Geschichte einer Falschmeldung: Krebs durch Bluetooth-Kopfhörer (Berichtigungen)

H. Lamarr @, München, Freitag, 15.03.2019, 20:56 (vor 1909 Tagen)

In den USA geistert eine Meldung durch die Medien, 250 Wissenschaftler hätten sich mit einer Petition gegen die Bluetooth-Kopfhörer einer bekannten Edelmarke ausgesprochen. Es bestünde ein Krebsrisiko. Das IZgMF ist der Story nachgegangen und stieß dabei auf eine alte Bekannte, die schon vor mehr als 100 Jahren Panik vor Funkwellen verbreitete.

Am 30. April 1911 brachte die US-Südstaatenzeitung "The Atlanta Constitution" unter dem (übersetzten) Titel "Warum Funktelegraphie uns alle zahnlos, kahl und verrückt machen kann" den bizarren Alarmbeitrag eines deutschen Autors (Dr. Rolfe Hensingmuller), der aller Voraussicht nach ein Hochstapler war.

Am 13. März 2019 verbreitete die Zeitung, inzwischen umbenannt in "The Atlanta Journal-Constitution", abermals Stuss über Funkwellen. Diesmal ist es Najja Parker, eine "Content Producerin", die sich verstiegen hat. Sie schreibt über die Bluetooth-Kopfhörer "AirPods" von Apple:

Dozens of scientists have signed a United Nations and World Health Organization petition to warn against the potential dangers of Apple AirPods.

The 250 experts who signed the petition believe the earbuds pose possible cancer risks due to the Bluetooth technology, a type of electromagnetic frequency (EMF) radiowave that can transmit data.

Die erwähnte Petition ist der berühmt-berüchtigte EMF-Appell des inzwischen verstorbenen US-Wissenschaftlers Martin Blank.

Der Haken an der prickelnden Meldung der Content-Produzentin: sie ist falsch. Es hätte nur Sekunden gedauert, um sich Gewissheit zu verschaffen, dass in dem Appell weder von Apple, noch von Bluetooth oder von AirPods die Rede ist. Möglicherweise hat die Fake-Meldung-Produzentin "Appeal" (englisch für Appell) mit Apple verwechselt und auch sonst einiges falsch verstanden.

Leider machen sich Content-Produzenten die Arbeit nicht selten leicht, indem sie einfach von fremdem Content abschreiben, ein bisschen umformulieren und so mit wenig Mühe nun ihrerseits Content für ihr Blatt präsentieren können. Da es ja nur um drögen Content geht, der mit Journalismus wenig bis nichts zu tun hat, kann es gut sein, dass solche Content-Produzenten tags zuvor noch in einer Burger-Braterei am Thresen hantierten.

So kam was kommen musste, die Falschmeldung fand schnell Trittbrettfahrer als Abnehmer (Beispiel). Ein anderes Beispiel für diese Trittbrettfahrerei ist die oben von mir verlinkte Quelle (WSBTV Atlanta). Erwähnenswert ist dies deshalb, weil das Original der Falschmeldung auf der Website von "The Atlanta Journal-Constitution" mittlerweile berichtigt wurde:

Editor’s note: A previous version of this story reported that the petition mentioned Apple AirPods. However, that information was added in error.

Das Original der Falschmeldung existiert also nicht mehr. Das ist gut. Die Kopien aber, die sich die Trittbrettfahrer gezogen haben, um damit ihr eigenes Süppchen zu kochen, die stehen bis jetzt unberichtigt weiterhin im Netz und warten darauf, dass auf Copy-Paste spezialisierte Teilnehmer der Anti-Mobilfunk-Szene vorbeistolpern und den Mist in die Szene injizieren.

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Copy-Paste, Blank, Trittbrettfahrer, USA, Fake News, Hensingmuller

RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum