Hirntumoren: Großstudie Cosmos gibt Entwarnung (I) (Forschung)
Die multinationale prospektive Kohortenstudie Cosmos beobachtet an mehr als 264'000 Handynutzern so genau wie nie zuvor deren Exposition mit HF-EMF und das Vorkommen von Hirntumoren (Gliome, Meningiome, Akustikusneurinome). Ein jetzt rd. sieben Jahre nach Studienbeginn veröffentliches erstes Follow-up (Nachbeobachtung) bringt organisierte Mobilfunkgegner schwer in Bedrängnis. Denn anhand der erhobenen Daten konnten die Studienautoren selbst bei Intensiv- und Langzeitnutzern von Mobiltelefonen (mehr als 15 Jahre) kein erhöhtes Hirntumorrisiko feststellen.
Publiziert wurde das erste Follow-up (Mobile phone use and brain tumour risk – COSMOS, a prospective cohort study) von einer Arbeitsgruppe mit den Korrespondenzautoren Maria Feychting und Paul Elliott am 2. März 2024 online in der Fachzeitschrift Environment International (Volltext). Der Abstract gibt über das Wesentliche Auskunft:
Hintergrund: Jede neue Generation von Mobiltelefonen hat Diskussionen über die mögliche Karzinogenität durch die Exposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) ausgelöst. Die bislang verfügbaren Daten sind unzureichend, um Rückschlüsse auf die langfristige und intensive Nutzung von Mobiltelefonen zu ziehen, da sie infolge von Erinnerungsfehlern und Auswahlfehlern (recall & selection bias) oder eine grobe Expositionsbewertung eingeschränkt sind. Die Kohortenstudie über Mobiltelefone und Gesundheit (COSMOS) wurde gezielt entwickelt, um derartige Unzulänglichkeiten auszuschalten.
Methoden: Wir rekrutierten Teilnehmer in Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Königreich im Zeitraum 2007 bis 2012. Mit dem Ausgangsfragebogen (baseline) wurde die lebenslange Nutzung von Mobiltelefonen erfasst. Die Teilnehmer wurden durch bevölkerungsbasierte Krebsregister verfolgt, um Gliom-, Meningiom- und Akustikusneurinom-Fälle während der Nachbeobachtung zu identifizieren. Eine nicht-differenzierte Fehlklassifizierung der Exposition wurde reduziert, indem die Schätzungen der Mobiltelefon-Anrufzeit durch Regressions-Kalibrierungsmethoden auf Grundlage selbstberichteter Daten und der objektiven, von den Mobilfunknetzbetreibern aufgezeichneten Expositionsinformationen zu Beginn der Studie angepasst wurden. Die Hazard-Ratios (HR) und 95-Prozent-Konfidenzintervalle (CI) für Gliome, Meningiome und Akustikusneurinome im Zusammenhang mit der lebenslangen Nutzung von Mobiltelefonen wurden mit Cox-Regressionsmodellen berechnet, wobei das erreichte Alter als zugrundeliegende Zeitskala diente und an Land, Geschlecht, Bildungsniveau und Familienstand angepasst wurde.
Ergebnisse: 264'574 Teilnehmer haben 1'836'479 Personenjahre angesammelt. Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 7,12 Jahren wurden 149 Gliome, 89 Meningiome und 29 Fälle von Akustikusneurinomen diagnostiziert. Die bereinigte HR pro 100 regressionskalibrierte kumulative Stunden Mobiltelefonierdauer betrug 1,00 (95.% CI 0,98-1,02) für Gliome, 1,01 (95.% CI 0,96-1,06) für Meningeome und 1,02 (95.% CI 0,99-1,06) für Akustikusneurinome. Für Gliome betrug die HR für mehr als 1908 regressionskalibrierte kumulative Stunden (90. Perzentil-Cut-Point) 1,07 (95 % CI 0,62-1,86). Mehr als 15 Jahre Mobiltelefonnutzung war nicht mit einem erhöhten Tumorrisiko verbunden; für Gliome lag die HR bei 0,97 (95.% CI 0,62-1,52).
