Dosimetrie bei Mobilfunkstudien: trügerische Genauigkeit (Technik)
Der Link von "KlaKla" hat mich noch einmal auf die Doktorarbeit von Christoph Augner (Psychische Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf den Menschen) zurück geführt. Die ihr zugrunde liegende Arbeit wurde hier im Forum u.a. unter den Synonymen Hacker- und Porsche-Studie diskutiert. Eine bemerkenswerte Kontroverse (PDF) über diese Arbeit gab es auch mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Aber darum geht es mir jetzt nicht, mir geht es um die Dosimetrie, die auf der IZgMF-Website erst kürzlich als Achillesferse von Mobilfunkstudien gesehen wurde.
Die Doktorarbeit von Herrn Augner, inzwischen Stv. Leiter des Forschungsinstituts für Grund- und Grenzfragen der Medizin und Biotechnologie am Landeskrankenhaus Salzburg, liefert für diese Sichtweise ein neues Beispiel.
Ab Seite 61 benennt Augner in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2009 die Exposition der Probanden, die seinerzeit in Salzburg an der Studie teilnahmen. Diese Exposition wurde kategorisiert in hoch, mittel und niedrig.
Drei Jahre später publizierte Dr. Augner in einer Fachzeitschrift unter dem Titel: Effects of Exposure to GSM Mobile Phone Base Station Signals on Salivary Cortisol, Alpha-Amylase, and Immunoglobulin A. Auch dort werden im Abstract Expositionswerte genannt: “low” = 5.2 μW/m²; “high” = 2126.8 μW/m²; “medium” = 153.6 μW/m².
Stutzig wurde ich, weil die HF-Messwerte (µW/m²) mit Nachkommastellen genannt wurden, was bei jedem Nachrichtentechniker die Alarmglocken läutet, weil bei den HF-Feldmessungen grundsätzlich innewohnenden beträchtlichen Ungenauigkeiten die Nennung von Nachkommastellen völlig sinnlos ist.
Dann ist mir aufgefallen, dass die Expositionswerte aus der Doktorarbeit (Tabellen ab Seite 61) sich nicht 1:1, sondern mit Abweichungen, in der späteren Publikation wiederfinden. Nichts Gravierendes, aber irgendwie unnötig und daher irritierend.
Nächster Schritt war: Wie wurden die Werte überhaupt gemessen? Die Doktorarbeit gibt auf Seite 61 Auskunft: "Die Auswertung der Befeldung wurde aufgrund der Dosimeter-Aufzeichungen vorgenommen (2 Messwerte pro Sekunde)." Auf Seite 59 wird etwas über die Messung selbst gesagt: "Unmittelbar nach Beginn der ersten Messphase wurde per dynamischer Dosimeter-Messung die Exposition im Stirn-, Gesicht- und Brustbereich erfasst. Danach wurde das Messgerät sofort wieder unmittelbar neben dem sitzenden Probanden in dessen Kopfhöhe befestigt." Es erscheint mir sehr zweifelhaft, dass ein Funkwellen-Dosimeter hier anscheinend wie ein Strahlen-Dosimeter zur "Körperabtastung" verwendet wurde. Mehr dazu gleich.
Das Dosimeter war ein ESM-140 der Firma Maschek. Über die Messgenauigkeit des Geräts heißt es im Datenblatt: "±4 dB Dosimeter am Oberarm getragen (Mittenfrequenz des jeweiligen Bandes bei 3,5 V/m)". Bei Freifeldmessungen ist die Genauigkeit mit ±2 dB spezifiziert. Wenn ich den von Augner geschilderten Messaufbau richtig verstehe, wurde das ESM-140 in einer nicht spezifizierten Betriebsart verwendet. Denn angeblich ist das Gerät so konstruiert, dass es beim Tragen am Oberarm den menschlichen Körper als Antenne verwendet. Die Messwerte stimmen dann aber nur dann halbwegs, wenn das Gerät auch tatsächlich am Oberarm getragen wird. Dies war im beschriebenen Messaufbau aber nicht der Fall, dort war weder Freifeld noch Oberarm gewährleistet.
Um es kurz zu machen: Das ESM-140 ist ein Feldstärkemessgerät, bei dem 4 dB Messtoleranz 58 Prozent Messfehler bedeuten. Das ist wichtig zu beachten, denn wer jetzt einfach 4 dB Messfehler auf die Werte der Leistungsflussdichte ansetzt, liegt falsch. Für den von Augner genannten "high"-Messwert von 2126.8 μW/m² ergibt sich somit beispielsweise folgende Fehlerabschätzung:
2127 μW/m² rück-umgerechnet auf Feldstärke ergibt 0,895 V/m. Mit ±4 dB Toleranzbereich resultiert daraus ein Streubereich der Messwerte von 0,564 V/m bis 1,418 V/m. Diese beiden Werte ergeben wieder umgerechnet auf Leistungsflussdichte 844 μW/m² und 5337 μW/m².
Fazit: Die Genauigkeit des Expositionswerts 2126.8 μW/m² aus der Fachpublikation ist trügerisch. Der tatsächliche Wert kann vielmehr irgendwo im Wertebereich von 844 μW/m² bis 5337 μW/m² gelegen haben. Und selbst dies ist noch optimistisch gesehen, denn die Messtoleranz des Dosimeters ist vom Hersteller bei der relativ hohen Feldstärke 3,5 V/m spezifiziert worden, wahrscheinlich weil dort der Messfehler am kleinsten ist. Es ist davon auszugehen, dass im Bereich von 0,89 V/m der Messfehler größer als ±4 dB ist, inwieweit der oben näher beschriebene nicht-spezifizierte Gebrauch des ESM-140 weitere Fehleranteile bewirkt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Im Nachhinein ist mir noch der Einwand eingefallen, dass es sich bei den hier diskutierten Expositionswerten ja nicht um "echte" Messwerte handelt, sondern um berechnete Mittelwerte der Exposition. Dennoch meine ich, dass die Kritik berechtigt ist, denn die Berechnung stützt sich letztlich eben doch wieder auf Messwerte. Und diese, so sieht es eben aus, wurden keiner Fehlerbetrachtung unterzogen, es galt, was das Dosimeter an Messwerten ausspuckte. Dass ich damit nicht ganz neben der Spur liege zeigt die Angabe des höchsten während der Expositionsphase "high" gemessenen Werts, den die Doktorarbeit auf 11921,94 μW/m² beziffert .
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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H. Lamarr,
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