Salzburgleitung: "Unfähigkeit eines Universitätsprofessors" (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 16.06.2014, 00:16 (vor 3824 Tagen)

Gigaherz-Präsident Jakob schreibt in einem Beitrag über das Ringen um die 380-kV-Salzburgleitung:

Umweltanwalt Wolfgang Wiener hat gegenüber der Verhandlungsleitung vergeblich beantragt, den Gutachter Manfred Neuberger wegen fachlicher Unfähigkeit abzusetzen. Das Gutachten des Wiener Universitätsprofessors enthalte keine nachvollziehbaren Antworten. Wiener und die Bürgerinitiativen forderten an Stelle von Neuberger den Umweltmediziner des Landes Salzburg, Dr. Gerd Oberfeld wieder einzusetzen, dessen kritische Arbeiten nicht berücksichtigt worden war.

Da Hans-U. Jakob ausnahmsweise einmal so freundlich war, die Quelle einer Information zu nennen, lässt sich seine Darstellung mit dem Original vom 6. Juni 2014 in den Salzburger Nachrichten vergleichen:

Umweltanwalt Wolfgang Wiener hat - vergeblich - beantragt, den Gutachter Manfred Neuberger "wegen fachlicher Unfähigkeit" abzulösen. Das Gutachten des Wiener Universitätsprofessors enthalte keine nachvollziehbaren Antworten. Wiener und die Bürgerinitiativen fordern, einen Umweltmediziner einzusetzen. Der bekannt kritische Salzburger Landes-Umweltmediziner Gerd Oberfeld war nicht berücksichtigt worden.

Die schlimmste Verfälschung, die sich Jakob geleistet hat, ist mMn die Weglassung der Anführungszeichen, mit denen im Original die Kritik an Gutachter Neuberger als Meinungsäußerung des Umweltanwalts Wiener kenntlich gemacht wird. Ohne Anführungszeichen erweckt die Textpassage den Eindruck, die angebliche fachliche Unfähigkeit Neubergers sei keine persönliche Meinung, sondern eine erwiesene Tatsache. Solche gemeinen Verdrehungen sind typisch für den Gigaherz-Präsidenten. Die von ihm in seinem Beitrag beklagte Durchsuchung der Veranstaltungsteilnehmer nach Waffen war übrigens nicht so überraschend, wie er es darstellt, sondern angekündigt und in Anbetracht der Gewaltbereitschaft einiger Wutbürger auch angemessen. Und die "Salzburgarena", Ort der Anhörung, ist nicht etwa ein Fußballstadion, sondern eine Mehrzweckhalle für maximal 6700 Personen. Salzburg24 meldet am 2. Juni allerdings lediglich 500 Besucher, und die über 10'000 Einsprachen, von denen Jakob zu berichten weiß, die schrumpfen an gleicher Stelle auf 1350. Dem Gigaherz-Präsidenten auch nur ein Wort ohne Kontrolle zu glauben, ist mMn grob fahrlässig bis unverantwortlich.

Wieso sich der Biologe Dr. Wiener überhaupt anmaßt, so harsch über die fachliche Qualifikation des augenscheinlich kompetenten Umweltmediziners Neuberger zu urteilen, ist möglicherweise wieder einmal eine Frage persönlicher Selbstüberschätzung, wie sie z.B. bei öffentlich wahrgenommenen Mobilfunkgegnern häufig anzutreffen ist.

Im Gegensatz zu Jakobs verzerrter Darstellung geht aus dem Original nicht zweifelsfrei hervor, ob Wiener und BIs die Mitwirkung von Dr. med. Gerd Oberfeld fordern. Das ist schade, denn es wäre ein Skandälchen, sollte dies tatsächlich zutreffen.

Dr. Oberfeld gelang bekanntlich 2008 das Kunststück, die exorbitante Zunahme von Krebsfällen um einen Mobilfunksender in Hausmannstätten wissenschaftlich präzise nachzuweisen, obwohl es den fraglichen Sender am fraglichen Standort zur fraglichen Zeit nicht gegeben hat. Der Vorfall weckte nachhaltige Zweifel an der Sorgfalt und kritischen Distanz, mit der der Salzburger Umweltmediziner an seine Aufgabenstellungen herangeht. Oberfeld musste seinerzeit seine alarmierende Studie zurückziehen, er tat dies allerdings erst, nachdem er in einer Gerichtsverhandlung über den Fall zu unterliegen drohte. Und obwohl dies nicht die einzige Merkwürdigkeit blieb, die im Zusammenhang mit Dr. Oberfeld zu beobachten war, behielt der Umweltmediziner bis heute seinen Posten in der Abteilung 9 der Salzburger Landessanitätsdirektion (vergleichbar dem Gesundheitsministerium eines deutschen Bundeslandes).

Aus meiner Sicht wäre es grotesk, würde die Verdrehung Jakobs zutreffen, und Dr. Oberfeld tatsächlich von Umweltanwalt Wiener und den Bürgerinitiativen gerufen werden. Grotesk, weil es anscheinend völlig egal ist, welche fachlichen Verfehlungen der Umweltmediziner sich geleistet hat, solange nur sicher ist, dass er als bekannter Bedenkenträger stets die Stimme des Volkes vertritt. Dies würde ich per se nicht verurteilen, hätte Dr. Oberfeld in der Mobilfunkdebatte nicht so gehandelt, dass ich an seine Integrität, Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit nicht mehr glauben mag. Was es an Oberfeld konkret auszusetzen gibt, darüber gibt das Forum Auskunft.

Es stellt sich abschließend die Frage, warum Jakob den sonst von ihm durchaus geschätzten bequemen Weg des Copy & Paste verlassen hat, und er die kopierte Textpassage verfälscht wiedergibt. Die richtige Antwort weiß nur er. Ich könnte mir denken, es ist einer seiner krampfhaften Versuche, Mitstreitern eine Gefälligkeit zu erweisen. Im konkreten Fall wäre dies die Wichtigmachung des Mobilfunkgegners Oberfeld, der nach dem Skandal um den nicht existierenden Sender Hausmannstätten in der Anti-Mobilfunk-Szene erheblich an Bedeutung eingebüßt hat.

Das Umweltverträglichkeitsgutachten (PDF, deutsch) für die Salzburgleitung hat einen Umfang von 1011 Seiten. Die zusammenfassende medizinische Beurteilung auf Seite 1011 besteht in dem Kernsatz:

"Nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung aller humanmedizinisch relevanten Auswirkungen und projektsgemäß vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen und Gegenüberstellung mit Hygiene-Grenzwerten und Schutzzielen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft, wird - unter der Voraussetzung der Berücksichtigung der im Projekt bereits vorgesehenen und im Gutachten geforderten zwingenden Maßnahmen - das Projekt „380-kV-Starkstromfreileitung samt Nebenanlagen von St. Peter am Hart (Oberösterreich) bis zum Netzknoten Tauern (Salzburg)“ als umweltverträglich beurteilt."

Mit Dr. Oberfeld als Gutachter wäre dies wahrscheinlich nicht passiert.

Und nun?

Hintergrund
Hochspannung in Oberösterreich: Jakob ./. Leitgeb

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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