Moskau-Signal: Die Amerikaner wußten ab 1962 Bescheid (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 15.12.2020, 22:34 (vor 1437 Tagen) @ Schutti2

Adlkofer schreibt:

Nicht einmal das Personal der Botschaft wurde informiert.

So steht es auf Seite 2.

Ebenfalls auf Seite 2 heißt es ein paar Zeilen später:

Im April 1976 fasste Henry Kissinger, damals US-Außenminister, die durch Pandora erhaltenen Erkenntnisse in einem Telegramm an die Moskauer Botschaft wie folgt zusammen

Ja was denn nun?

Adlkofer würde einwenden, die haben das Personal erst am oder nach Ende der Bestrahlung informiert. Ich würde ihm entgegnen: Und wenn die Amis die Bestrahlung erst 1976 entdeckt haben? Seit wann wussten die überhaupt davon?

Dieses authentisch wirkende Dokument aus dem US-Außenministerium (1981), es ist der Bericht einer Untersuchungskommission, gibt Auskunft:

In 1962 the Department of State instituted a System for continuously monitoring the signals using strip-chart recorders. Power density and frequency measurements also were made but records of actual power density measurements prior to 1966 were not adequate for analysis so that the models of the microwave intensity distribution within the Embassy extend only from January 1966 to February 1977.

Da haben wir's: Die Amerikaner protokollierten also ab 1962 mit Messschreibern die Intensität der Bestrahlung rund um die Uhr. Die wussten alles, sogar wo die Sender während der unterschiedlichen Befeldungsperioden (100 Meter von der Botschaft entfernt) aufgestellt waren und wie stark die Befeldung in den einzelnen Räumen der Botschaft war. Kaum vorstellbar, dass dies alles gemessen und protokolliert werden konnte, ohne dass das Botschaftspersonal davon Wind bekam. Vielleicht wussten es nicht alle, einige aber mit hoher Wahrscheinlichkeit.

"Der Spiegel" weiß mal wieder mehr und schrieb 1978:

Die amerikanische Botschaft in Moskau, so war 1972 bekannt geworden, ist seit den frühen sechziger Jahren mit Mikrowellen bestrahlt worden.
[...]
Erst in diesem Sommer verklagte ein amerikanischer Marinesoldat, der zeitweilig in die Moskauer Botschaft zum Sicherheitsdienst abkommandiert war, seine Regierung auf 1,75 Millionen Dollar Schadensersatz. Er hatte einen Sohn gezeugt, der mit einem Wasserkopf geboren wurde; der Erbschaden, plädierte der Vater, sei Folge der Mikrowellen-Bestrahlung, und davor habe ihn das Außenministerium trotz besserem Wissen nicht gewarnt.

Dazu muss man wissen: Die Bestrahlung der US-Botschaft in Moskau und "The Radiation Control for Health and Safety Act of 1968" führten in den USA zu einer Elektrosmog-Paranoia in der Bevölkerung, vergleichbar mit der Einführung der strengen "Anlagegrenzwerte" 1999 in der Schweiz, die den Alpenstaat bis heute zum Epizentrum von Elektrosmog-Psychosen in Europa gemacht haben.

Telegramme gingen dem Dokument zufolge zwischen Botschaft und Außenministerium haufenweise hin und her, 1976 kabelte das Ministerium wegen der Mikrowellenaffäre 11-Mal nach Moskau. Die Untersuchungskommission nennt u.a. diese Telegramme als Quellen ihres Berichts, den Inhalt der Telegramme erfährt man jedoch nicht. Wäre das ominöse Kissinger-Telegramm dabei gewesen, müssten sich typische Begriffe daraus wie "Malaise", "Irritability" oder "Malignancies" in dem Bericht finden lassen – tun sie aber nicht. Kissinger (Secretary of State) wird in dem Dokument namentlich auch nicht erwähnt, "secretary" kommt zwar vor, lässt sich aber nicht zweifelsfrei Kissinger zuordnen und selbst wenn er einmal gemeint sein sollte, hat das in dem Papier nicht das geringste mit dem ominösen Kissinger-Telegramm zu tun.

Da unser Triumvirat (Adlkofer, Buchner, Gutbier) so tut, als wäre das Botschaftspersonal von den Mikrowellen der Sowjets ("Moskau-Signal") geradezu "gegrillt" worden, noch ein Satz zur Befeldungsstärke: Diese lag mit 50 mW/m² (1953 bis 1975) und 150 mW/m² (ab 1975) mehr als 20 Jahre unter dem (laut Hecht) in den 1970er-Jahren in der Sowjetunion eingeführten Grenzwert von 100 mW/m² für die Bevölkerung und meilenweit unter dem damals auch in Westeuropa gültigen amerikanischen Grenzwert von 100 W/m².

Hintergrund
Moscow Signal
The “Moscow signal” epidemiological study, 40 years on (2019). Diese Quelle ist mit Vorsicht zu behandeln, da der Autor die Elwood-Review von 2012 (siehe Startpost) komplett ignoriert. Mir kommt das spanisch vor :-).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Populismus, Moskau, Botschaft, Fake-News, Kissinger, Uminterpretation


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