Österreich ohne Rechtsgrundlage zum Schutz vor EMF-Einwirkung? (Allgemein)
(1) Österreich verfügte zur Zeit der Gebarungsüberprüfung des RH - mit Ausnahme einer Verordnung zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor der Einwirkung durch elektromagnetische Felder - über keine Rechtsgrundlagen zum Schutz der Allgemeinbevölkerung vor der Einwirkung durch elektromagnetische Felder in den Bereichen Elektrizität, Telekommunikation und Gesundheit.
Die Kritik des Rechnungshofes erinnert stark an frühe Aufstände von Mobilfunkgegnern, die sich daran rieben, dass die Ratsempfehlung 1999/519/EC, von der auch der Rechnungshof jetzt redet, nur eine Empfehlung und keine verbindliche Richtlinie sei. Warum die EU damals eine Empfehlung verabschiedete und keine Richtlinie, darüber gibt dieser Strang im IZgMF-Forum Auskunft.
Da das, was der Österreichische Rechnungshof bemängelt, auch für alle EU-Länder zutrifft, die sich so wie Österreich auf die EU-Empfehlung 1999/519/EC und die ICNIRP-Empfehlungen stützen, müsste auch in vielen EU-Ländern ein rechtsfreier Raum im Schutz der Bevölkerung gegenüber EMF herrschen, wären da nicht noch andere Aspekte zu beachten, wie etwa verbindliche Vorgaben für das Inverkehrbringen von Geräten, die EMF erzeugen (z.B. CE-Konformitätserklärungen).
Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) gibt auf seiner Website dazu folgende Auskunft, die sich allerdings nur auf niederfrequente EMF-Emissionen bezieht:
Innerhalb der Europäischen Union (EU) gibt es einen uneinheitlichen Umgang mit diesen Empfehlungen [1999/519/EC und ICNIRP-Empfehlungen; Anm. Autor dieses Postings]. Es gibt drei verschiedene Herangehensweisen [...]
Über die Rechtslage in Österreich in Bezug auf hochfrequente EMF-Emissionen gibt ein Dokument in der Datenbank "Doris" des BfS Auskunft (Internationaler Vergleich der rechtlichen Regelungen im nicht-ionisierenden Bereich - Vorhaben 3614S80010). Dort heißt es mit Stand November 2015 (Auszug):
In Österreich existiert kein allgemeines Gesetz zum Schutz vor den Wirkungen elektromagnetischer Felder. Lediglich der Schutz vor hochfrequenten elektromagnetischen Feldern von Funksendern wird durch das Telekommunikationsgesetz 2003 geregelt, zuletzt geändert am 30.06.2014, [ÖST 01].
In § 54 Abs. 1a) und § 73 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) wird bestimmt, dass zum Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsschäden durch elektromagnetische Felder Beschränkungen verfügt werden können. Weiter heißt es in § 54 Abs. 1d TKG, dass bei der Beurteilung des Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen der Stand der Wissenschaft, die internationalen Vorgaben sowie Gesetze und Verordnungen zum allgemeinen Schutz vor elektromagnetischen Feldern zu beachten sind [ÖST 02]. Nähere Bestimmungen, unter welchen Bedingungen dieser Schutz gewährleistet ist, enthält das TKG nicht unmittelbar. Dies ist eine in der österreichischen Rechtspraxis regelmäßig verwendete Form der Regelung, um zu vermeiden, dass eine Rechtsnorm durch regelungsfremde Tatbestände zu sehr ins Detail gehen muss. Dieser insoweit unbestimmte Rechtsbegriff „Schutz des Lebens und der Gesundheit“ muss aus verfassungsrechtlichen Gründen anhand objektiv feststehender Kriterien eindeutig ausgelegt werden können. Hierfür werden vor allem gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse und die aus solchen Erkenntnissen abgeleiteten Normen herangezogen [ÖST 07]. Zum Schutz vor EMF werden die Grenzwerte der ÖNORM E8850 herangezogen, in welcher die EU-Ratsempfehlung vom 12.07.1999 (1999/59/EG) zur Begrenzung von EMF im Bereich 0 Hz bis 300 GHz verbindlich festgesetzt wurde.
