Standortvermieter: allein gegen die Nachbarschaft (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 06.03.2010, 19:39 (vor 5199 Tagen)

Der Bürgerkrieg in der Schneeglöckchenstraße ist mittlerweile sieben Jahre vorüber und die Waffen ruhen. Das brachte mich auf den Gedanken, bei der Standortvermieterin Frau L. anzurufen und sie zu fragen, ob sie über das Erlebte einmal ihre Sicht der Dinge schildern wolle. Denn was ich 2003 an nur einem einzigen Tag dort beobachtet hatte, das war schon heftig:

Frau L. gingen ausgerechnet an diesem Tag die Vorräte aus, sie musste das Haus verlassen. Dies geschah nicht unter Polizeischutz, sondern unter lautem Pfeifkonzert und Buhrufen der aufgebrachten Anwohner. Ein Mitarbeiter von E-Plus gab Frau L. Geleitschutz. Ja, Sie haben richtig gelesen: Geleitschutz! So geschehen in der Münchener Schneeglöckchenstraße – und nicht etwa in Kabul, Bagdad oder der Kaukasusrepublik Tschetschenien.

Die Passage oben habe ich während meiner Zeit als Sendemastengegner geschrieben, der rüde Umgang mit Frau L. aber hatte mich damals schon gestört, denn es ist eben nicht ruhmreich, wenn 100 oder 150 Sendemastengegner eine damals rund 65 Jahre alte Frau mobben. Wie bereits einmal geschrieben, soll die soziale Isolation von seinem Umfeld einen älteren Standortvermieter sogar in den Selbstmord getrieben haben. Dieser Fall ist zwar nicht bestätigt, ich hoffe aber, dazu noch nähere Auskünfte zu bekommen.

Zurück zu Frau L. Am Telefon traf ich eine jugendlich und sympathisch wirkende Frau an, die von meiner Idee wenig begeistert war. "Wir haben jetzt seit zwei Jahren Ruhe" sagte sie, und die wolle sie nicht riskieren. Auch das Angebot einer anonymisierten Berichterstattung über die "Oper" von Sendemastengegnern konnte sie nicht umstimmen. Da ich so schnell nicht aufgab, verblieben wir so, dass sie sich mit ihrem Mann beraten solle. Zehn Tage später meldete ich mich wieder, erhielt aber abermals eine Absage: Nein, sie wollten unter keinen Umständen etwas sagen, auch nicht anonym. "Es ist doch alles wieder in Ordnung", meinte Frau L. und fuhr fort, "die haben doch alle ihre Handys", und zu Handys gehöre nun einmal auch der (ihr) Sendemast. Ob sie dies aus eigenen Stücken sagte oder ihr aus alten Tagen eine Argumentationshilfe der Netzbetreiber in den Sinn kam, kann ich nicht sagen. Obwohl wir uns völlig fremd sind unterhielten wir uns noch 20 Minuten über die Schlechtigkeit des Seins, dann wünschten wir uns gegenseitig alles Gute.

Mein erster Anlauf, auch einmal die Gegenseite einer Standortvermietung zu Wort kommen zu lassen, ging damit voll in die Hose. Die L's dachten nicht daran, die mühsam nach etwa fünf Jahren "Krieg" zurück gewonnene Normalität irgendwie aufs Spiel zu setzen. Das kann ich zwar nachvollziehen, aber gut ist dieser Mantel des Schweigens nicht. Vielleicht ist es wie bei den Missbrauchsfällen in Einrichtungen der Katholischen Kirche: Wenn erst einmal einer den Anfang macht und den Mund öffnet, dann erst kommt etwas zu Vorschein, was zuvor niemand für möglich gehalten hat. Soll heißen: Ich will es weiter probieren, gemobbten Standortvermietern Gelegenheit zu geben, darüber etwas zu sagen, wie es war, nachdem der Mast stand und der Bautrupp abgezogen war. Ich fürchte, da schlummert Schlimmeres als der Streit um einen Knallerbsenstrauch oder Maschendrahtzaun. Aber: Da weder von den Betreibern noch von den Standortvermietern Unterstützung zu erwarten ist, wird die Geschichte vielleicht nie schwarz auf weiß zu lesen sein.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Selbstmord, Schneeglöckchen, Standortvermieter, Standortvermietung


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