Manipulation erkennen (I) (Allgemein)

Gast, Mittwoch, 26.03.2008, 14:53 (vor 6076 Tagen)

Werner Suhr

Manipulation

Der Begriff 'Manipulation' wird vom Lateinischen 'manus - die Hand' hergeleitet und begegnet uns im mittelalterlichen Latein mit einem Beleg aus dem 13. Jahrhundert. In einer Legende vom heiligen Genulf wird berichtet, daß ein Ehemann seine blinde Frau zu ihm geführt habe und Genulf sie sehend machte. Für das Führen der Blinden an der Hand wird das Wort 'manipulare' verwendet. Das müßte doch eigentlich für uns ein tröstlicher Hinweis sein, daß wir trotz Manipulation sehend werden können.

Der ursprüngliche Sinngehalt steckt noch in manchen Definitionen der Manipulation, wie zum Beispiel in einer 'kunstgerechten Handhabung', 'Anwendung der nötigen Handgriffe'; so steht es im Konversationslexikon von Brockhaus aus dem Jahre 1929. Später erklärte man Manipulation kritischer, aber auch nicht sehr viel präziser. In Meyers Enzyklopädischem Lexikon von 1977 findet man dazu: 'Beeinflussung des Menschen als Einzelwesen oder als Gruppe zum Zwecke einer systematischen, zielgerichteten Lenkung und Prägung des Bewußtseins, der Denkgewohnheiten, der Gefühlslagen. Manipulation verhindert selbständige Entscheidung, gefährdet die personale und soziale Autonomie des Betroffenen, begünstigt emotional-affektuelles, statt rationales Sichentscheiden, baut jedoch gleichzeitig neue, gewünschte soziale Leitwerte und Beurteilungsmaßstäbe auf, auf denen auf gelernte einfache 'Signale' hin reagiert wird.

Diese etwas verworrene Definition lösen wir auf und ergänzen durch weitere 'essentials', nämlich durch erforderliche Bestimmungen.

1. Manipulation ist eine Beeinflussungsform, aber nicht jede. Es kommt darauf an, sie richtig einzugrenzen. Nach allgemeiner Auffassung deckt sie nur einen kleinen Teil des Gesamtumfanges der Beeinflussung ab. Mit anderen Worten: Erziehung, Therapie, Information, Predigt, sogar Propaganda und Werbung sind zwar auch Beeinflussung, in der Regel aber keine Manipulation. Sie können es sein, wenn sie die nachfolgenden Bestimmungen erkennen lassen. Andererseits geht Manipulation auch über die Beeinflussung hinaus in das Gebiet der Einwirkung.

Bei den Manipulationen der direkten Einwirkungen dreht es sich um Hirnreizungen oder sonstige chirurische Eingriffe, um Drogenwirkungen oder rituelle Deformationen, um Eingriffe in Auslese und genetische Vererbung zum Zwecke der Veränderung von Natur und Verhalten des Menschen. Diese werden von mir ebensowenig in die Erörterung einbezogen wie die Manipulation, die, als 'Manipulator' bezeichnet, eine handähnliche technische Verrichtung ist, um z. B. hinter einer Strahlenschutzwand mit radioaktiven Substanzen hantieren zu können. Wir beschäftigen uns jetzt also ausschließlich mit der psychischen Manipulation, aber auch in dieser Einengung ist es noch ein riesiges Gebiet, bei dem wir keine Vollständigkeit erreichen können.

2. Manipulation unterscheidet sich von vielen Beeinflussungen anderer Art durch ihre 'Intensität'. Es handelt sich bei ihr nicht um eine Nebenbei-Beeinflussung, sondern um eine nachhaltige und auch nachdrückliche Beeinflussung, die tief in den von Manipulation Betroffenen eindringen soll - auch wenn das nicht auffallen darf. An dieser Stelle hier liegt die Begründung für die unterschiedlichen Methoden der Manipulation gegenüber anderen Formen von Beeinflussung.

3. Manipulateure können nicht offen und ehrlich ihre Zwecke ankündigen, sonst müßten sie mit Überzeugungskraft ganz andere Wege der Beeeinflussung beschreiten. Der Manipulateur benutzt vielmehr die Unkenntnis des Betroffenen oder täuscht über seine wahren Absichten hinweg, um - bildlich gesprochen - im Trüben fischen zu können. Manipulation stützt sich auf eine andere Motivierung als die übrigen Formen von Beeinflussung. Es kommt bei ihr auf die verdeckte, verheimlichte, indirekte Zielsetzung an, die den Betroffenen hintergeht, die ihm etwas vormacht, um ihn umso sicherer in die Finger zu bekommen. Manipulation täuscht den Betroffenen, streut ihm Sand in die Augen. Manipulation ist also auch Irreführung.

4. Manipulation ist zielgerichtete Beeinflussung zum Vorteil des Manipulateurs. Manipulation kann gelegentlich auch im Interesse des Manipulierten liegen; entscheidend ist aber der Eigennutz des Manipulateurs. Der Betroffene wird durch Manipulation geprellt; es zeigen sich für ihn nur Nachteile oder zumindest keine primären Vorteile, denn sonst könnte auf Manipulation verzichtet werden und stattdessen eine offene Erklärung der Vorzüge treten. Vom Thema her liegen die Manipulationsziele auf wirtschaftlichen, politischen, weltanschaulichen, wissenschaftlichen, privaten - eigentlich auf allen Gebieten. Genauso, wie jeder von Manipulation betroffen werden kann, gerät er auch unversehens in Gefahr, selbst andere manipulieren zu wollen. Das Thema 'Manipulation' kann auch der kritischen Selbsterkenntnis dienen.

5. Mit Manipulation zwingt man jemanden zu einem bestimmten Verhalten, indem man eine Situation schafft, durch die der Betroffene nicht anders kann, als genau wie vorgesehen zu handeln. Man muß also bestimmte psychische Mechanismen einschalten, die die Freiheit des Handelns einzuschränken in der Lage sind. Diese Mechanismen sind theoretisch verankert in einer Reihe von psychologischen Gesetzmäßigkeiten. Daraus ergeben sich fünf Hauptformen von psychischer Manipulation: a) Geistige Manipulation; durch Eingriffe in den Denkablauf; b) Bedürfnismanipulation; Bedürfnisse, die weit über den Bedarf hinausgehen, eignen sich zur manipulierten Überwältigung, wenn ihre Unabdingbarkeit zwingend nahegebracht wird; c) Gefühlsmanipulation; verführte Gefühle dienen zur Überdeckung vernünftiger Gedanken; d) Gleichschaltungsmanipulation; e) Symbolmanipulation. Dem Manipulateur müssen die Zusammenhänge nicht bekannt sein. Es genügt, wenn er die Techniken beherrscht. Im Gegensatz dazu muß sie der Entdecker von Manipulationsmißbrauch zumindest teilweise kennen, zumal die Beseitigung von Manipulation ohnehin schwerer ist als ihr Einsatz.

Fortsetzung unter (II)

Tags:
Psychologie, Zensur, Manipulation, Hintergrund, Schopenhauer, Gleichschaltungsmanipulation, Beeinflussung, Eigennutz


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