Schutzvorschriften sind in Österreich lediglich für Orte vorgesehen, an denen ein dauerhafter Aufenthalt von Personen gegeben ist. Spezielle Vorschriften für den Schutz besonderer Orte (Schulen, Krankenhäuser oder Kindergärten) sind nicht vorhanden [ÖST 01].
Die Bundesländer legen die Planung und Genehmigungsvorschriften für den Bau einer baulichen Anlage fest. Der Bau von Mobilfunkanlagen wird daher nach den gesetzlichen Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes abgewickelt, womit die Gemeinden zunächst zuständig sind. Die Genehmigung einer Funkanlage hinsichtlich technischer Parameter (z. B. Frequenzbereiche, Übertragungstechnik und Sendeleistung) obliegt gleichwohl der Fernmeldebehörde. Im Info-Letter 1/2006 der Obersten Fernmeldebehörde (OFB) „Ortsfeste Basisstationen zur Übertragung von Mobilfunk“ [ÖST 07] heißt es, dass mit der Bewilligung zur Errichtung eines Mobilfunknetzes auch die Bewilligung zur Errichtung von Sendeanlagen verbunden sei. Die fernmeldebehördliche Bewilligung zur Errichtung von Sendeanlagen sei aber nicht schrankenlos, sondern erfolge unter der Bedingung der Einhaltung aller relevanten Gesetze und dabei insbesondere der Einhaltung der gültigen Immissionsgrenzwerte. Werden diese Bestimmungen nicht erfüllt, darf die Anlage nicht errichtet werden.
Die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte wird von den Organen der Fernmeldebehörden regelmäßig überprüft. Kontrollen zur Einhaltung der Schutzabstände finden lediglich bei Anlass statt.
[...]
2.35.2 Grenzwerte
Das Telekommunikationsgesetz gibt keine Grenzwerte vor, sondern stellt in § 54 Abs. 1d TKG nur fest, dass der „Stand der Wissenschaften, die internationalen Vorgaben sowie Gesetze und Verordnungen zum allgemeinen Schutz vor elektromagnetischen Feldern zu beachten“ sind [ÖST 02].
Es werden in Österreich die Grenzwerte der EU-Ratsempfehlung 1999/519/EG durch die Anwendung der ÖNORM E8850 als dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Regelungen herangezogen (siehe hierzu auch oben) [ÖST 03].
Die Grenzwerte und Bewertungsvorgaben der EU-Ratsempfehlung wurden in der nationalen
Vornorm E8850 übernommen [ÖST 04]. Eine ÖNORM ist zwar rechtlich nicht bindend, sie
stellt jedoch den aktuellen Stand der Technik dar, auf den bei der Beurteilung von Gefährdungen zurückgegriffen werden kann [ÖST 05].[...]
Ich verstehe diese Ausführungen so, dass auch in Österreich der Schutz der Bevölkerung vor unzulässig hohen EMF-Immissionen in der Praxis nicht weniger zuverlässig gewährleistet ist als z.B. in Deutschland. Verwaltungsrechtliche Bedenken mögen begründet sein, das kann ich nicht beurteilen, praktische Relevanz haben sie aus meiner unmaßgeblichen Sicht nicht. Der Tiger, den der Rechnungshof freigelassen hat, ist m. E. ein reinrassiger Papiertiger. Sollte sich hierzulande die verwaltungsrechtlich einzige Speerspitze der Mobilfunkgegner, Ex-Verwaltungsrichter Bernd. I. Budzinski der Angelegenheit annehmen, wird die Beurteilung der Rechtslage ganz sicher dramatischer ausfallen. Doch das kennen wir von ihm schon ...
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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H. Lamarr,
25.01.2019, 20:05
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