ADHS-Mäuse durch Mobilfunk: Chronik eines Skandals (Allgemein)

Alexander Lerchl @, Sonntag, 24.03.2013, 19:07 (vor 4012 Tagen)

Letztes Jahr im März veröffentlichte das Team um den Gynäkologen Hugh S. Taylor eine Studie, die zwar grottenschlecht war, aber dennoch einen ziemlichen Wirbel verursachte. Angeblich waren Mäuse, die im Mutterleib Handystrahlung ausgesetzt worden waren, nach der Geburt hyperaktiv, hatten Lernschwierigkeiten usw. Eine Welle ging durch die Lande: Schwangere, haltet Euch von Handys fern, Eure Babies bekommen sonst ADHS. Begünstigt wurde die Aufmerksamkeit auf die ansonsten gruselig schlechte Studie dadurch, dass sie in "Scientific Reports" veröffentlicht wurde, eine relativ neue wissenschaftliche Zeitschrift der Nature Publishing Group, sozusagen in der Formel-1-Klasse der wissenschaftlichen Zeitschriften. Und Yale ist eine der Spitzenunis in den USA.

Die Wochenzeitung DIE ZEIT nahm sich überraschend schnell des Themas an und schrieb einen sehr kritischen Artikel. Ein Kommentar zur Studie von Andrew Woods aus Australien erschien schon wenige Tage nach deren Veröffentlichung online unter dem Artikel als Kommentar. Tenor beider Verlautbarungen: die Studie ist Schrott. Ich wurde u.a. durch DIE ZEIT zitiert: "Bei genauerem Hinsehen kann man Hugh S. Taylor nur wünschen, dass er mit diesem Aufsatz nicht berühmt wird. Nach der Lektüre wundert sich der Biologe Alexander Lerchl, wie diese Arbeit überhaupt den Begutachtungsprozess überstehen konnte: "Ich denke, da ist ein Schreiben an die Herausgeber fällig."

Dariusz Leszczynski sah sich durch den Artikel in DIE ZEIT und meine Äußerungen genötigt, mich in seiner Kolumne in der Washington Post heftig anzugreifen, indem er über mich titelte: "Professional debunker" from Germany redicules Yale study. Damals war ich noch in der SSK und Vorsitzender des Ausschusses Nichtionisierende Strahlung.

Was sich danach abspielte, kann man nur als Groteske bezeichnen. Es ist alles dokumentiert und kann hier nachgelesen werden. Zur Sicherheit: Quelle: http://www.nature.com/srep/2012/120315/srep00312/extra/lerchl.pdf

Mein erster kritischer Kommentar (unter der Studie) befasste sich mit den für die Einordnung der Ergebnisse zentral wichtigen Werten des Stresshormons Corticosteron. Diese sind in Abb. 4 zu finden. Angeblich, so die Autoren, waren keine Unterschiede zu sehen, was bedeutet, dass die Effekte *nicht* auf Stress zurückzuführen sind. Mit dieser Abbildung stimmte aber etwas nicht, so meine Überzeugung: viel zu geringe Streuungen! Aus Erfahrung weiß ich, dass die Streuungen mindestens 10-mal so hoch sein müssten. Dass die beiden Werte dann auch noch fast identisch waren, kam noch dazu.

Daraufhin kontaktieret ich den korrespondierenden Autor, Hugh Taylor, und bat um die Originaldaten. Es ist laut den Richtlinien der Zeitschrift Pflicht der Autoren, interessierten Lesern diese Daten zur Verfügung zu stellen, was Taylor aber zunächst nicht tat, sondern mich stattdessen einlud, mit ihm zu kooperieren ;-) . Erst nach Monaten erhielt ich von der Redaktion diese Daten, auch sie musste mehrfach nachhaken.

Diese Daten habe ich dann schnell analysiert und fand meinen Verdacht bestätigt. *Die in der Publikation gezeigten Daten stimmten nicht*. Vielmehr waren die Werte der exponierten Mäuse um *mindestens das Doppelte* so hoch wie die der Kontrollen. Mindestens deshalb, weil 4 (!) der 6 Werte der exponierten Tiere „Out of Range“ waren, also oberhalb der Standardkurve des Assays. Mit anderen Worten: die exponierten Tiere waren gestresst bis zum Geht-Nicht-Mehr! Und zwar nicht durch die Exposition, sondern durch das Hantieren durch die Menschen etc., was alles mit den Kontrolltieren nicht geschah.

Also alles klar, die Studie war damit im Eimer. Und ich nahm an, dass sie zurückgezogen wird, damit sich der Unsinn nicht in den Köpfen festsetzt. Doch nein - Überraschung:-) : Die Autoren erklärten, als sie mit den Daten konfrontiert wurden, dass diese Daten von einer anderen Studie stammten (wer’s glaubt …), die richtigen seien anbei. Wieder habe ich die Daten berechnet, diesmal waren die Werte der exponierten Tiere statistisch signifikant *niedriger* als die der Kontrollen. Surprise surprise:wink: . Was die Autoren aus dieser Datei allerdings für die Veröffentlichung machten, war abenteuerlich. Sie verwechselten x- und y-Werte bzw. Hormon- und %-Werte. Wenn man sich vorstellt, dass die da eigentlich Patientinnen behandeln und dazu Hormone messen :no:

Entweder wussten die (oder die Person, die das verbockt hat) nicht, wie ein Assay funktioniert, oder sie taten so …

Jedenfalls kam dann noch eine *vierte Version*, die dann vom Journal als „Corrigendum“ veröffentlicht wurde. Wieder andere Werte, angeblich von tiefgefroren gelagerten Resten der Blutproben.:clap:

OK, Schlussfolgerungen. Die Studie hätte längst zurückgezogen werden müssen, da beisst die Maus keinen Faden ab. Dass das nicht geschah und die Autoren der Zeitschrift auf der Nase herumtanzen, ist ein Skandal. Vermutlich möchte Scientific Reports - als Sprößlig der Nature Publishing Group - nicht durch den Kakao gezogen werden.

Ach ja, Dariusz: da Du offenbar Deutsch lesen kannst: bring die Story doch mal in Deiner Kolumne. Und eine Entschuldigung wäre auch nicht schlecht, oder?

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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

Tags:
Studie, Mäuse, Stress, Chronik, Leszczynski, ADHS, Schwangere, Handystrahlung, Nature Publishing Group, Taylor


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