Wie Mobilfunkgegner versuchen, aus 5G Kapital zu schlagen (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 23.09.2018, 18:19 (vor 2014 Tagen)

Seit September 2017 läuft gegen die Einführung von 5G weltweit eine Kampagne organisierter Mobilfunkgegner. Den Startschuss dazu gab der Schwede Lennart Hardell mit seinem verkorksten 5G-Appell, mit dem er und Kollegen ein 5G-Moratorium von der EU-Kommission verlangten. Nach den Wissenschaftlern und Pseudowissenschaftlern griffen fachliche Laien aus der AntiMobilfunk-Szene die Idee auf und tragen sie bis in Kommunalpolitik von Kleinstädten. Hierzulande bedienen sich Laien bevorzugt der unqualifizierten Argumentation, die der Verein Diagnose-Funk auf allen ihm zur Verfügung stehenden Kanälen verbreitet. Vom 5G-Rollout erhofft sich die Anti-Mobilfunk-Szene, an deren Rändern sich staatsfeindliche Gruppierungen, Geschäftemacher, Spinner und Verschwörungsfans tummeln, neuen Schwung, um die Bevölkerung zu verunsichern. Wer Angst hat ist viel anfälliger für Desinformation als angstfreie Menschen. 5G erfordert zwingend eine Netzverdichtung mit zahlreichen neuen Standorten für Sender. Auch wenn diese neue Sendertechnik im Vergleich zu den bekannten Sendemasten häufig klein und unscheinbar aussehen wird, werden Mobilfunkgegner versuchen, Wutbürger zu mobilisieren, so wie dies bislang bei jeder neuen Funktechnik der Fall war.

Im Detail auf die fachlichen Defizite des Diagnose-Funk-Personals einzugehen halte ich hier und jetzt für unnötig, das IZgMF-Forum gibt dazu bereits genug Auskünfte. Was aber erforderlich ist, ist die aktuelle Betrachtung eines alten Tricks, mit dem organisierte Mobilfunkgegner anlässlich der 5G-Einführung erfahrungsgemäß die Öffentlichkeit verunsichern werden. Wer den Trick kennt, lässt sich nicht mehr so leicht verschaukeln.

Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter

Der Schweizer Theophrastus Bombast von Hohenheim (*1493/94 †1541), besser bekannt unter seinem Künstlernamen Paracelsus, war Arzt und wurde mit der Erkenntnis berühmt "Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei." Auf das Gift Mobilfunkstrahlung bezogen bedeutet dies: Die schwache Einwirkung von Mobilfunksendemasten ist unbedenklich, die im ungünstigsten Fall 25-mal stärkere Einwirkung durch Mobiltelefone ist (möglicherweise) riskant. Zum Vergleich: Eine Temperatur von 22 °C empfinden die meisten Menschen als angenehm, 550 °C (25 x 22 °C) hingegen als ausgesprochen unangenehm. Oder nehmen wir Sonnenlicht: in Maßen genossen bringt es die begehrte sportliche Bräune, zuviel davon verursacht zuerst Sonnenbrand und später möglicherweise Hautkrebs. Organisierte Mobilfunkgegner verwischen nun seit eh und ja den gravierenden Unterschied zwischen der schwachen Befeldung durch Sendemasten und der starken durch Handys, indem sie pauschal von "Mobilfunkstrahlung" reden. Warum? Die Drahtzieher der Szene wissen ganz genau, dass sich die Bevölkerung nicht gegen ihr Lieblingsspielzeug Handy aufhetzen lässt, wer das versucht, hat schon verloren bevor er überhaupt angefangen hat. Bleiben notgedrungen die harmlosen Sendemasten, um gegen Mobilfunk zu hetzen. Erfolgreich, wie entsprechende Berichte über Wutbürger, die gegen Sendemasten vor ihrer Haustür aufbegehren, in den Medien belegen.

Damit die Hetze gegen Funk nicht an Nahrungsmangel versiegt, benutzt die Anti-Mobilfunk-Szene den Pauschalismus "Mobilfunkstrahlung" auch dazu, Studienergebnisse, die allein für Handys gelten, so irreführend zu vermarkten, dass Laien sie irrtümlich Sendemasten anlasten. Das IZgMF-Forum nennt dazu etliche Beispiele. Um die harmlosen Sendemasten gefährlich erscheinen zu lassen wird auch gerne darauf verwiesen, sie würden zwar nur schwach stahlen, dafür aber rund um die Uhr und so eine risikobehaftete Zwangsbefeldung bewirken. Das unverzichtbare Handy hingegen würde zwar stark strahlen, jedoch selbstbestimmt stets nur bei Gebrauch. Dem lässt sich laiengerecht und in Übereinstimmung mit Paracelsus' Lehrsatz mit einer Analogie entgegnen: Ein Hühnerei wird nicht dadurch gar, indem man es nur lange genug bei z.B. 22 °C liegen lässt.

