Klaus Buchner über die Bestrahlung der US-Botschaft in Moskau (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 15.12.2020, 00:08 (vor 1438 Tagen)

Ein unscharfes Video von und mit Klaus Buchner ist eine Fundgrube. Über das, was der Mathematik-Professor im Ruhestand darin zu einem mysteriösen Bienensterben auf der Isle of Wight sagt, gibt dieser Strang Auskunft. Die nächste Fundstelle handelt davon, was Buchner über die Folgen der Mikrowellenbestrahlung der US-Botschaft in Moskau zu Wissen glaubt. Auch diese Quellen-Recherche lässt den Ex-Europaabgeordneten der ÖDP nicht gut aussehen, und mit ihm Jörn Gutbier (Diagnose-Funk) sowie Ex-Tabaklobbyist Franz Adlkofer.

Das Corpus Delicti, also das besagte Video, lässt sich hier abrufen. Ab Minute 4:09 schildert Klaus Buchner eine weithin unbekannte Anekdote, in der Henry Kissinger, US-Außenminister von 1973 bis 1977, und die Mikrowellenbestrahlung der US-Botschaft in Moskau durch die Sowjets die Hauptrolle spielen. Buchner erzählt:

[...] Aber die Russen haben schon gemerkt, dass hier auch militärisch es interessant sein kann, die Folgen der Mobilfunkstrahlung zu studieren. Sie haben ein großes Experiment gemacht, sie haben vom Ende der 1950er-Jahre fast 20 Jahre lang die US-Botschaft in Moskau bestrahlt. Mit ganz fürchterlichen Folgen. Und ich lese aus einem Telegramm vor, dass der damalige Außenminister Kissinger an die Angehörigen der Moskauer-Botschaft geschickt hat. Kissinger schreibt: Die Wirkungen, die die Sowjets beim Botschaftspersonal erreichen wollten, schlossen Unwohlsein, Reizbarkeit und starke Müdigkeit mit ein. Die Sowjets glaubten, dass diese Wirkungen vorübergehend sein würden. In der Zwischenzeit würde jedoch zweifelsfrei nachgewiesen, dass sie nicht vorübergehend sind. Definitiv stehen mit der Strahlung im Zusammenhang a) Katarakte, zu deutsch grauer Star, b) Blutbildveränderungen, c) maligne Tumoren d) Kreislaufprobleme und e) Funktionsstörungen des Nervensystems. In den meisten Fällen treten diese Nachwirkungen erst lange nach der Exposition auf. Nämlich zehn oder mehrere Jahre später. Soweit das Telegramm von Kissinger. [...]

Die gezielte Bestrahlung der US-Botschaft in Moskau von 1953 bis 1976 mit Funkwellen im Frequenzbereich 2,5 GHz bis 4 GHz gehört seit der Jungsteinzeit der Anti-Mobilfunk-Szene zu deren Lieblingsgeschichten, denn angeblich wurde das Botschaftspersonal unter der Einwirkung von 50 mW/m² bis 150 mW/m² krank. Der US-Wissenschaftler Abraham Lilienfeld untersuchte den Fall ab 1976 retrospektiv. Seine entwarnenden Studienresultate wurden vielfach kommentiert und interpretiert, wie J. Mark Elwood 2012 in einer Review darlegt, in aller Regel falsch.

Ganz sicher falsch ist auch Buchners Eingangsbehauptung, Russen hätten die (gesundheitlichen) Folgen der Mobilfunkstrahlung studieren wollen. Falsch, weil es seinerzeit keinen öffentlichen Mobilfunk gab. Mobilfunkgegner Buchner leistet sich hier einen Freudschen Versprecher, ihm entfährt Mobilfunkstrahlung wo Mikrowellenstrahlung hingehört hätte.

Was mich hellhörig machte, ist das angebliche Telegramm Kissingers, das schon grammatikalisch nicht die authentische Wiedergabe eines (übersetzten) Originaltextes Kissingers sein kann, sondern die Erzählung einer Person, die anderen über den Inhalt des angebliche Telegramms berichtet. Da aber in allen mir bekannten Quellen über das Botschaftsdrama im Kalten Krieg Henry Kissingers Telegramm mit keinem Wort erwähnt wird und Buchner wieder einmal keine Quelle nennt, machte ich mich abermals im www auf die Suche, um der Geschichte auf den Grund zu gehen.

Um es diesmal kurz zu machen: Gefunden habe ich eine wüste Kolportagekette, in die auch Jörn Gutbier und Franz Adlkofer verwickelt sind, und deren Ursprung im Dunkeln liegt.

Dieser Suchbegriff brachte mich auf die Spur von Gutbier (2014) und Adlkofer (2014), die schon fünf Jahre vor Buchner ihren Orks dieselbe Geschichte auftischten und den ÖDP-Politiker 2019 wohl zu seiner Videoepisode inspirierten. Beide berufen sich auf die Quelle: Omega News (2004). Die beiden organisierten Mobilfunkgegner griffen also auf zehn Jahre altes Material zurück.

