Dieudonnés Schlussfolgerung (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 13.05.2020, 00:23 (vor 1487 Tagen) @ H. Lamarr

Dieudonné hat sich allem Anschein nach ungewöhnlich intensiv mit der EHS-Problematik auseinandergesetzt, aus meiner Sicht ist seine Arbeit wegweisend. Schon deshalb, weil er unvoreingenommen beschreibt, dass EHS keine homogene Gruppe sind, sondern aus unterschiedlichen Fraktionen bestehen, zwischen denen Welten liegen können, im IZgMF-Forum nannten wir zwei dieser Fraktionen früher einmal "echte" und "unechte" EHS. In seiner Schlussfolgerung schlägt der Franzose vor, worum sich künftige EHS-Forschung kümmern sollte, um die divergierenden Forschungsergebnisse der vergangenen 20 Jahre mit neuen Forschungsansätzen endlich zur Konvergenz zu bringen. Weil die Vorschläge substanziell sind, habe ich sie mit Hilfe von deepl.com ins Deutsche übersetzt, was stellenweise nicht ganz einfach war. Der Text ist deshalb etwas holprig zu lesen, die wesentlichen Botschaften sollten aber verständlich sein.

[...]
Schlussfolgerung

Keine der überprüften Hypothesen erweist sich als völlig tragfähig. Die Debatte über den Ursprung der Symptome, die selbstdeklarierte EHS-Personen erleben, bleibt offen, auch wenn ihre Begriffe und Auswirkungen hoffentlich klarer sind. Unter Berücksichtigung der verfügbaren Beweise lassen sich drei Wege für künftige Forschungsvorhaben ins Auge fassen, die dazu beitragen könnten, die Erklärungshypothesen zum Thema EHS zu verfeinern und zwischen ihnen zu entscheiden, wobei gleichzeitig erhebliche Lücken in der wissenschaftlichen Literatur gefüllt werden könnten. Die erste wäre die systematische Untersuchung der Symptome, Zuschreibungen und Verhaltensweisen von EHS-Personen, um festzustellen, ob alle drei miteinander verbunden sind, wie es die Attribut-Hypothese annimmt, oder ob dies nur für die Auslöser [engl. "formers"; Anm. Postingautor] gilt, wie es die kognitive Hypothese annimmt. Es geht darum, ob Meinungen über die Schädlichkeit von EMF und Überzeugungen über EHS unterschiedliche Phänomene sind, die getrennt analysiert werden sollten, und ob Verhaltensweisen ein relevanter Indikator für die Festlegung von EHS sind. Der zweite Weg wäre die Durchführung klinischer Studien zu kognitiven und verhaltenstherapeutischen Therapien mit dem Ziel der Symptomrückführung, was die beste Möglichkeit zur Linderung von EHS-Symptomen bietet, wenn die kognitive Hypothese richtig ist. Bemerkenswert ist, dass in den späten 1990er Jahren vier solcher Studien durchgeführt wurden, deren Ergebnisse zu uneinheitlich sind, um als Bestätigung oder Widerlegung dieser Hypothese interpretiert werden zu können [109]. Heute, angesichts der Verschärfung der Debatte um die EHS, würden sie wahrscheinlich vor ernsthaften Akzeptanzproblemen stehen. Der dritte Weg für zukünftige Forschung, wie oben dargelegt, würde in einem strengen Vergleich der Erfahrungen und Krankheitsverläufe von Menschen mit EHS und anderen funktionellen somatischen Syndromen bestehen. Wenn die attributive Hypothese gültig ist, sollten die einzigen Unterschiede, die sich zeigen, nur umstandsbedingt sein, d.h. EHS-Symptome könnten ebenso gut auf andere Ursachen zurückgeführt werden.

Der erste Weg könnte der dringendste sein. Nicht zu wissen, was der Kern des EHS-Phänomens ist, ist eine große Unsicherheitsquelle, die sowohl das Verständnis des Phänomens als auch die künftige Forschung behindert. Eine Möglichkeit, die in Betracht gezogen werden sollte, besteht darin, dass alle drei Erklärungshypothesen wahr sind, da sie für verschiedene Formen von EHS gelten. Dies wurde von mehreren Autoren argumentiert, die vorschlugen, zu unterscheiden zwischen (1) Personen, die sich selbst als empfindlich gegenüber einigen wenigen spezifischen Gerätschaften oder einem breiten Spektrum von Expositionsquellen erklären [75, 76], (2) Personen, die glauben, dass ihre Gesundheit durch EMF negativ beeinflusst wird, oder die sich selbst auch als EHS bezeichnen [59], oder (3) Personen, die von einer Empfindlichkeit gegenüber EMF berichten oder sich auch bei einer aktivistischen Gruppe registrieren lassen [5]. Die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass letztere mehr Symptome und einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand haben als erstere, sich eher in Behandlung begeben, sich mehr Sorgen um ihre Gesundheit machen und mehr über Umweltempfindlichkeiten berichten. Daher könnten ihre Erkrankungen unterschiedliche Ursprünge haben, wobei die kognitive Hypothese die Symptome bloßer "Attributoren" besser berücksichtigt und die attributive Hypothese eher für "echte EHS-Personen" geeignet ist.

Es wurde eine weitere Unterscheidung zwischen drei Kategorien von Personen vorgeschlagen: "Vorsichtig, aber nicht krank" (z.B. Gesundheitsapostel des New Age mit neuzeitlichen Gesundheitsproblemen oder Protestierende gegen die Standortwahl von Basisstationen), "Krank, aber nicht vorsichtig" (z.B. Patienten mit unspezifischen körperlichen Symptomen, die sie versuchsweise EMF zuschreiben, insbesondere in Untersuchungseinrichtungen, ohne zu versuchen, ihre Exposition zu reduzieren) und "Krank und vorsichtig" (die ausreichend von der Schädlichkeit von EMF überzeugt und durch ihre Krankheit ausreichend motiviert sind, um ihre Exposition um den Preis einer Änderung ihres Lebensstils bewusst zu reduzieren) [9]. Welche Unterscheidung auch immer die geeignetste ist, wenn EHS besser verstanden werden soll, scheint es unumgänglich, einen genaueren Blick auf das zu werfen, was EHS eigentlich ausmacht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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