Big Tobacco: Das "War-Game-Memo" von R. J. Reynolds (Allgemein)
Das "War-Game-Memo", das eine PR-Agentur angeblich für die Mobilfunkindustrie verfasst hat, um mit moralisch zweifelhaften Maßnahmen Störungen des Geschäftsklimas möglichst klein zu halten, hält der Filmemacher Klaus Scheidsteger hartnäckig unter Verschluss. Auch R. J. Reynolds, einer der großen Tabakkonzerne, hatte so ein vertrauliches "War-Game-Memo" zur Hand, um sein Führungspersonal auf das rutschige Parkett der Medienlandschaft vorzubereiten. Mutmaßlich hat die PR-Abteilung jedes größeren Unternehmens so ein Papier im Schrank.
Das einst vertrauliche Papier des Tabakmultis datiert vom September 1996, hat 184 Seiten in englischer Sprache und steht im Gegensatz zu Scheidstegers Papier für jedermann in den Truth Tobacco Industry Documents der University of California, San Francisco, zum Download zur Verfügung. Das ursprünglich interne Papier musste von R. J. Reynolds im Zuge des 1998 vereinbarten Tobacco Master Settlement Agreements an eine Staatsanwaltschaft zum Zweck der Veröffentlichung durch die Universität übergeben werden. Wer das Dokument verfasst hat ist unbekannt. Auch Franz Adlkofer wird anlässlich einer Quellenangabe einmal erwähnt.
Gleich zu Beginn gibt es handfeste Tipps für Mitarbeiter, die Hilfe im Umgang mit den Medien benötigen. Tabak ist ein kontroverses, häufig missverstandenes Geschäft, heißt es da einleitend. Daher könnten die Strategien für den Umgang mit den Medien ganz anders aussehen als bei anderen Produkte oder Dienstleistungen. Es gäbe jedoch einige allgemeine Tipps, die fast immer anwendbar wären. Der erste Tipp lautet: FRAG DEN MEDIENLEUTEN EIN LOCH IN DEN BAUCH.
Worum geht es in der ganzen Geschichte und wo ist der Beitrag einzuordnen? Sind sie der Einzige, der interviewt wird? Werden auch andere Hersteller in die Geschichte einbezogen? Werden auch die "Gegner" interviewt? Sind sie der am besten geeignete Sprecher, oder gibt es jemanden im Unternehmen, der das übernehmen sollte? Wann wird die Geschichte ausgestrahlt/erscheinen? Ist der Reporter/Produzent, mit dem sie zu tun haben, derjenige, der die endgültige Entscheidung darüber trifft, was veröffentlicht wird? Wird ihr Gespräch aufgezeichnet? Wenn es sich um ein schwieriges Fernsehinterview handelt, möchten sie dann auch ihr eigenes Kamerateam dabei haben, damit ihnen eine vollständige Aufzeichnung des Interviews zur Verfügung steht? Wird ihnen die Möglichkeit gegeben, den Beitrag vor der Veröffentlichung zu überprüfen und zu korrigieren? (diese Möglichkeit wird in der Regel nur von der Tabakfachpresse gewährt) Wie viel Zeit wird für das Gespräch mit ihnen oder dem Sprecher eingeplant? Über welche Art von Hintergrundinformationen verfügen die Journalisten bereits, und was sollten sie ihnen im Voraus faxen, damit sie gute Fragen stellen können? Was wissen die Leute über das Zigarettengeschäft?
Schon der nächste Tipp macht deutlich, der Autor ist auf seinem Gebiet fit, er ist jedoch eher kein Dozent an einer Journalistenschule:
GEBEN SIE EIN INTERVIEW, UM IHRE ARGUMENTE VORZUBRINGEN. GEBEN SIE NIEMALS EIN INTERVIEW, UM FRAGEN ZU BEANTWORTEN. Bevor sie einem Interview zustimmen, sollten sie wissen, was ihre Hauptpunkte sind und welche Schlagzeile Sie gerne gedruckt oder ausgestrahlt sehen würden. Dann ist es häufig möglich, insbesondere bei Fernsehreportern, auf die Fragen bis zu einem gewissen Grad einzugehen, dann aber zu den Hauptpunkten überzugehen, die sie hervorheben möchten.
Nicht ganz so rüde ist der folgende Tipp, den z.B. auch jeder Vertreter einer Kampfsportart kennt (dort bezogen auf den Gegner):
KENNEN SIE IHREN REPORTER. Recherchieren sie ausführlich über den Reporter, mit dem sie es zu tun haben. Schauen sie sich frühere Artikel an, die er geschrieben hat, sowie andere tabakbezogene Artikel, die seine Publikation oder sein Sender veröffentlicht hat. Anhand dieser Nachforschungen können sie sich ein Bild davon machen, ob der Reporter in Bezug auf Tabakfragen fair oder voreingenommen ist. Es gibt hervorragende Datenbanken, die sie bei ihren Recherchen unterstützen.
Geradezu harmlos ist der Ratschlag, der auch einem Seminar für Managementberatung hätte entsprungen sein können:
NICHT DEFENSIV SEIN. Bringen sie ihre Argumente entschlossen und selbstbewusst vor. Das Interview ist eine Chance für sie, ihre Geschichte zu erzählen, nicht ein Ritual der Hetzjagd.
Nach ein paar Seiten ist schon Schluss mit diesen konkreten Verhaltensmaßnahmen gegenüber Medienschaffenden. Dann geht es eher um definierte Standpunkte, mit denen sich R. J. Reynolds nach außen hin repräsentiert sehen wollte. Damit es nicht zu Widersprüchen in der Außendarstellung durch unterschiedliche Unternehmenssprecher kommt, ist es nachvollziehbar, das Personal auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. Was dieses "War-Game-Memo" sonst noch zu bieten hat, darüber gibt das Inhaltsverzeichnis auf den ersten Seiten Auskunft.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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