Nocebophänomene in der Medizin (Allgemein)

Gast, Montag, 20.05.2013, 22:15 (vor 4238 Tagen)

Nocebophänomene in der Medizin: Bedeutung im klinischen Alltag

Nocebo phenomena in medicine: their relevance in everyday clinical practice
Dtsch Arztebl Int 2012; 109(26): 459-65; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0459
Häuser, Winfried; Hansen, Ernil; Enck, Paul

Hintergrund: Nocebophänomene kommen im klinischen Alltag häufig vor. Ihre Bedeutung für das ärztliche Handeln wird von Grundlagenwissenschaftlern, Klinikern und Ethikern in den letzten Jahren zunehmend erforscht und diskutiert.

Methode: Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche in der Datenband PubMed mit den Suchbegriffen „nocebo“ oder „nocebo effect“ für Artikel, die bis Dezember 2011 veröffentlicht wurden.

Ergebnisse: Noceboeffekte sind Beschwerden, die unter einer Scheinbehandlung und/oder durch Suggestion negativer Erwartungen entstehen. Unter einer Noceboantwort versteht man Beschwerden, die durch negative Erwartungen des Patienten und/oder Suggestionen der Behandler ohne eine Behandlung erzeugt werden. Zugrundeliegende Mechanismen sind Lernen durch Pawlowsche Konditionierung und Reaktion auf Erwartungen, ausgelöst durch verbale Informationen oder Suggestionen. Noceboantworten können durch unbeabsichtigte negative Suggestionen von Ärzten und Pflegepersonal hervorgerufen werden. Die Aufklärung über mögliche Komplikationen einer Therapie und negative Erwartungen des Patienten erhöhen die Häufigkeit unerwünschter Wirkungen. Ein Teil der subjektiven unerwünschten Wirkungen von Medikamenten sind auf Noceboeffekte zurückzuführen.

Schlussfolgerungen: Ärzte befinden sich in dem ethischen Dilemma zwischen der Pflicht, den Patienten über mögliche Nebenwirkungen einer Behandlung zu informieren und der Pflicht, die Risiken eines medizinischen Eingriffs für den Patienten zu minimieren, das heißt auch die Induktion von Noceboeffekten durch eine Aufklärung zu vermeiden. Mögliche Strategien der Lösung dieses Dilemmas sind die Fokussierung auf die Verträglichkeit von Maßnahmen sowie das durch den Patienten erlaubte Verschweigen von unerwünschten Wirkungen im Aufklärungsgespräch. Ein Kommunikationstraining während des Medizinstudiums und in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung ist sinnvoll, um die „Macht der Worte“ des Arztes zum Nutzen des Patienten einzusetzen und Schaden von ihm abzuwenden.

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