Mikrowellen-Experiment: mögliche Erklärungen (Allgemein)

Dr. Ratto, Freitag, 09.08.2013, 12:57 (vor 4123 Tagen) @ H. Lamarr

Ich werde versuchen es zu erklären, so gut ich das als Biologin kann und überhaupt selber verstanden habe. Falls es nichts hilft, fragen Sie am besten Herrn Bornkessel, der ist Experte für so was.

Ich werde mich im Folgenden überwiegend auf einen Abschlussbericht aus dem DMF zur SAR-Berechnung in kleinen Strukturen des menschlichen Kopfes beziehen, das kommt der Fragestellung am nächsten, und einige Grundlagen sind in den Kapiteln 2.1. - 2.4 (S. 8 - 11) sowie 2.7.1 (S. 35) sehr gut beschrieben.

Im Resonanzfall, wenn Körperabmessungen und Wellenlänge überein stimmen (oder ganzzahlige Vielfache der Wellenlänge) nimmt ein Körper am meisten Energie aus dem Feld auf.

Am besten absorbiert der Körper wenn seine Länge der halben Wellenlänge entspricht. Das ergibt sich aus dem Artikel von Prof. Bernhard, aus dem die verlinkte Grafik stammt. Dies gilt aber nur im Fernfeld und unter bestimmten Randbedingungen. Der o.g. Abschlussbericht erklärt es auf S. 8 so:

Die Quantitative Beurteilung der Exposition von Personen in Hochfrequenz- und Mikrowellenfeldern hängt aufgrund der Komplexität der zu Gunde liegenden physikalischen Phänomene von vielen Parametern ab, wie z.B.
• abgestrahlte elektromagnetische Leistung und Frequenz der Strahlungsquelle
• Abstrahleigenschaften der Strahlungsquelle
• Distanz zur Strahlungsquelle
• physikalische Eigenschaften des Wellenausbreitungsraumes (Dämpfung, Reflexion,..)
• dielektrische Eigenschaften des exponierten Körpers
• Abmessungen des exponierten Körpers relativ zur Wellenlänge
• räumliche Ausrichtung des exponierten Körpers relativ zu den Feldvektoren

Bei hinreichend großer Distanz der exponierten Person zur Strahlungsquelle können die ersten vier der oben genannten Parameter als unabhängig von den anderen Parametern und als verantwortlich für die am Ort der exponierten Person auftretende Intensität des Feldes angesehen werden. Die drei letztgenannten Parameter bestimmen dann gewissermaßen die Feldeinkopplung in den Körper und damit das Ausmaß und die Verteilung der Strahlungsabsorption im Körper. Diese Situation wird allgemein als Fernfeldexposition bezeichnet in der eine völlige elektromagnetische Entkopplung zwischen Strahlungsquelle und exponiertem Objekt angenommen werden kann. Weiters können in solchen Fällen in guter Näherung ebene Wellen und die einfache Umrechenbarkeit zwischen elektrischer und magnetischer Feldstärke über die Freiraum-Wellenimpedanz (Z0≈377Ω) vorausgesetzt werden. Im Hinblick auf die Beurteilung der Exposition des Menschen gegenüber den elektromagnetischen Feldern des modernen Mobilfunks trifft diese Situation im Allgemeinen z.B. für die Exposition durch Basisstationen zu.

Bei der verlinkten Grafik handelt es sich um eine Fernfeldexposition, deshalb hängt die absorbierte Energie nur von den letzten drei Parametern ab. Es sind alles Säugetiere, die dielektrischen Eigenschaften sind also ähnlich. Wegen der Vergleichbarkeit der Ergebnisse hat man sie bei der SAR-Berechnung sicher alle drei in Bezug zur Wellenausbreitung gleich ausgerichtet. Dann bleibt die Körpergröße als wichtigster Einflussfaktor, und das ist deutlich sichtbar.