Soviel zur Vorgeschichte des beliebten Tricks, mit dem alle Mobilfunkgegner weltweit Laien zu übertölpeln suchen. Kommen wir nun zum aktuellen Stand der Forschung und zu der Frage, ob sich die jüngsten Erkenntnisse auf harmlose Sendemasten beziehen oder auf die möglicherweise risikobehafteten Handys. Im wesentlichen geht es hierbei um nur zwei aktuelle Großstudien (NTP und Ramazzini).

NTP-Studie: Die NTP-Studie brachte widersprüchliche und deshalb umstrittene Ergebnisse hervor. Unumstritten ist die extrem hohe Befeldung, der Ratten und Mäuse anlässlich dieser Studie ausgesetzt waren, sie lag mindestens 19-fach und maximal 75-fach über dem Maximalwert, mit dem Sendemasten auf Menschen einwirken dürfen. Die NTP-Studie mit Sendemasten in Verbindung zu bringen ist daher falsch und irreführend. Ob die Studie Bedeutung für Mobiltelefone hat wird gegenwärtig in der Wissenschaft diskutiert. Die Studienautoren selbst sehen kein hohes Risiko für den Gebrauch von Handys und ICNIRP sieht keinen Grund, wegen der NTP-Studie seine Expositionsempfehlungen von 1998 zu überarbeiten. Andere Wissenschaftler (Ron Melnick sowie eine von NTP einberufene Peer-Review-Gruppe von 14 Wissenschaftlern) sehen hingegen durchaus Belege, den zulässigen SAR-Grenzwert für Handys (derzeit in Europa 2,0 W/kg) zu überdenken und ggf. zu reduzieren.

Anmerkung SAR-Wert: Nehmen wir einmal an, die Bedenken der besorgten Wissenschaftler stellen sich im weiteren Verlauf der Diskussion als begründet heraus, was bedeutet dies für die Mobilfunktechnik? Ich behaupte: nicht viel. Denn der SAR-Wert ist ein Grenzwert, der an Bedeutung verloren hat (siehe auch <hier>). Zu Beginn des Digitalfunks (GSM) waren 1992 die Funknetze noch lückenhaft und die Funkzellen groß, Handys mussten häufig mit voller Leistung senden, um überhaupt die nächstgelegene Basisstation erreichen zu können. Auf diesem Szenario (maximale Sendeleistung) beruht die Bestimmung des SAR-Werts. Heute ist die Situation eine ganz andere, wegen der Netzverdichtung sind die Distanzen zwischen Sendemast und Handy so gering, dass Handys meist mit einem Bruchteil der maximalen Sendeleistung auskommen, wodurch zugleich der zulässige SAR-Wert bei weitem nicht mehr ausgeschöpft wird. Hinzu kommt, dass Handyhersteller üblicherweise ihre Geräte so bauen, dass diese die maximal zulässige SAR von 2,0 W/kg technisch gar nicht mehr ausschöpfen können, sondern auch bei schlechten Empfangsbedingungen weit darunter bleiben. Grund: Je kleiner der SAR-Wert eines Handys, desto länger hält eine Akkuladung. Die beim BfS nachzuschlagenden SAR-Wert-Tabellen zeigen, dass von gegenwärtig 3090 marktgängigen Handys 2597 Modelle am Ohr des Nutzers einen Energieeintrag von maximal 1 W/kg bewirken können (50 % des zulässigen Werts) und davon immerhin noch 541 Modelle eine SAR von maximal nur 0,4 W/kg bewirken. Im Klartext heißt dies: Setzen sich die besorgten Wissenschaftler durch, die EU-Kommission könnte eine Halbierung des Grenzwerts für Handys empfehlen – und 84 Prozent der heute in Europa gängigen Mobiltelefone wäre nicht davon betroffen, weil sie sowieso schon schwächer senden. Technisch gerade noch machbar wäre eine Reduzierung des Handygrenzwerts auf 1/10 (maximal 0,2 W/kg) des heute zulässigen Werts, dann wird das derzeitige Angebot am Markt aber schon dünn, denn nur 69 Modelle kommen mit diesem kleinen SAR-Wert (oder weniger) aus. Eine beliebige Reduzierung des SAR-Werts ist nicht praktikabel, denn mit sinkendem Wert fällt auch die Fähigkeit eines Mobiltelefons, unter schwierigen Bedingungen (z.B. in den Bergen) noch eine Verbindung aufbauen zu können.

Fortsetzung in Teil II

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Täuschung, Netzverdichtung, Blendwerk, Einflussnahme, SAR-Wert, Trick, NTP-Studie, 5G-Appell, 5G, Hardel, Halbwissen, 5G-Moratorium


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