Die Tricks der Pharma-Industrie (Allgemein)

MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:24 (vor 7557 Tagen) @ MK

- Fortsetzung

Natürlich fälscht ein ehrbarer Professor nicht. Stattdessen greift er zu einer Strategie, die harmloser nicht scheinen könnte: Veröffentlicht werden nur Daten der Patienten, die bis zum Ende der Studie mitgeschluckt haben. Nur Eingeweihte sehen den Verzerr-Effekt der Methode. Denn wer das Medikament verweigert, aussteigt, weil ihm die Nebenwirkungen zu viel werden oder weil es nicht anschlägt, fällt natürlich aus der Studie raus. In Deutschland nimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Unterlagen für klinische Studien mit Arzneimitteln entgegen. Kommen den Beamten Zweifel, können sie Berichte und Akten anfordern. Das tun sie etwa, wenn Daten "zu schön aussehen", sagt Frieder Hackenberger, der Leiter des Fachgebiets Klinische Prüfung. Dabei fänden sich gelegentlich "durchaus Diskrepanzen" zu den Behauptungen der Hersteller "bis hin zum bewussten Manipulieren".

Beliebt ist auch das Unterschlagen von Befunden. SmithKline Beecham, Vorläuferfirma des Pharmariesen GlaxoSmithKline, hatte sein Antidepressionsmittel Seroxat an Kindern und Jugendlichen getestet. Die Resultate enttäuschten. In der Studie Nummer 377 schnitt das Präparat sogar schlechter ab als das Placebo. Das hauseigene Central Medical Affairs Team empfahl daraufhin, "die Verbreitung dieser Daten wirkungsvoll zu steuern, um jegliche negative kommerzielle Wirkung zu minimieren". Dass jemand dieses Dokument vor kurzem an die BBC schickte, war Pech und zwang GlaxoSmithKline zu der Verlautbarung, das Papier habe "sachlich falsche Schlüsse" enthalten. Einige Spezialisten kannten die Ergebnisse, waren jedoch "durch Schweigeklauseln am Reden gehindert", wie die beteiligte Forscherin Jane Garland im Nachhinein klagte.

Von drei Studien publizierte GlaxoSmithKline nur eine einzige in einer Fachzeitschrift. Bei der waren die Hauptwirkungen von Seroxat zwar auch nicht besser als jene des Placebos. Doch die gesponserten Forscher konzentrierten sich nach bewährter Methode auf Nebenbefunde und resümierten, das Mittel sei bei Heranwachsenden "wirksam". Sie nahmen nicht weiter tragisch, dass fünf Behandelte "emotionale Labilität" zeigten, womit in erster Linie Selbstmordgedanken umschrieben wurden. In der Placebo-Gruppe gab es nur einen solchen Fall.

2003 warnte die britische Arzneimittelbehörde nach Analyse der Daten davor, Minderjährigen Seroxat oder eines von fünf vergleichbaren Medikamenten zu verordnen: wegen erhöhter Selbstmordgefahr und zweifelhaftem Nutzen. Andere Länder schlossen sich an. "Nach Diskussionen" mit der kanadischen Gesundheitsbehörde tat GlaxoSmithKline selbst öffentlich kund, das Mittel habe "keine größere Wirksamkeit bei Depressionen als Placebo gezeigt" und sollte wegen "eines möglicherweise erhöhten Risikos suizidbezogener Nebenwirkungen" bei Minderjährigen "nicht verwendet werden".

(c) DIE ZEIT 22.04.2004 Nr.18

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