Für Diagnose-Funk ist Omega News eine "unabhängige Nachrichtenplattform", für mich ist Omega News ein dubioser Kanal zur Verbreitung alternativer Fakten, die Hinz oder Kunz dort beliebig einstellen können. Doch Omega News ist im konkreten Fall nicht die Primärquelle, denn eingestellt wurde die Meldung von einem Unbekannten namens "GILLARROW", der Neugierige an die Webadresse ...

http://www.geocities.com/adrian9999999999/pandora.htm

... weiter komplimentiert. Dort endete meine Reise vorerst, denn diese Website existiert heute nicht mehr. Peinlich für Gutbier und Adlkofer, die Website existierte bereits am 21. April 2013 nicht mehr, war also schon lange vom Netz, als die beiden auf die Sekundärquelle Omega News verlinkten. Glauben Sie nicht? Überzeugen Sie sich selbst im Web-Archiv von der Richtigkeit meiner Behauptung!

Eine ältere Konserve im Web-Archiv aus dem Jahr 2009 zeigt uns schließlich aber doch noch, was Gutbier und Adlkofer später so begeistert hat. Gemäß Web-Archiv gab es diese Seite schon seit 2001, der Diagnose-Funker und der Ex-Tabaklobbyist hinkten damit nicht zehn, sondern sogar 13 Jahre der Zeit hinterher.

Aber: Auch die im Web-Archiv gefundene Website ist nicht die gesuchte Primärquelle, denn dort wird abermals auf eine andere Quelle verlinkt, auf Whistleblower's Switchboard. Wir sind jetzt in der dritten Quellenebene angekommen und das Prozedere erinnert mich an die ineinander geschachtelten russischen Matrjoschka-Puppen. Das Whistleblower's Switchboard ist für mich jedoch Endstation, denn diese Site ist in jeder Hinsicht indiskutabel und mit Sicherheit keine seriöse Quelle. Und es ist nicht zu erwarten, dass weiteres Entschachteln der Kolportagekette dem Sachverhalt noch eine Wendung zum Besseren gibt.

Fazit: Klaus Buchner beruft sich quellenfrei auf eine lediglich im Mi­li­eu alternativer Fakten kolportierte Begebenheit, deren Wahrheitsgehalt unbekannt, mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch frei erfunden ist. Schon vor ihm griffen Gutbier und Adlkofer zu, beide bedienten sich bei dem schrägen Kanal Omega News, ohne sich die Mühe zu machen, den Wahrheitsgehalt der Begebenheit zu prüfen, bevor sie diese weiter verbreiteten. Die blamable Anspruchslosigkeit der drei Mobilfunkgegner an ihre Quellen erklärt plausibel, warum die Mobilfunkdebatte nicht von der Stelle kommt und offensichtlich dem Selbstzweck maßgebender Teilnehmer aufseiten der Anti-Mobilfunk-Szene dient. Auf der seriösen Site The Office of the Historian ist das kolportierte Kissinger-Telegramm nicht aufzufinden.

Verwandte Forumstränge
► Zur Episode 1 des Videos: Klaus Buchner über das Bienensterben auf der Isle of Wight
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Klaus Buchner über die Bestrahlung der US-Botschaft in Moskau

Schutti2, Dienstag, 15.12.2020, 11:14 (vor 1438 Tagen) @ H. Lamarr

… wieder mal schön recherchiert.:ok:
Und wieder das alte Muster: Schon nach dreimal abbiegen ist die Nase des Trüffelschweins im Sumpf der Gaga-Webseiten gelandet. Weitersuchen zwecklos.

Ganz naheliegend ist doch dies:
Herr Professor Dr. Adlkofer, Herr Professor Dr. Buchner,
würden Sie uns mal rasch die zitierfähige Quelle für diese E-Mail von Außenminister Kissinger nennen?

Zwei Herren, die sicher mehr als einmal Gutachter für Dissertationen waren. Dabei auch das Thema Zitierweisen und Plagiate im Blick hatten. Lange vor Guttenplag & Co.

Aber Plagiat wäre hier noch das kleinere Problem.
Einfach nur Märchen erzählen - das ist es was die beiden machen.
Alte Männer als Märchenerzähler.

Adlkofer schreibt:
"Nicht einmal das Personal der Botschaft wurde informiert. Zu groß war die Befürchtung, dass bei Bekanntwerden dieses Vorgehens die weitere Nutzung der Hochfrequenztechnologie durch Industrie und Militär von einer dann unvermeidbaren Diskussion übermögliche gesundheitsschädliche Wirkungen der Hochfrequenzstrahlung im eigenen Lande in Frage gestellt würde."

Der zweite Satz hat die Qualität von
"Aber der Räuber wusste schon, dass Kasper und Gretel ihm auf die Schliche kommen würden."

Wenn man Buchner nach seinen Märchen-Quellen fragt, kommt als Antwort: Nur Rauschen.

Falsch zitieren und plagiieren ist verboten - bei Strafe, sich nicht länger Wissenschaftler nennen zu dürfen.
Als Rentner Märchen erzählen und obendrüber seinen "Prof. Dr." setzen, das geht.