Mobilfunkgegner müssen Cosmos entwerten
Für überzeugte Mobilfunkgegner sind die Ergebnisse der Cosmos-Studie existenzbedrohend, die Szene wird deshalb alles daran setzen, die Studie nachträglich zu entwerten. Gegen das früh einsehbare Studienkonzept gab es seitens der Gegner keine Einwände, weil zu diesem Zeitpunkt Ergebnisse noch völlig offen waren. Es hätte statt Entwarnung auch Alarm geben können und dann wären irgendwelche von den Gegnern vorsorglich vorgetragenen Einwände gegen das Konzept für sie schädlich gewesen. Also wartet man lieber die Ergebnisse ab und feiert diese gegebenenfalls oder versucht diese nachträglich zu entwerten. So geht das schon seit vielen Jahren, dahinter steckt System, wobei die Entwertungsversuche der Gegner nicht selten äußerst angestrengt wirken und dem Versuch gleichkommen, ein Kamel durch ein Nadelöhr zu pressen. Zuweilen beruhen die Entwertungsbemühungen an einer entwarnenden Studie gar nur auf Einwänden, die von den Studienautoren selbst in ihrer Publikation geschildert werden. Laien, bevorzugte Zielgruppe überzeugter Mobilfunkgegner, erkennen solche Spielchen in aller Regel nicht und Experten sind darüber eher belustigt als betroffen. Cosmos ist schon isoliert betrachtet ein markanter Schlusspunkt hinter dem lang gehegten Verdacht, Mobiltelefone könnten Hirntumoren auslösen, noch markanter wird dieser Schlusspunkt bei der Gesamtschau, die ältere Studien widerspruchsfrei mit einbezieht.
Cosmos substanziell zu entwerten dürfte Mobilfunkgegnern schwer fallen. Denn diese Großstudie hat aus den Einschränkungen vorangegangener Großstudien gelernt und diese gezielt ausgeschaltet. Die folgenden Textpassagen, sie beruhen auf der Diskussion der Studienergebnisse durch die Studienautoren, mögen dies auszugsweise belegen.
Kein Risikozuwachs bei Vieltefonierern
In dieser großen Kohortenstudie, die speziell zur Untersuchung potenzieller Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit der Nutzung von Mobiltelefonen konzipiert wurde, fanden die Autoren keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Gesprächszeit mit Mobiltelefonen und dem Risiko für Gliome. Die statistische Aussagekraft ist für Meningeome und Akustikusneurinome begrenzt, aber die Ergebnisse weisen nicht auf einen Zusammenhang hin. Kein Zusammenhang wurde bei den stärksten Mobiltelefonnutzern festgestellt, die regressionskalibriert kumulativ mehr als 1062 Stunden am Mobiltelefon verbrachten, was für etwa ein Viertel aller Teilnehmer zutrifft, oder die im höchsten Dezil der kumulativen Nutzung auf mehr als 1908 Stunden (mehr als 2168 unkalibrierte Stunden) kamen. Letztere wurden allerdings nur für Gliome analysiert. Insgesamt deuteten weder die regressionskalibrierten Schätzungen der kumulativen Stunden mit Mobiltelefonie noch die unkalibrierten Schätzungen auf ein erhöhtes Tumorrisiko auf jedem Expositionsniveau hin. Ein großer Teil der Teilnehmer hatte vor Studienbeginn mindestens 15 Jahre lang regelmäßig Mobiltelefone benutzt und bei den Teilnehmern mit der längsten Geschichte der Mobiltelefonnutzung wurde kein erhöhtes Risiko festgestellt.
Verbindung zu den Kohortenstudien in Dänemark
In Übereinstimmung mit unseren Ergebnissen fanden zwei frühere prospektive Kohortenstudien, die auch die frühesten Mobiltelefonnutzer einschlossen, keinen Zusammenhang mit dem Krebsrisiko (Frei et al., 2011, Schüz et al., 2022, Schüz et al., 2011). Die Kombination der Ergebnisse von COSMOS und diesen Kohorten ergab eine gepoolte Risikoschätzung für Gliome von 0,94 (95 % CI 0,84-1,04) für ≥10 Jahre seit der ersten Mobiltelefonnutzung, basierend auf 764 exponierte Fälle. Beiden früheren Kohortenstudien fehlten noch Informationen über das kumulative Ausmaß der Handynutzung, und beide Studien konnte die Risiken der stärksten Handynutzer noch nicht bewerten. COSMOS hat diese Einschränkungen mit der detaillierten Expositionsbewertung für über 250'000 Personen überwunden.
