krebs-Follow-up, Inzidenzzahlen

KI erklärt Ergebnisse des ersten Cosmos-Krebs-Follow-ups

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 12.09.2024, 00:41 (vor 72 Tagen) @ H. Lamarr

Ergebnisse: 264'574 Teilnehmer haben 1'836'479 Personenjahre angesammelt. Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 7,12 Jahren wurden 149 Gliome, 89 Meningiome und 29 Fälle von Akustikusneurinomen diagnostiziert. Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer betrug 1,00 (95.% CI 0,98-1,02) für Gliome, 1,01 (95.% CI 0,96-1,06) für Meningeome und 1,02 (95.% CI 0,99-1,06) für Akustikusneurinome. Für Gliome betrug die HR für mehr als 1908 regressionskalibrierte kumulative Stunden (90. Perzentil-Cut-Point) 1,07 (95 % CI 0,62-1,86). Mehr als 15 Jahre Mobiltelefonnutzung war nicht mit einem erhöhten Tumorrisiko verbunden; für Gliome lag die HR bei 0,97 (95.% CI 0,62-1,52).[/i]

Für Laien sind Studienergebnisse wie die oben zitierten böhmische Dörfer. Gilt das auch für KI? Um das herauszufinden, habe ich mit "Copilot" (KI von Microsoft), kürzlich eine kleine Unterhaltung geführt:

Was besagt bei Studien das Konfidenzintervall CI? Bitte anhand eines Beispiels erklären.

Copilot: Das Konfidenzintervall (CI) ist ein statistisches Maß, das den Bereich angibt, in dem ein unbekannter Parameter (z.B. der Mittelwert einer Population) mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegt. Es gibt also an, wie genau eine Schätzung ist und wie viel Unsicherheit mit dieser Schätzung verbunden ist.

Ein Beispiel: Angenommen, wir möchten den durchschnittlichen Blutdruck einer bestimmten Bevölkerungsgruppe messen. Wir nehmen eine Stichprobe und berechnen den durchschnittlichen Blutdruck dieser Stichprobe. Der berechnete Durchschnitt ist jedoch nur eine Schätzung des tatsächlichen Durchschnitts der gesamten Population.

Nehmen wir an, der durchschnittliche Blutdruck in unserer Stichprobe beträgt 120 mmHg und das 95%-Konfidenzintervall beträgt 115 bis 125 mmHg. Das bedeutet, dass wir zu 95% sicher sind, dass der tatsächliche durchschnittliche Blutdruck der gesamten Population zwischen 115 und 125 mmHg liegt.

Das Konfidenzintervall hilft also dabei, die Präzision unserer Schätzung zu verstehen und gibt uns einen Bereich, in dem der wahre Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt. Es ist ein nützliches Werkzeug, um die Unsicherheit in statistischen Schätzungen zu quantifizieren.

Und welche Rolle spielt dabei das Hazard-Ratio HR?

Das Hazard-Ratio (HR) ist ein Maß, das häufig in Überlebensanalysen verwendet wird, um das relative Risiko eines Ereignisses (z.B. Tod, Krankheitsrückfall) zwischen zwei Gruppen zu vergleichen. Es gibt an, wie viel wahrscheinlicher ein Ereignis in einer Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt auftritt.

Ein Beispiel: Angenommen, wir haben eine klinische Studie, die die Wirksamkeit eines neuen Medikaments zur Behandlung von Krebs untersucht. Die Patienten werden in zwei Gruppen eingeteilt: eine Gruppe erhält das neue Medikament und die andere Gruppe erhält ein Placebo. Das Hazard-Ratio wird berechnet, um zu bestimmen, wie viel wahrscheinlicher es ist, dass Patienten in der Medikamentengruppe im Vergleich zur Placebogruppe ein bestimmtes Ereignis (z.B. Überleben) erleben.

Wenn das Hazard-Ratio 0,5 beträgt, bedeutet dies, dass das Risiko des Ereignisses in der Medikamentengruppe halb so groß ist wie in der Placebogruppe. Ein Hazard-Ratio von 1 bedeutet, dass das Risiko in beiden Gruppen gleich ist, und ein Hazard-Ratio von 2 bedeutet, dass das Risiko in der Medikamentengruppe doppelt so hoch ist wie in der Placebogruppe.

Das Hazard-Ratio ist besonders nützlich, weil es die Zeit bis zum Eintreten des Ereignisses berücksichtigt und somit eine dynamischere Analyse ermöglicht als einfache Risikoverhältnisse.

Ein HR von 0,5 wäre in deinem Beispiel also ein Hinweis, dass das neue Krebsmedikament die Leute mehr umbringt, statt sie zu heilen?

Ein Hazard-Ratio (HR) von 0,5 bedeutet tatsächlich das Gegenteil. Es zeigt an, dass das Risiko des Ereignisses (z.B. Tod) in der Medikamentengruppe halb so groß ist wie in der Placebogruppe. Das bedeutet, dass das neue Krebsmedikament in diesem Beispiel das Risiko des Todes um 50% reduziert im Vergleich zur Placebogruppe.

