Hansueli Stettler: Hofnarr, Mobilfunkgegner, Baumkasuistiker (Allgemein)
Gigaherz-Urgestein Elisabeth Buchs hat heute eines ihrer selten gewordenen Postings verfasst, und verweist auf die Website von Hansueli Stettler. Das ist sozusagen der Jörn Gutbier von St. Gallen: Architekt, Baubiologe und kommunalpolitisch engagiert.
Herr Stettler ist schon etliche Jahre als Mobilfunkgegner unterwegs, bis 2012 war er "Medienbeauftragter" von funkstrahlung.ch. Befremden löste er 2012 aus, als in der Schweiz der schlimme Tunnel-Unfall mit einem Reisebus voller Kinder passierte und Stettler den ermittelnden Staatsanwalt mit einem offenen Brief belästigte, der auf einen ausgeprägten Tunnelblick des Verfassers schließen lässt. Ob Stettler auf seinen unmöglichen Brief je Antwort erhielt ist nicht bekannt.
Inzwischen hat sich der Mann den Bäumen in St. Gallen zuwandt. Folgender Auszug gehört zu dem Beitrag »Stadtbäume zeigen uns funkbelastete Zonen«, den Stettler am 14. November auf seiner Website einstellte. Es geht dabei um eine Immissionsmessung an einer Kastanie, nicht nur ebenerdig wie üblich, sondern mit Hilfe einer Hebebühne auch weiter oben. Die Ausführungen starten mit einer sensationell neuen Erkenntnis:
Bäume wurzeln über Jahrzehnte am gleichen Ort und bewegen sich nicht. Ihre Kronen sind ausladend, haben eine grosse räumliche Ausdehnung und können aufmerksamen Augen darum einiges zeigen.
Auffallend sind darum Bäume, die einseitig ein schlechtes Wuchsbild der Krone haben, wie die Kastanie beim Hirschenplatz in St. Gallen.
Es ist auszuschliessen, dass dort hohe Streusalzbelastung oder schlechter Untergrund eine Ursache darstellt: auf der geschwächten Seite des Baumes ist eine kleine Wiese, auf der gesunderen Strassenseite besteht der Strassenkoffer sogar weitestgehend aus Kies. Eine Messung zeigt, dass die Strahlenbelastung im Stammbereich und im unteren Kronenbereich um ein Mehrfaches tiefer ist als auf der Höhe des Dachgeschosses des Nachbarhauses.
Die Schwankungen der Kurve sind zum Teil bedingt durch die schwankende, ungleichmässige Aufwärtsbewegung der Hebebühne. Bei der Interpretation ist entscheidend, dass die vorhandene Belastung kontinuierlich mit der Höhe zunimmt. Dass die Kurve „gedeckelt“ ist, ist auf die Begrenzung durch das Messgerät zurückzuführen.
Klar abzulesen ist, dass die Strahlenbelastung schon unterhalb der Dachkante viel höher ist: Funkstrahlen sind, je höher (kürzere Wellen) ihre Frequenz ist, etwas „biegsamer“, sie legen sich auch etwas um Gebäudekanten. Zudem absorbiert ein mit Ziegeln bedecktes Dach auch wesentlich weniger Energie als ein Mauerwerk. Was das für die Bewohner dieser Dachgeschosse bedeutet, kann man sich leicht vorstellen.
Tja, auf den ersten Blick sieht das alles ganz vernünftig aus. Während unsere Frau Waldmann-Selsam ihr Knatterbüchsen-Messgerät auf einer Pflückstrange befestigt in den Himmel voller kranker Bäume reckt, ist Stettler professionell mit zittriger Hebebühne und zeitlich protokollierter Messwerterfassung unterwegs. Die Hebebühne muss natürlich aus Holz gewesen sein, denn ein Metallmonster hätte üble Messwertverfälschungen verursacht. Ob unser Spezialist darauf geachtet hat?
Doch wenn man im Messprotokoll nicht nur die hübsche Kurve ansieht, sondern auch die Werte, stellt sich die Messung schnell als Nullnummer heraus.
Was also gibt es zu meckern?
