Blendend wie Diagnose-Funk Choi et al. rezipiert (Forschung)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 17.03.2021, 00:38 (vor 1349 Tagen) @ H. Lamarr

Die neue Arbeit blieb auch den Epidemiologen Frank de Vocht, Universität Bristol, und Martin Röösli, Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut, Basel, nicht verborgen. Beide begrüßen das Paper.

Ein Paper zu begrüßen und dennoch substanzielle Kritik daran zu üben, setzt gewisse Qualifikationen voraus. Wer diese nicht hat und als eingefleischter Mobilfunkgegner die Studie von Choi et al. (2020) aus dogmatischen Gründen begrüßt, kann und will nicht kritisieren, wie diese bemerkenswerte Rezeption des Choi-Papers durch den Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk zeigt.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte sich der Verein ausgiebig mit dem Paper beschäftigt. Doch dazu bräuchte es fachliche Kompetenzen, die Diagnose-Funk nicht hat. Und wem die Worte fehlen, der zitiert am liebsten. Denn dabei kann man wenigstens nicht allzu viel falsch machen. Von der 20 Seiten umfassenden Studie pickten sich die Stuttgarter einen einzigen Absatz heraus, der ihnen gefallen hat. Na schön. Drüber noch die markige Tatsachenbehauptung setzen "Review: Vieltelefonierer haben erhöhtes Tumorrisiko" und schon wieder ist Futter fertig für die Schar der hungrigen Stopfgänse draußen, die immer ungeduldig auf News warten.

Doch die Sache hat noch ein Haken: Das Futter ist verdammt knapp bemessen, der Beitrag viel zu kurz, um Eindruck zu machen. Eigentlich ist es gar kein Beitrag, sondern nur eine Kurzmeldung oder besser eine Randnotiz. Doch woher mehr Kraftfutter nehmen, fragt sich der Knecht, der mit dem Zitat alles verfütterte, was er hatte. Die Lösung: Die Schnattergänse mit billigem Beifutter abspeisen. Mal sehen, vielleicht fressen sie sogar Restmüll.

Und so geschah es, dass der Autor des Diagnose-Funk-Textes anfängt ausgiebig zu erklären, was überhaupt eine Review ist. Mit Chois Paper hat dies null zu tun. Egal, Hauptsache die Seite sieht nicht so leer aus. Da der Autor sich in seinem Lehreifer nicht bremsen kann, frisst die befremdlich üppige Nachhilfe für Google-Abstinenzler schnell mehr Platz als das kümmerliche Zitat aus dem Choi-Paper.

Früher wurde von der Waschmittelindustrie Sägemehl ins Waschpulver geschüttet, um den Inhalt mit wertlosem Füllmaterial so zu strecken, dass Schnäppchenjäger freudestrahlend vermeintliche 10-kg-Waschpulverpackungen nach hause schleppten ...

Dem Diagnose-Funk-Texter aber war sein eingestreutes Nachhilfe-Sägemehl noch zu wenig, die Seite war ihm noch immer nicht prall genug. Was haben ihm seine Leser nur getan, dass er ihnen keinen Respekt zollen wollte?

Eine dicke Portion Eigenwerbung könnte ich meinen Gänsen noch unterschieben, dachte unser eitler Autor vielleicht, und kramte auf seiner Festplatte weiter nach Beifutter. Warum er sich dann ausgerechnet für "Impulsvortrag: Zum Stand der Forschung zur nicht-ionisierenden Strahlung des Mobilfunks" entschied (gibt es eigentlich auch ionisierende Strahlung des Mobilfunks?) ist unerklärlich, denn mit der Review von Choi und Kollegen hat die ellenlange Selbstbeweihräucherung anlässlich eines "Behördentermins" (heißt auf deutsch: ich bin enorm wichtig!) noch viel weniger zu tun als die aufdringliche Nachhilfe. Immerhin hat es unser Autor auf diese Weise endlich geschafft, eine so voluminöse Seite zu fabrizieren, dass ich sie selbst mit stärkster Verkleinerung mit meinem Browser nicht vollständig auf den Bildschirm kriegte. Deshalb fehlt hier der Screenshot, mit dem ich vorhatte, das extreme Missverhältnis von Gänsefutter und Beifutter bei diesem Diagnose-Funk-Prachtbeitrag zu dokumentieren und die Bleiwüste hier zu illustrieren.

Egal.

Seite voll. Dumme Gänse für dumm verkauft. Job erledigt. Der Nächste bitte ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Stuttgart, Kinderpost, Eigenwerbung, Blendwerk, Inkompetent, Nachhilfe, Popanz, Stopfgänse, Choi, Blähboy, Randnotiz


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