Prüfergebnisse: Medikamente vs. Handystrahlen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 06.01.2020, 14:13 (vor 1808 Tagen)

Würden für Gesundheitsrisiken, die mit der Einwirkung von Funkfeldern einher gehen dieselben strengen Maßstäbe gelten wie für die Zulassung von Medikamenten, müsste Mobilfunk auf der Stelle verboten werden. So oder so ähnlich versuchen organisierte Mobilfunkgegner das "Risiko Mobilfunk" gegenüber Laien seit ungefähr 15 Jahren zu dramatisieren (aktuelles Beispiel). Das IZgMF ist der massenhaft kolportierten Behauptung eines österreichischen Mediziners nachgegangen.

In der Anti-Mobilfunk-Szene kursieren zahllose Sprechblasen von bekannten und unbekannten Szenegrößen. Eine ergiebige Quelle dafür ist die berühmt-berüchtigte "Zitatesammlung" des Baubiologen Wolfgang Maes. Das folgende Zitat, das eine Website von Klaus Buchner ziert, ist jedoch einzigartig:

"Würden Medikamente dieselben Prüfergebnisse wie Handystrahlen liefern, müsste man sie sofort vom Markt nehmen. Denn keine Firma der Welt würde Arzneimittel entwickeln, die bei Versuchstieren oder in Zell-Experimenten Krebs auslösen, und dann behaupten, das werde beim Menschen so schon nicht auftreten."

Dr. Randal Huber (Österreichische Ärztekammer)

Das Zitat selbst ist alles andere als einzigartig, es findet sich in verkürzter Form häufig im www. Doch nur bei Buchner wird der Autor des Zitats zu einem Randalierer der Österreichischen Ärztekammer. Die Ursache für den Doppelfehler ist ebenso schlicht wie peinlich: Derjenige, der das Zitat erbeutet und auf Buchners Website geschleppt hat, war nicht in der Lage, von der Vorlage richtig abzuschreiben.

Dr. med. Erik Randall Huber erklärt seinen zweiten Vornamen mit seinen Verwandtschaftsbeziehungen in die USA. Üblicherweise tritt der Mediziner im Netz jedoch einfach als Erik Huber auf. Falsch ist die häufig anzutreffende Behauptung, Huber sei Umweltreferent der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) gewesen. Richtig ist: Huber war Umweltreferent der Ärztekammer für Wien. Die Fülle der falschen Zuschreibungen erklärt sich dadurch, dass Mobilfunkgegner gerne wahllos voneinander abschreiben, ohne den Wahrheitsgehalt einer kolportierten Behauptung zu prüfen.

Wann genau Dr. med. Huber seine zitierte Behauptung erstmals sagte ist heute nicht mehr auszumachen, wahrscheinlich geschah dies anlässlich der Premiere von Hubers "Zehn medizinischen Handy-Regeln" durch die Ärztekammer Wien im Jahr 2005. Obwohl inzwischen hoffnungslos veraltet und wirkschwach, bietet die Kammer diese Regeln weiterhin in warngelb als Plakat an, u.a. auch auf chinesisch.

Anlass für dieses Posting sind jedoch nicht die Kolportagefertigkeiten von Klaus Buchner und anderen unbelehrbaren Mobilfunkgegnern, sondern die Kernbehauptung von Hubers Zitat.

Würden Medikamente dieselben Prüfergebnisse wie Handystrahlen liefern, müsste man sie sofort vom Markt nehmen.

Der Contergan-Skandal lässt Zweifel an Hubers Behauptung aufkommen. Schnee von vorgestern? Stimmt, doch es geht auch zeitgemäß wie Andreas Kunz, Redaktionsleiter der Schweizer "Sonntagszeitung" in einer Massenmail vom 5. Januar 2020 mitteilt:

Guten Morgen!

Wir schreiben das Jahr 2020 - und denken, dass gewisse Geschichten eigentlich nicht mehr möglich sein sollten. Leider wurden wir soeben wieder eines besseren belehrt.

In der Schweiz sind jahrelang Babys mit schweren Hirnschäden zur Welt gekommen, weil ihre Mütter während der Schwangerschaft ein Medikament gegen Migräne und Epilepsie einnahmen. Seit mehr als fünfzehn Jahren zeigen Studien, dass es beim ungeborenen Kind neben körperlichen auch schwere geistige Schäden bewirken kann. Das Risiko liegt bei 30 bis 40 Prozent.

Trotzdem informierten Ärzte die werdenden Mütter nicht. Auch die Heilmittelbehörde Swissmedic warnte spät. Erstmals 2015, mit Nachdruck sogar erst 2018. Die Behörde hat kürzlich in einem Bericht die Problematik so dargestellt, als handele es sich um alte Fälle. Aber das stimmt nicht. Die Heilmittelbehörde weiss von hirngeschädigten Babys aus dem Jahr 2017. Ärzte verschrieben das Medikament an Schwangere also selbst nach der Warnung der Behörde.

Wir bleiben an der Geschichte dran. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.

Wenn diese Geschichte stimmt, ist die Koportage von Hubers Behauptung die Bits und Bytes nicht wert, mit denen sie von Kolporteuren in Umlauf gebracht wird.

Hintergrund
Wolfgang Maes schon wieder bei Zitatfälschung ertappt
Erik Huber: Rezeptionen auf der IZgMF-Website

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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