Aschermann: Offener Brief an Bundesregierung (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 17.05.2020, 22:39 (vor 1636 Tagen)

Dr. med. Christine Aschermann, Nervenärztin im Ruhestand, will das Coronaviruseisen schmieden solange es heiß ist. Deshalb hat sie, unterstützt von neun Kollegen/Kolleginnen, am 6. April 2020 einen Offenen Brief an die deutsche Bundesregierung verschickt. Sie bringt darin ihre Bedenken zum Ausdruck, Funkeinwirkung aller Art könnte das Immunsystem schwächen und Personen so anfälliger für Covid-19 machen. Wichtigste Forderung an die Kanzlerin: "Stoppen Sie 5G!"

Was der Virologe Christian Drosten, er berät die Bundesregierung in der Coronakrise, von unqualifizierten Wortmeldungen fachfremder Mediziner hält, kann man sich hier anhören.

Und sogar ich, bekennender Nicht-Mediziner, kann eine Behauptung Aschermanns als falsch brandmarken. Nämlich diese:

Die Strahlenschutzkommission hat bereits 1991 festgestellt, dass Funkstrahlung unterhalb der Grenzwerte Kalziumkanäle in der Zellmembran öffnet (SSK 1991). Mittlerweile wurde u.a. von Prof. Pall bestätigt, dass übliche Mobilfunkfrequenzen durch den Kalziumeinstrom in die Zellen negative Effekte hervorrufen könnten (Pall 2018).

Der Kenntnisstand der zehn Ärzte, die den Offenen Brief abgesegnet haben, weist erschreckende Lücken auf. Tatsächlich hat die SSK im Dezember 1991 in einer Stellungnahme zunächst geschrieben:

[...] Über spezielle Effekte, die nicht auf der Erwärmung beruhen, wird in der Literatur seit ungefähr 15 Jahren berichtet. Wenn eine Hochfrequenzstrahlung mit einer anderen Frequenz amplitudenmoduliert ist, können Feldwirkungen auftreten, welche bei unmodulierter Strahlung nicht existieren. Es handelt sich meistens um Veränderungen der Permeabilität von Zellmembranen. Beispielsweise wurde festgestellt, daß bei einer HF-Strahlung mit einer Frequenz von 147 MHz, die mit Frequenzen zwischen 6 und 20 Hertz moduliert war, der Kalziumausstrom aus Zellkulturen bei bestimmten Frequenzen signifikant (um 10 bis 20%) erhöht war. Insgesamt wurde eine komplexe Abhängigkeit dieser Effekte von Intensität und Frequenz beobachtet, wobei spezielle Frequenzbereiche besonders wirksam sind. Die Membraneffekte wurden vielfach bestätigt, so daß ihre Existenz heute als gesichert gilt. Hervorzuheben ist, daß die SAR-Werte hierbei teilweise kleiner als 0,01 W/kg sind und damit erheblich unterhalb thermisch relevanter Intensitäten liegen. [...]

Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, Aschermann redet von Kalziumeinstrom in Zellen hinein, die SSK hingegen von Kalziumausstrom aus Zellen heraus. Das aber ist noch nicht alles. Denn 2001 revidierte die SSK in einer weiteren Stellungnahme ihre Einschätzung von 1991:

[...] Untersuchungen an zellulären Strukturen, z.B. an Zellmembranen oder Flüssen biologisch bedeutender Ionen wie Kalzium, dienen zur Aufklärung von Wirkungsmechanismen, besonders unter dem Aspekt von biologischen Reaktionen niederfrequent amplitudenmodulierter Hochfrequenzfelder bei nichtthermisch wirkenden Intensitäten. Die wenigen Untersuchungen unterstützen nicht die Hypothesen, dass bei niedrigen Feldstärken Reaktionen, die eine Relevanz für die Gesundheit des Menschen haben könnten, auftreten. Eindeutige biologische Reaktionen konnten gezeigt werden, wenn die Absorptionsrat um Größenordnungen über dem Grenzwert lag und bekannte Mechanismen wie z.B. thermisch bedingte Reaktionen vorlagen. Die Gesamtheit an Versuchsergebnissen spricht nicht für einen wissenschaftlich begründeten Verdacht.
[...]
Aus den o.g. Fakten lässt sich zusammenfassen, dass mit modernen Analysetechniken die älteren signifikanten Ergebnisse zum Kalziumgleichgewicht nicht bestätigt, aber, da ein anderer Endpunkt untersucht wurde, auch nicht widerlegt wurden. Weitere Forschung ist daher gerechtfertigt.

Man darf sich zurecht über die selektive Wahrnehmung von Aschermann et al. wundern, die zwar die SSK-Stellungnahme von 1991 fanden, nicht aber die berichtigende SSK-Stellungnahme von 2001.

Was das IZgMF-Forum über den U.S.-Rentner Martin Pall berichtet, zeichnet das Bild eines wenig vertrauenerweckenden Selbstdarstellers, der auch innerhalb der akademischen Anti-Mobilfunk-Szene dort umstritten ist, wo wirklich Fachkompetenz anzutreffen ist (z.B. Dariusz Leszczynski) und einem diese mit viel akademischem Lametta nicht bloß vorgegaukelt wird. Alles nachzulesen <hier>.

Frau Aschermann weiß, ihren substanzschwachen inhaltlich flachen Brief an die Bundesregierung hätte sie ebensogut gleich in den Reißwolf stecken können. Doch Aschermann ist schmerzfrei, sie erwartet aus Berlin gar keine Antwort, deshalb hat sie die Form des Offenen Briefs gewählt. Denn damit erreicht sie garantiert ihre wehrlose wahre Zielgruppe (Laien), und kann sich dieser gegenüber als Aktivistin inszenieren, die Top-Politikern mutig den Marsch bläst. Das Ganze ist, wie viele andere Offene Briefe aus der Anti-Mobilfunk-Szene, ein leicht zu durchschauender Fake, mit dem wütende Bauernhaufen der Szene dazu gebracht werden sollen, den Hintermännern nicht von der Fahne zu gehen.

Hintergrund
► Übersichtsbeitrag Kalzium und EMF: Stand des Wissens (2010)
Fußabdruck von Dr. med. Aschermann im IZgMF-Forum
► Dr. med. Aschermann ist langjährige Mobilfunkgegnerin und Mitglied der sogenannten Kompetenzinitiative. Zusammen mit Dr. med. Cornelia Waldmann-Selsam und Dr. med. Markus Kern bildet sie ein infernalisches Ärztetrio, das mit weltentrückten Offenen Briefen an hochgestellte Persönlichkeiten der Weltpolitik die deutsche Ärzteschaft international zur Lachnummer macht. Wer's nicht glaubt: Hier geht es zu dem Brief des Trios an den damaligen U.S.-Präsidenten Barack Obama. Gewarnt wird darin 2009 vor der Einführung von DVB-T, dem terrestrischen Digitalfernsehen. Weitere peinliche Briefe gleichen Kalibers folgten.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Geltungsdrang, Ko-Ini, Aschermann, Kalzium, Bundesregierung, Pall, Corona-Krise, Narrativ, Rentnerband, Akademiker, Offener Brief


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