Herkunft der Impfgegner und Querdenker (Allgemein)

Gast, Montag, 29.11.2021, 22:16 (vor 1088 Tagen) @ Gast

Die noch immer als links-alternativ geltenden Lebensreformbewegungen und die neuen „Querdenker“ haben mehr gemeinsam als gemeinhin bekannt.

[...] Bereits in der ersten Lebensreformbewegung war die Tendenz zu weit rechten Positionen evident. Ihre Protagonisten teilten schon vor über 150 Jahren die Sehnsucht nach einem „ganzheitlichen Dasein“ in einer „organischen Ordnung“. Ihr romantisierender Blick zurück galt der vermeintlich natürlichen, harmonischen Vormoderne. Die gegenwärtige Kritik an den staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie geht erneut mit einer Ablehnung der Moderne einher.

Als Reflex auf die ökonomischen Krisen war in den 2000er Jahren eine Gegenbewegung aufgekommen, beginnend mit der Finanzkrise 2008 und den ökologischen Folgen des anhaltenden Wachstums von Markt und Waren. Die Globalisierung ohne staatliche Regulierung löste in weiten Teilen der Gesellschaft Abwehr aus. Ein Weiter-so in der Waren- und Finanzwelt, in der Besitz und Dinge den Kern des Lebens ausmachen, stieß mehr und mehr auf Ablehnung.

Der Klimawandel sorgte für ein Gefühl der Endzeitstimmung. Oliver Nachtwey, Nadine Frei und Robert Schäfer nehmen die „Querdenken“-Proteste daher auch als „Ausdruck einer fundamentalen Legitimationskrise der modernen Gesellschaft“ wahr.

Entfremdung in der Hypermoderne

Schon 1980 mahnte Jürgen Habermas, die „Moderne“ sei ein „unvollendetes Projekt“. Die Versprechen der Aufklärung, mit Logik und Ratio eine universelle Grundlage für Moral und Recht für eine humanistische Welt zu erreichen, seien nicht erfüllt. 40 Jahre später ist dieses Projekt für die „Querdenker“ und Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen endgültig gescheitert.

Die Entfremdung von der durch­ra­tio­na­li­sier­ten Hypermoderne spiegele sich nicht nur in der Skepsis gegenüber ihren Institutionen wie Parteien, Parlamenten oder Presse, sondern auch, so Nachtwey und Co-Autoren, in „einer romantisch inspirierten Hinwendung zu ganzheitlichen, anthroposophischen Denkweisen, dem Glauben an die natürlichen Selbstheilungskräfte des Körpers, Forderungen nach mehr spirituellem Denken und dem Wunsch, Schulmedizin und alternative Heilmethoden gleichzustellen.“

Die der Aufklärung eingeschriebenen Kategorien Ratio und Logik werden für Indus­tria­li­sierung und Urbanisierung verantwortlich gemacht. Der „Entzauberung der Welt“ wird eine Verzauberung durch Remythologisierung und Respiritualität entgegengestellt. Von der „Erlösung vom Intellektua­lismus der Wissenschaft, um zur eigenen Natur und damit zur Natur überhaupt zurückzukommen“, schrieb Max Weber bereits 1919. weiter ...


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