Wirtschaftsrezession wegen Funkausbau nicht aufzuhalten (Elektrosensibilität)
Der Verein für Elektrosensible, München, hat ein sonderbares Pamphlet veröffentlicht, das er "Pressemitteilung" nennt, obwohl es alles andere ist, nur nicht das. Das Papier titelt grammatikalisch und semantisch grenzwertig Deutschland im Dilemma Wirtschaftsrezession wegen Funkausbau nicht aufzuhalten. Mutmaßlich haben die Autoren nach Dilemma einen Doppelpunkt vergessen und anstelle von nicht aufzuhalten wollten sie vielleicht nicht auszuhalten schreiben. Von einem Dilemma spricht man, hat einer nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Doch wo steckt denn nun Deutschlands Dilemma, wenn doch der Funkausbau, der eigentlich eher ein Funkeinbau ist, sich aller Voraussicht nach kraftvoll gegen die Rezession stemmen wird? Und nicht zuletzt wirft die Titelzeile die Frage auf, ob aus Sicht der "Elektrosensiblen" der Funkausbau die nicht zu bremsende Wirtschaftsrezession verschuldet hat, oder ob die Rezession andere Gründe hat, sie wegen des Funkausbaus aber nicht auszuhalten, pardon, aufzuhalten ist. Alle diese verwirrenden Deutungen stecken in der verdrillten Titelzeile der sogenannten Pressemitteilung.
Linderung verspricht der Vorspann der "Pressemitteilung", den die "Elektrosensiblen" euphemistisch Abstract nennen, als ob sie sie keine "Pressemitteilung" publizieren würden, sondern einen wissenschaftlichen Fachartikel. Wird dieser Vorspann die Rätselhaftigkeit des Titels auflösen? Schauen Sie selbst:
Abstract:
Elektrosensible Menschen sind meist hoch qualifizierte Menschen mit feinen Sinnen und daher hoher sozialer und fachlicher Kompetenz. Da sie mit gesundheitlichen Beschwerden auf Funkstrahlung reagieren und heutzutage keinen Arbeitsplatz mehr finden, fallen sie aus dem System - ins Nichts - und belasten Wirtschaft und Sozialstaat. Andere Menschen werden „nur“ krank. Beides belastet die Wirtschaft immens. Die OECD meldet Ende 2018 einen ökonomischen Schaden von rund 600 Milliarden Euro für Europa.
Aha, es geht also um arbeitslose "Elektrosensible". Sollte man meinen. Doch statt Fakten, Fakten, Fakten zu bringen, erzählt die "Pressemitteilung" im ermüdend langen Fließtext Anekdoten, ergeht sich in unbelegten Behauptungen und konstruierten Zusammenhängen. Da hat sich jemand etwas ausgedacht und versucht seine persönliche Meinung verkleidet als "Pressemitteilung" auf den Informationsmarkt zu bringen. Das kann und wird nicht funktionieren. Beruflich habe ich schon mit tausenden Pressemitteilungen zu tun gehabt, guten und schlechten, so etwas aber hatte ich noch nicht auf dem Tisch. Mutmaßlich will der Verein mit seinen rund 150 Mitgliedern, die zwischen 2016 und 2017 eine abrupte Verjüngung in Richtung arbeitsfähiges Alter erfuhren, nur ein bisschen öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken – die Sehnsucht aller organisierten Mobilfunkgegner. In den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit aber dürften "elektrosensible" Arbeitslose bestenfalls auf der zweiten Nachkommastelle rangieren.
Aus meiner Sicht lenkt der Verein mit seinen Meldungen vom Wesentlichen ab. "Elektrosensible" Arbeitslose sind gesellschaftlich nicht wichtiger als z.B. arbeitslose Apothekerinnen aus Kleinasien. Dafür die Öffentlichkeit zu interessieren versuchen ist belangloses Blendwerk. Der Knackpunkt aller "Elektrosensiblen" ist ein ganz anderer, nämlich a), ob es überhaupt jemals gelingen wird, einen Kausalzusammenhang zwischen "Elektrosensibilität" und schwacher EMF-Einwirkung nachzuweisen und b) wie die Betroffenen, meinetwegen nur übergangsweise, am wirkungsvollsten psychotherapiert werden können. Um beides schlagen "Elektrosensible" gerne einen großen Bogen, diese Themen sind bei ihnen so beliebt wie die Spinne bei Arachnophobikern.
Der Verein für Elektrosensible zweifelt selbst am Erfolg seiner eigenen "Pressemitteilung", deren Widerhall in der Presselandschaft gegenwärtig Null ist. Steht doch am Textende verschämt-hilflos ein nicht unsympathisches Geständnis:
Diese Notiz wurde von Elektrosensiblen zusammengefasst, welche, da sie von Wirtschaft und Politik als Spinner hingestellt werden, nicht genannt werden können. Die Verteilung erfolgt über die Bürgerinitiativen.
quod erat demonstrandum
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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