Verbindung zur Interphone-Großstudie
Die Ergebnisse der bisher größten Fall-Kontroll-Studie, Interphone (Interphone Study Group, 2010, Interphone Study Group, 2011), stimmen ebenfalls weitgehend mit denen von COSMOS überein, da sie weder ein erhöhtes Hirntumorrisiko bei 95 Prozent der Studienpopulation noch ein erhöhtes Risiko in Abhängigkeit von der Zeit seit Beginn der regelmäßigen Mobiltelefonbenutzung zeigen. Die Interphone-Studie hatte jedoch ein erhöhtes Risiko für Gliome und Akustikusneurinome in Verbindung mit den höchsten 5 Prozent der selbst angegebenen kumulativen Gesprächszeit (≥1640 Stunden) festgestellt. In der Interphone-Studie wurde das Ausmaß der Mobiltelefonnutzung jedoch retrospektiv anhand von Befragungen ermittelt, die durchgeführt wurden, nachdem bei den Patienten ein Hirntumor diagnostiziert worden war. Diese Methode ist anfällig für Verzerrungen des Erinnerungsvermögens, insbesondere da der Tumor und seine Behandlung Gedächtnis und Kognition beeinträchtigen können. Darüber hinaus überschätzten Vielnutzer in der Interphone-Studie ihre Mobiltelefonnutzung stark; in der Expositionskategorie ≥1640 Stunden betrug das Verhältnis von selbst angegebenen zu von Netzbetreibern aufgezeichneten Stunden mehr als vier (Vrijheid et al., 2009). Eine solche Übertreibung konnte bei COSMOS (Toledano et al., 2018) nicht beobachtet werden, trotz der seither einsetzenden neueren Nutzung von Mobiltelefonen für andere Zwecke als zum Telefonieren. Somit stellen die ≥1062 regressionskalibrierten kumulativen Stunden, die von 25 Prozent der COSMOS-Teilnehmer angegeben wurden, wahrscheinlich eine wesentlich höhere Anzahl tatsächlicher kumulierter Stunden dar als die ≥1640 Stunden, die in Interphone angegeben wurden.
Diese Ergebnisse und die Inkonsistenz mit den COSMOS-Ergebnissen untermauern die Vermutung, dass die bescheidene Risikoerhöhung bei den 5 Prozent der stärksten Mobiltelefonnutzer in der Interphone-Studie auf eine Verzerrung der Berichterstattung zurückzuführen ist.
Übereinstimmung mit Inzidenzstudien
Darüber hinaus stimmen die COSMOS-Ergebnisse mit zeitlichen Inzidenzstudien aus Ländern mit gut etablierten Krebsregistern überein. In diesen Studien wurde kein Anstieg der Inzidenz von Hirntumoren in den Altersgruppen festgestellt, die am häufigsten Mobiltelefone benutzen (de Vocht, 2021, Deltour et al., 2022, Elwood et al., 2022, Ostrom et al., 2022, Villeneuve et al., 2021); dies hat den Vorteil, dass der zum Zeitpunkt der IARC-Bewertung im Jahr 2011 verfügbare Bestand an Inzidenz-Zeit-Trendstudien (Baan et al., 2011) nunmehr um zehn Jahre verlängert vorliegt.
COSMOS widerlegt Hardell-Studien
Im Gegensatz zu COSMOS und allen anderen Inzidenz-Zeit-Trendstudien, auch aus den nordischen Ländern (Deltour et al., 2022), berichtete eine Fall-Kontroll-Studienreihe in Schweden über erheblich erhöhte Risikoschätzungen für Gliome und Akustikusneurinome im Zusammenhang mit Mobiltelefonnutzung. Und dies schon nach sehr wenigen kumulativen Nutzungsstunden und kurze Zeit nach Beginn der Mobiltelefonnutzung (Hardell et al., 2006, Hardell et al., 2013, Hardell et al., 2005). Eine mögliche Erklärung für diese Ergebnisse könnten eine Verzerrung der Erinnerung sowie andere methodische Probleme sein (Ahlbom et al., 2009).
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –