Wir üben Desinformieren (1): Staat anerkennt "Elektrosensible" (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 09.01.2021, 02:29 (vor 1331 Tagen) @ H. Lamarr

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) verkündet im Ressortforschungsplan 2021 nebenbei eine kleine Sensation, indem es verlauten lässt:

Das Phänomen der erhöhten Strahlensensibilität bei mehr als einem Prozent der Bevölkerung muss verstanden werden, um es anschließend sachgerecht in Vorschriften berücksichtigen zu können.

Das BMU bestätigt damit – im Gegensatz zum BfS – die Existenz von ungefähr 1 Mio. "Elektrosensiblen" in Deutschland und deren Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Möchte man meinen, spürte man obiges unverfälscht wiedergegebenes Zitat in einer der bei Mobilfunkgegnern so beliebten "Zitatensammlungen" auf.

Der Schein aber trügt. Dazu musste ich das Zitat nicht einmal verfälschen, wie dies in einer bekannten Zitatsammlung über angebliche Elektrosmogrisiken nicht selten vorkommt. Nein, es genügte schon, das Zitat aus dem Zusammenhang so zu lösen wie das Bein eines Brathuhns. Erst im Kontext wird klar: Besagte Strahlensensibilität bezieht sich nicht auf "Elektrosensible", sondern auf Personen, die gegenüber ionisierender Strahlung empfindlicher sind als der Durchschnitt. Damit Sie sich selbst überzeugen können, hier noch einmal das Zitat, diesmal aber im Kontext der Strahlenbiologie:

[...] Gegenstand der Forschungsvorhaben in diesem Bereich sind einerseits die Untersuchung biologischer Effekte der ionisierenden Strahlung, andererseits aber auch das Verständnis der Wirkung ionisierender Strahlung auf zellulärer wie auf molekularer Ebene. Das Phänomen der erhöhten Strahlensensibilität bei mehr als einem Prozent der Bevölkerung muss verstanden werden, um es anschließend sachgerecht in Vorschriften berücksichtigen zu können. Dazu sind umfangreiche Studien in Kombination mit neuesten molekulargenetischen Analysen notwendig. [...]

Wer also mit Zitaten von Autoritäten erfolgreich desinformieren möchte, sollte sich hüten, die Quelle so genau zu benennen, dass misstrauische Zielobjekte der Desinformation diese mühelos finden können. Es verbietet sich deshalb, bibliografische Angaben zu machen oder gar einen Link zur Quelle zu nennen. Stattdessen empfiehlt es sich, den Ursprung eines sinnentstellten Zitas möglichst nebulös (aber bitte noch glaubhaft) zu umschreiben. Bewährt hat sich auch die Irreführung, für das Datum, an dem das Zitat der Wahl gesprochen oder geschrieben wurde, eine falsche Jahreszahl zu nennen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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