Nun herrscht in einer Mikrowelle sicher kein Fernfeld mit einer ebenen Welle. Zu Nahfeld sagt die Bericht folgendes:

Bei Nichtzutreffen der oben genannten Bedingungen, d.h. wenn die elektromagnetische Entkopplung zwischen Strahlungsquelle und exponiertem Objekt nicht vorausgesetzt werden kann, spricht man von Nahfeldexposition. In solchen Situationen wirkt der exponierte Körper bzw. der exponierte Körperteil aufgrund seiner ausgeprägten dielektrischen Eigenschaften (siehe Kapitel 2.7) massiv auf die Strahlungsquelle zurück, was zu komplexen Feldverhältnissen führt, die sich einer exakten analytischen Beschreibung meist entziehen.

Wenn einer von ARC-Seibersdorf das sagt, wird klar, warum unsere Kompetenzen hier im Forum nicht ausreichen um das Problem zu lösen. Auch meine nicht.

Keine der SAR-Formeln zeigt eine Abhängigkeit von der Frequenz - und das irritiert mich noch immer.

Doch, das tun sie alle drei, aber versteckt. Die Formeln sind im Bericht auf S. 8-10 abgeleitet. Man sieht, dass sich die in den ersten beiden Formeln enthaltene elektrische Leitfähigkeit des Gewebes aus der konduktiven Leitfähigkeit und der dielektrischen Leitfähigket zusammensetzt (Bericht S. 10 Formel 2-19). Die dielektrische Leitfähigkeit ist gewebespezifisch, Ferquenzabhängig und enthält auch den von mir bereits erwähnten Verlustfaktor. Diese Art der Frequenzabhängigkeit ist aber eine Ganz andere als die im Fernfeld und hängt von den verschiedenen im Gewebe enthaltenen Molekülen und deren Polarisierbarkeit ab. Der Bericht sagt dazu auf S. 35 folgendes:

Da die Körpergewebe keine ausgeprägten magnetischen Eigenschaften besitzen (Permeabilitätszahl μr≈1), können die elektromagnetisch relevanten Gewebeeigenschaften der Körpergewebe allein durch die komplexe Permittivität (Dielektrizitätszahl) εr dargestellt werden. Der Realteil εr’ der komplexen Permittivität ist dabei ein Maß für die Polarisierbarkeit des Gewebes und entspricht der eigentlichen Dielektrizitätszahl, wie man sie von der elektrischen Charakterisierung technischer Materialien her kennt. Der Imaginärteil εr’’ ist für die im Gewebe auftretenden Verluste verantwortlich, die zur Umwandlung von elektrischer in thermische Energie und damit zur Erwärmung des Gewebes führen.

Die dritte Formel basiert direkt auf der Temperaturerhöhung, diese ist selber bereits Frequenzabhängig.

Und dass es (wahrscheinlich) einfacher ist, einen starken Sender für 27 MHz zu bauen als einen für 5 GHz, und damit dann kleine Käfer ins Jenseits zu befördern, leuchtet mir auch noch ein.

Das ist sicher richtig. Nach Angaben der Arbeit zu Fruchtfliegen schwankt aber der dielektrische Verlustfaktor für verschiedenen Arten und Stadien von Fruchtfliegen bei 27 MHz und 20°C zwischen 200 und 400, bei 1800 MHz aber nur zwischen 10 und 15. Das ist ein sehr deutlicher Unterschied, die niedrigeren Frequenzen sind deutlich wirksamer, und es ist sicher ein Parameter der dazu beiträgt dass sie sich in der Mikrowelle relativ wenig erwärmen.

Ich hoffe ich habe für ausreichend Verwirung gesorgt. Wer noch mehr ins Detail gehen möchte, kann auf den Bericht zurückgreifen bzw. die Autoren kontaktieren. Technische und mathematische Grundkenntnisse sind allerdings Voraussetzung.

G. Ratto

Tags:
Nahfeld, Fruchtfliegen, Fernfeld


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