Ein HR von 0,5 wäre also ein Hinweis darauf, dass das Medikament wirksam ist und die Überlebenschancen der Patienten verbessert.

Moment mal, du hast doch das erlebte Ereignis mit dem Überleben gekoppelt, nicht mit dem Tod!

Du hast recht, das war missverständlich formuliert. Danke für den Hinweis!

Lass mich das klarstellen: Das Hazard-Ratio (HR) bezieht sich auf das relative Risiko eines bestimmten Ereignisses. In meinem Beispiel hätte ich präziser sein sollen. Wenn wir das Ereignis als “Tod” definieren, dann bedeutet ein HR von 0,5, dass das Risiko des Todes in der Medikamentengruppe halb so groß ist wie in der Placebogruppe. Das heißt, das Medikament reduziert das Risiko des Todes um 50%.

Wenn das Ereignis hingegen “Überleben” wäre, würde ein HR von 0,5 bedeuten, dass die Wahrscheinlichkeit zu überleben in der Medikamentengruppe halb so groß ist wie in der Placebogruppe, was natürlich negativ wäre.

Ich hoffe, das klärt die Verwirrung!

Okay. Und nun interpretiere mir doch zur Krönung folgendes Studienergebnis: "Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer betrug 1,00 (95.% CI 0,98-1,02) für Gliome, 1,01 (95.% CI 0,96-1,06) für Meningeome und 1,02 (95.% CI 0,99-1,06) für Akustikusneurinome."

Gerne! Schauen wir uns die angegebenen Hazard-Ratios (HR) und Konfidenzintervalle (CI) genauer an:

Gliome: Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer beträgt 1,00 (95% CI 0,98-1,02).

Interpretation: Eine HR von 1,00 bedeutet, dass es keinen Unterschied im Risiko gibt, Gliome zu entwickeln, unabhängig von der Mobiltelefonierdauer. Das Konfidenzintervall von 0,98 bis 1,02 zeigt, dass das tatsächliche Risiko mit 95%iger Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich liegt. Da das Konfidenzintervall 1 einschließt, gibt es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Mobiltelefonierdauer und dem Risiko, Gliome zu entwickeln.

Meningeome: Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer beträgt 1,01 (95% CI 0,96-1,06).

Interpretation: Eine HR von 1,01 deutet darauf hin, dass das Risiko, Meningeome zu entwickeln, minimal erhöht ist, aber praktisch keinen Unterschied macht. Das Konfidenzintervall von 0,96 bis 1,06 zeigt, dass das tatsächliche Risiko mit 95%iger Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich liegt. Da das Konfidenzintervall 1 einschließt, gibt es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Mobiltelefonierdauer und dem Risiko, Meningeome zu entwickeln.

Akustikusneurinome: Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer beträgt 1,02 (95% CI 0,99-1,06).

Interpretation: Eine HR von 1,02 deutet darauf hin, dass das Risiko, Akustikusneurinome zu entwickeln, leicht erhöht ist, aber praktisch keinen Unterschied macht. Das Konfidenzintervall von 0,99 bis 1,06 zeigt, dass das tatsächliche Risiko mit 95%iger Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich liegt. Da das Konfidenzintervall 1 einschließt, gibt es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Mobiltelefonierdauer und dem Risiko, Akustikusneurinome zu entwickeln.

Zusammengefasst zeigen die angegebenen HR-Werte und Konfidenzintervalle, dass es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der kumulativen Mobiltelefonierdauer und dem Risiko gibt, Gliome, Meningeome oder Akustikusneurinome zu entwickeln.

Mein Fazit: Von dem offensichtlichen Ausrutscher beim Hazard-Ratio einmal abgesehen, finde ich die Interpretationen der KI für Laien ziemlich aufschlussreich. Unsicher bin ich allerdings, ob ihre Behauptung stimmt, bei Gliomen gäbe es "unabhängig von der Mobiltelefonierdauer" keinen Risikoanstieg. Hat man keinen Wissenschaftler von Fach zur Hand, den man zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Fragen terrorisieren kann, ist "Copilot" (in der Betriebsart: Im höheren Maße Genau) aus meiner Sicht ein brauchbarer Ansprechpartner, um schnell Auskünfte zu bekommen. Wie die Unterhaltung oben zeigt, ist Argwohn gegenüber den Auskünften freilich nach wie vor angebracht.

Richtig gefährlich wird es mMn, wenn selbsternannte Experten der Versuchung nicht widerstehen können, im stillen Kämmerlein eingeholte Auskünfte einer KI als Eigenleistung vor Publikum zu verbreiten, um sich mit minimalem Aufwand den Status einer wissenschaftlichen Autorität zu ergaunern. Das hat etwas mit Anstand zu tun und mit dem Risiko, unerkannt digitalisierten Stuss zu verbreiten. Im IZgMF-Forum verpflichten deshalb die Forumregeln seit 3. Juni 2024 jeden Teilnehmer dazu, zumindest substanzielle Auskünfte einer KI als solche kenntlich zu machen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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