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Moskau-Signal: Die Amerikaner wußten ab 1962 Bescheid

H. Lamarr @, München, Dienstag, 15.12.2020, 22:34 (vor 1437 Tagen) @ Schutti2

Adlkofer schreibt:

Nicht einmal das Personal der Botschaft wurde informiert.

So steht es auf Seite 2.

Ebenfalls auf Seite 2 heißt es ein paar Zeilen später:

Im April 1976 fasste Henry Kissinger, damals US-Außenminister, die durch Pandora erhaltenen Erkenntnisse in einem Telegramm an die Moskauer Botschaft wie folgt zusammen

Ja was denn nun?

Adlkofer würde einwenden, die haben das Personal erst am oder nach Ende der Bestrahlung informiert. Ich würde ihm entgegnen: Und wenn die Amis die Bestrahlung erst 1976 entdeckt haben? Seit wann wussten die überhaupt davon?

Dieses authentisch wirkende Dokument aus dem US-Außenministerium (1981), es ist der Bericht einer Untersuchungskommission, gibt Auskunft:

In 1962 the Department of State instituted a System for continuously monitoring the signals using strip-chart recorders. Power density and frequency measurements also were made but records of actual power density measurements prior to 1966 were not adequate for analysis so that the models of the microwave intensity distribution within the Embassy extend only from January 1966 to February 1977.

Da haben wir's: Die Amerikaner protokollierten also ab 1962 mit Messschreibern die Intensität der Bestrahlung rund um die Uhr. Die wussten alles, sogar wo die Sender während der unterschiedlichen Befeldungsperioden (100 Meter von der Botschaft entfernt) aufgestellt waren und wie stark die Befeldung in den einzelnen Räumen der Botschaft war. Kaum vorstellbar, dass dies alles gemessen und protokolliert werden konnte, ohne dass das Botschaftspersonal davon Wind bekam. Vielleicht wussten es nicht alle, einige aber mit hoher Wahrscheinlichkeit.

"Der Spiegel" weiß mal wieder mehr und schrieb 1978:

Die amerikanische Botschaft in Moskau, so war 1972 bekannt geworden, ist seit den frühen sechziger Jahren mit Mikrowellen bestrahlt worden.
[...]
Erst in diesem Sommer verklagte ein amerikanischer Marinesoldat, der zeitweilig in die Moskauer Botschaft zum Sicherheitsdienst abkommandiert war, seine Regierung auf 1,75 Millionen Dollar Schadensersatz. Er hatte einen Sohn gezeugt, der mit einem Wasserkopf geboren wurde; der Erbschaden, plädierte der Vater, sei Folge der Mikrowellen-Bestrahlung, und davor habe ihn das Außenministerium trotz besserem Wissen nicht gewarnt.

Dazu muss man wissen: Die Bestrahlung der US-Botschaft in Moskau und "The Radiation Control for Health and Safety Act of 1968" führten in den USA zu einer Elektrosmog-Paranoia in der Bevölkerung, vergleichbar mit der Einführung der strengen "Anlagegrenzwerte" 1999 in der Schweiz, die den Alpenstaat bis heute zum Epizentrum von Elektrosmog-Psychosen in Europa gemacht haben.

Telegramme gingen dem Dokument zufolge zwischen Botschaft und Außenministerium haufenweise hin und her, 1976 kabelte das Ministerium wegen der Mikrowellenaffäre 11-Mal nach Moskau. Die Untersuchungskommission nennt u.a. diese Telegramme als Quellen ihres Berichts, den Inhalt der Telegramme erfährt man jedoch nicht. Wäre das ominöse Kissinger-Telegramm dabei gewesen, müssten sich typische Begriffe daraus wie "Malaise", "Irritability" oder "Malignancies" in dem Bericht finden lassen – tun sie aber nicht. Kissinger (Secretary of State) wird in dem Dokument namentlich auch nicht erwähnt, "secretary" kommt zwar vor, lässt sich aber nicht zweifelsfrei Kissinger zuordnen und selbst wenn er einmal gemeint sein sollte, hat das in dem Papier nicht das geringste mit dem ominösen Kissinger-Telegramm zu tun.

Da unser Triumvirat (Adlkofer, Buchner, Gutbier) so tut, als wäre das Botschaftspersonal von den Mikrowellen der Sowjets ("Moskau-Signal") geradezu "gegrillt" worden, noch ein Satz zur Befeldungsstärke: Diese lag mit 50 mW/m² (1953 bis 1975) und 150 mW/m² (ab 1975) mehr als 20 Jahre unter dem (laut Hecht) in den 1970er-Jahren in der Sowjetunion eingeführten Grenzwert von 100 mW/m² für die Bevölkerung und meilenweit unter dem damals auch in Westeuropa gültigen amerikanischen Grenzwert von 100 W/m².

Hintergrund
Moscow Signal
The “Moscow signal” epidemiological study, 40 years on (2019). Diese Quelle ist mit Vorsicht zu behandeln, da der Autor die Elwood-Review von 2012 (siehe Startpost) komplett ignoriert. Mir kommt das spanisch vor :-).

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Populismus, Moskau, Botschaft, Fake-News, Kissinger, Uminterpretation

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