Der minimale Messwert (Boden) wird mit 2,47 µW/m² angegeben, der maximale Messwert in unbekannter Höhe mit 15,00 µW/m². Beides sind lächerlich niedrige Werte, der Unterschied beträgt nur rund 12 µW/m²! Beweiskraft = Null, von einer Messfehlerbetrachtung fehlt jede Spur. Nur wer absolut keinen blassen Schimmer von HF-Messtechnik hat, versucht mit solchen Werten Eindruck zu schinden. Das ist in etwa so, als ob Herr Stettler die zulässige Belastung einer Brücke im Blick hat und in Entsetzen verfällt, wenn seine Waage ihm statt der erlaubt 8 t den Rotalarmwert 8,00000000001 t meldet.
So leicht kann man mit tollen Kurven täuschen.
Jetzt macht Herr Stettler allerdings geltend, angeblich wären oben höhere Werte messbar gewesen, das Messgerät sei (mit 15,00 µW/m²) jedoch am oberen Messbereichsendwert angekommen. Die Kurve bestätigt diese Behauptung, es könnten tatsächlich statt 15 µW/m² auch 18 µW/m² oder meinetwegen 21 µW/m² gewesen sein. Nur, was ist das für ein Messgerät, das bei 15,00 µW/m² in die Begrenzung gerät? Gibt es so ein Gerät überhaupt und wieso bekommt es Baubiologe Stettler in die Finger. Eine Vordämpfung könnte die lächerlich niedrigen Messwerte erklären, doch davon sagt unser Mann nichts.
Allein schon die Anzeige von zwei Nachkommastellen lässt den Verdacht wach werden, Herr Stettler bediente sich bei seiner Messung eines Hobby-Messgeräts. HF-Messungen haben bekanntlich einen Messfehler von etwa ±50 Prozent, zwei Nachkommastellen gauckeln daher eine Genauigkeit vor, die tatsächlich nicht gegeben ist. Die gesamte Messung des Baubiologen ist wegen dieser Ungenauigkeiten nicht mehr als ein Witz. Dass er dennoch damit an die Öffentlichkeit geht, lässt auf Mut schließen, nicht auf Fachkompetenz.
Ungewöhnlich auch: In dem Messprotokoll fehlen Klartextangaben, um welches Messgerät es sich handelt. Üblicherweise nutzen Hersteller solche Protokolle gerne, um ein bisschen Eigenwerbung zu machen. Und im Text macht Herr Stettler ebenfalls keinerlei Angaben zu seiner Messtechnik. Das wirkt alles nicht professionell. Doch was mögen im Kopf des Protokolls die drei unscheinbare Buchstaben "NFA" bedeuten?
Um es kurz zu machen: Der Unterschied zwischen Herrn Stettler und unserer Frau Waldmann-Selsam ist nicht so groß wie es scheint, denn auch der Schweizer Alarmist bedient sich der hinlänglich bekannten Hobby-Messtechnik aus bayerischer Produktion, er hat sie lediglich um einen Datenlogger nebst Gratis-Analysesoftware ergänzt.
Irritierend ist: Die NFA-Baureihe des bayerischen Herstellers gibt es gemäß aktueller Website nicht für HF, sondern nur für Niederfrequenz! So stellt sich denn zum Schluss weniger die Frage nach den lächerlich niedrigen Messwerten, sondern eher die Frage:
Was hat der Mann dort eigentlich gemessen?
Selber weiß er es offensichtlich auch nicht, denn auf seiner Website berichtet er von Feldstärkemessungen (passt zu HF und NF), das Messprotokoll zeigt hingen Werte der Leistungsflussdichte an (passt nur zu HF). Lädt man sich die angebotene NFA-Analysesoftware herunter (erfordert keine Installation) wird es noch dubioser, denn dann stehen als Einheiten für Messwerte nur die für magnetische Flussdichte zur Verfügung! Dies wirft noch einmal mit Schwung die Frage auf:
Was hat der Mann dort eigentlich gemessen?
Eine Erklärung für die Widersprüche wäre: Photoshop. Vielleicht erfahren wir noch eine andere.
Hintergrund
Hansueli Stettler: Der Stadtschreck. Mag er auch ein schlechter Messknecht sein, Humor hat der Mann aus St. Gallen immerhin: Denn den Stadtschreck-Link habe ich auf seiner Website gefunden.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –