Dr. Ratto zu Calcium & EMF: Kein Grund, endlos zu forschen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 30.08.2011, 12:05 (vor 4836 Tagen) @ Kuddel

In dem von RDW verlinkten Dokument von der SSK (Seite 30/31) gibt es schonmal einen Hinweis:

Aus den o.g. Fakten läßt sich zusammenfassen, daß mit modernen Analysetechniken die älteren signifikanten Ergebnisse zum Kalziumgleichgewicht nicht bestätigt, aber da ein anderer Endpunkt untersucht wurde, auch nicht widerlegt wurden...Weitere Forschung ist daher gerechtfertigt.

Also ist die Sache mit der 16Hz Pulsung (welche nah an der 17,6Hz Tetra Pulsung liegt) wohl doch nicht nicht ganz aus der Welt ?

Was soll ich als Nachrichtentechniker schon mehr dazu sagen können, als meine belanglose Meinung. Deshalb habe ich die Wissenschaftlerin Dr. Giulia Ratto (ein Pseudonym) um ein persönliches Fazit gebeten, wie es denn nach den beiden gegensätzlichen Stellungnahmen der SSK zu "Kalzium & EMF" auf diesem molekularen Schlachtfeld nun ausschaut. Die Antwort kam postwendend. Und dafür möchte ich Dr. Ratto, die meine Anfragen stets freiwillig und unentgeltlich beantwortet obwohl es ihr an Arbeit nicht mangelt, einmal öffentlich danken!


Hallo Herr Schall,

Zum Thema Kalzium gibt es nichts neues. In den 90-er Jahren hielt man den Einfluss hochfrequenter Felder auf das Kalzium in Zellen aufgrund der Arbeiten von Bawin & Adey und Blackman für gesichert, da es aber andere Gruppen nicht reproduzieren konnten kamen Zweifel auf. 2001 hieß es dann bei der SSK, der Einfluss auf das Kalzium-Gleichgewicht kann weder bestätigt noch widerlegt werden. Eine zeitlang wurde noch weiter geforscht (s. http://www.izgmf.de/Aktionen/Meldungen/Archiv_10/Kalzium/kalzium.html "Ausgewählte wichtige Arbeiten zu Kalzium & EMF"), es kam dabei aber nichts Relevantes raus. Das genannte Fazit ist weiterhin gültig: "Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Studien, dass es überwiegend keine oder geringe Effekte gab, in einigen Fällen ein EMF-Einfluss aber nicht vollständig ausgeschlossen werden konnte. Die beobachteten Effekte waren klein, selten und zum Teil nicht reproduzierbar, deswegen konnte es sich um Artefakte oder falsch-positive Ergebnisse handeln. In keinem Fall deuteten die Ergebnisse auf mögliche gravierende gesundheitlich relevante Effekte hin."

Da sich Wissenschaftlicher ungern mit wenig Erfolg versprechender Artefakten-Forschung beschäftigen, haben nur wenige dieses Thema weiter verfolgt. Die aktuellste Arbeit ist die von O´Connor, 2010 (http://tinyurl.com/38pl2jb). Sein Fazit: "Our data indicate that 900 MHz GSM fields do not affect either basal Ca2+ homeostasis or provoked Ca2+ signals. Even at the highest field strengths applied, which exceed typical phone exposure levels, we did not observe any changes in cellular Ca2+ signals."

Lesenswert ist auch die Einleitung und die Diskussion, denn es wird auf ältere Arbeiten, fehlgeschlagene Wiederholungsversuche und mögliche Fehlerquellen eingegangen: "How then can one explain the published results showing that RF fields influence cellular Ca^2+ signalling? The majority of these results can be traced to one or two groups who used a very specific biological preparation; whole or excised chick brain. There has been much criticism of this work. In particular, in the physiological state of the cells located deep within tissues, which would have poor oxygen perfusion, energy metabolism and homeostasis. It is plausible that the compromised physiology of such tissue samples is critical for observation of RF-induced effects on Ca^2+. If this were the case, it would explain why improvements in the methodology and tissue conditions led to failed replications of this work."

Auch diese Arbeit kann die von Bawin und Blackmann nicht widerlegen. Sie zeigt nur, dass mit modernen Methoden in einem relevanten Untersuchungssystem (Zellkultur von Mensch und Ratte) bis 2 W/kg bei GSM nichts gefunden wurde. Die 16 Hz Pulsung von TETRA wurde hier gar nicht untersucht. Das haben sich bereits 2005 Green et al. vorgenommen und ebenfalls nichts gefunden. Zusammen mit den mehrfach gescheiterten Versuchen, generell die Möglichkeit einer Demodulation von niederfrequent modulierten HF-Feldern in Zellen oder Geweben zu zeigen (s. auch DMF, Sheppard et al. 2008, Kowalczuk et al. 2010 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20607742) spricht vieles gegen einen möglichen Einfluss von HF-Feldern auf das Kalzium-Gleichgewicht.

Kalzium ist ein wichtiger Botenstoff, vor allem im Herz und Gehirn. Deswegen ist auch die o.g. Arbeit von Green besonders wichtig, da Zellen vom Herz und Gehirn (von Ratten) untersucht wurden. Es gibt einige Studien zum gepulsten TETRA-Signal, die sich zwar nicht mit Kalzium, aber mit Herz, Kreislauf, Gehirn, Kognition usw. beschäftigen und an Testpersonen durchgeführt wurden. Sie wurden vom BfS zusammengefasst (http://www.bfs.de/de/bfs/forschung/stellungnahmen/tetra.html) und finden überwiegend keinen Effekt. Gäbe es gesundheitlich relevante Änderungen im Kalzium-Gleichgewicht, müsste dies hier aber zu Effekten geführt haben. Mit einem ernsthaft gestörten Kalzium-Gleichgewicht kann das Herz und das Gehirn nicht normal funktionieren. Minimale Schwankungen im physiologischen Bereich sind dagegen gesundheitlich unerheblich.

Der Beweis, dass ein bestimmter Effekt nicht existiert, kann wissenschaftlich bekanntlich nicht geführt werden. Deswegen wird die Diskussion um einen möglichen Einfluss auf das Kalzium nie aufhören. Das ist aber noch lange kein Grund endlos in diese Richtung weiter zu forschen.

Dr. G. Ratto

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
TETRA, SSK, Artefakte, Calcium, Kalzium, Blackman, O’Connor


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