Schneeglöckchenstraße: "Ich würde es wieder tun" (Allgemein)
Nachdem Frau Weber wenig erfreut ist, wenn meine Frau und ich unseren Ostersparziergang rund um ihren Sendemasten machen, haben wir diesmal einen alten anderen Tatort besucht: die Schneeglöckchenstraße. Und wie es der Zufall will, steht, gerade eben als wir vorbeikommen, der Standortvermieter vor seinem Haus und ist bereit, unsere Fragen zu beantworten.
Herr L., geschätzt 78 Jahre alt und inzwischen Witwer, sagt, er würde es wieder tun: Er würde sein Hausdach noch einmal an einen Netzbetreiber vermieten, weil er jetzt besser wüsste, was auf ihn zukommt und wie er damit umzugehen habe. Seine Frau aber habe damals, als die Nachbarn mit "Montagsdemos" vor seinem Haus großen sozialen Druck machten, sehr gelitten. Er habe die ganzen Vorgänge gesammelt und könnte damit einen Film bestreiten.
Der gelernte Maschineneinrichter wusste in dem 45 Minuten dauernden Gespräch so viele Details zu erzählen, dass ich mir nur die Wichtigsten merken konnte und versuche, sie hier stichpunktartig aufzuzählen.
- Nein, weggezogen sei wegen der Sendemasten aus der Nachbarschaft niemand.
- Ein Nachbar, der damals zu den Anführern der Mobilfunkgegner zählte, habe inzwischen auf dem Dach seines Firmengebäudes zwei Sendemasten stehen. Von Herrn L. darauf angesprochen sagte der Nachbar, diese Masten störten ihn nicht, weil er dort nicht wohne.
- Erste Krankmeldungen aus der Nachbarschaft habe er bereits bekommen, als die Antennen zwar am Masten hingen, die Basisstation unterm Dach aber noch gar nicht eingerichtet und der Sender somit nicht betriebsfähig war.
- Herr L. und seine Frau nutzten die "Montagsdemos" der Anwohner, um vor dem Aufmarsch der Gegner das Haus zu verlassen und zum Einkaufen zu gehen. Die Polizei habe ihnen dazu geraten und gesagt, sie werde solange auf das Haus aufpassen.
- Die Gegner durften erst ab 50 Teilnehmern ein Megaphon benutzen (polizeiliche Auflage).
- Um die Anzahl der Gegner zu erhöhen, mobilisierten Eltern ihre Kinder. Die Polizei ließ einmal die Kinder vortreten und fragte sie, warum sie da wären. Weil uns die Eltern hergeschickt haben, war die Antwort.
- Von den Bewohnern eines unmittelbaren Nachbarhauses abgesehen werde er von den Nachbarn nicht mehr geschnitten und morgens auf der Straße gegrüßt.
- Nachbarn hätten andere beunruhigt mit der Behauptung, auf dem Dach seines Hauses werde bald ein weiterer Sendemast errichtet. Erst als der Netzbetreiber ihm schriftlich bestätigte, dass diese Behauptung unwahr sei und er mit diesem Papier die Nachbarn aufsuchte, entspannte sich die Situation wieder.
- Eine wegen des Sendemasten feindlich gesinnte Nachbarin warf Herrn L. vor, ihren Hund geschlagen zu haben. Dieser Vorfall geriet zur gerichtlichen Auseinandersetzung, die nicht zum Nachteil von Herrn L. endete.
- Ursprünglich waren auf dem Dach zwei Sendemasten (Telekom, E-Plus). Die beiden Betreiber einigten sich, einen Masten aufzugeben und den auf dem Dach verbleibenden mechanisch zu verstärken und künftig gemeinsam zu nutzen.
- Die "Montagsdemos" der Anwohner gegen den Masten fanden höchstens ein halbes Jahr lang statt.
- Der Betriebsraum des Sendemasten sei unter dem Dach eingerichtet worden, dort habe der Betreiber einen vorhandenen Raum abgeteilt und die Basisstation BTS aufgebaut. Der abgeteilte Raum sei versperrt, alarmgesichert und mit einem Lüfter versehen, der ihn jedoch nicht störe. Zur breitbandigen Anbindung der BTS ans Mobilfunknetz sei zum Haus eigens ein Glasfaseranschluss gelegt worden.
2016 sieht der Sendemast in der Schneeglöckchenstraße nicht viel anders aus (großes Foto) als 2003 (kleines Foto, zum Vergrößern auf Foto klicken). Plakate und Transparente sind verschwunden, die Menschen haben sich fast alle arrangiert und kümmern sich um Wichtigeres.
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2016....................................................................................................2003
Hintergrund
News aus der Schneeglöckchenstraße
Standortvermieter: allein gegen die Nachbarschaft
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –