FunkySchool mit Mehlwurm/Kresse-Versuch in Südtirol gelandet (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 12.03.2015, 13:34 (vor 3539 Tagen)

Es klingt wieder einmal alles sehr seriös und altruistisch: Die Verbraucherzentrale Südtirol stattet zwei Schulen der Region mit Experimetiersets aus, die zeigen sollen, wie sich elektromagnetische Felder auf eine Population von Mehlwürmern auswirken. Alles scheint in Butter: Schulrektoren nicken beifällig, Eltern sind begeistert.

Kurzfassung des Sachstands
Rein zufällig erfuhr der Regionalsender Rai Südtirol von dem Projekt und entsandte ein Aufnahmeteam in beide Schulen. Das Ergebnis wurde am 20. Januar 2015 um 21:00 Uhr in der Sendung Pluspunkt ausgestrahlt. Momentan ist der 5-Minuten-Clip noch in der Mediathek des Anbieters zu sehen, ersatzweise bietet den Clip auch der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk an.

Die Botschaft der Jungforscher in dem Clip ist eindeutig: Am Ende des 7-wöchigen Experiments lebten (in der Waldorf-Schule) noch 50 Tiere der Vergleichsgruppe aber nur 4 der befeldeten Gruppe, etliche Tiere seien unterentwickelt gestorben, die befeldeten entwickelten sich langsamer, sie waren aggressiver, fraßen mehr und manche wurden zu Kannibalen.

Eine Lehrerin meinte, dieses Ergebnis habe "einiges bewegt" und der Initiator der Aktion, Dr. Francesco Imbesi freut sich, dass die Jungforscher sich eine "eigene Meinung" über die Risiken elektromagnetischer Wellen bilden konnten. Der TV-Bericht von Rai Südtirol gibt sich besorgt, Zweifel an der Aussagekraft des Experiments werden nicht laut, im Gegenteil, die Stimme aus dem Off meint gegen Ende des Clips, jüngere wissenschaftliche Studien gingen (ergebnisbezogen) in die gleiche Richtung, wie die Beobachtungen der Kinder.

So weit der Sachstand.

Kritik an der Verbraucherzentrale
Aus Sicht des IZgMF leistet die Verbraucherzentrale Südtirol den Schulen einen Bärendienst: Das Experiment schadet mehr als es nutzt, denn Kinder und Jugendliche sind nun einmal in einer Streitfrage, die noch nicht einmal von der Wissenschaft klar beantwortet werden kann, kein Ersatz für ernsthafte Forschung. So fehlt z.B. bei den gezeigten Versuchen jegliche Verblindung. Die Jungforscher durften Ihre unbewussten Erwartungen also voll in die Versuchsergebnisse einbringen. Allein deshalb schon sind die Resultate objektiv wertlos, von anderen Unzulänglichkeiten einmal abgesehen wie unterschiedlicher Umgang mit den beiden Testgruppen oder unterschiedliche Standorte der Behälter.

Hinzu kommt, der Initiator der Experimente, Dr. Francesco Imbesi, ist Medienberichten zufolge ein überzeugter Mobilfunkgegner:

Pustertaler Zeitung: Francesco Imbesi, Strahlenschutzexperte der Verbraucherzentrale Südtirol, ist absolut überzeugt von dem, was er tut: Sein Handy hat er längst entsorgt, seine Mails sind mit der Anmerkung versehen: „Gesendet über einen kabelgebundenen Festnetzanschluss zur Minimierung von Elektrosmog.“
Neue Südtiroler Tageszeitung: Francesco Imbesi hat kein Handy – verständlich: Der Mann in der Verbraucherzentrale in Bozen ist von den negativen Auswirkungen des Elektrosmogs und der Handystrahlung überzeugt. „Von unabhängigen Wissenschaftlern wurde mittlerweile bewiesen, dass die Handystrahlung gravierende Auswirkungen auf den Organismus hat“, betont er.

Von einem ergebnisoffenen Initiator kann keine Rede sein, Herr Imbesi hat zweifelsfrei die Absicht, die Risikowahrnehmung von Kindern und Jugendlichen gegenüber Elektrosmog zu schärfen. Wären die Mittel und Wege dazu qualifiziert und pädagogisch unbedenklich, gäbe es dagegen nichts einzuwenden. Doch Imbesi instumentalisiert mit dem pädagogisch fragwürdigen Experiment seine Klientel, zieht damit Elektrosmog-Hysteriker heran, die im festen Glauben, die Schadwirkungen von Funkwellen selbst erforscht zu haben, später womöglich die Lücken in den Reihen überzeugter Mobilfunkgegner schließen werden. Eine ganze Reihe von Branchen, allen voran die "Baubiologie", wartet bereits auf diese neue Generation von Mobilfunkgegnern, um sie zu beraten, ihnen Messgeräte, "Strahlenharmonisierer" und unnötige Abschirmungen zu verkaufen oder eine ausgebrochene "Elektrosensibilität" mit dubiosen Methoden zu behandeln. Wer diesen Aspekt von Imbesis Schulexperimenten nicht sehen will, verschließt sich der Realität.

Kompetente Institutionen und Experten wachen verantwortungsbewusst darüber, dass durch Elektrosmog niemand zu Schaden kommt. Infantile Forschung, die angeblich das Gegenteil belegt, ist den Kindern und Jugendlichen nicht vorzuwerfen, wohl aber denen, die sie dazu anstiften und auch gleich den fertig ausgearbeiteten jedoch fachlich ebenfalls infatilen Versuchsaufbau mitliefern. Die Verbraucherzentrale Südtirol ist gut beraten, diese Experimente an und mit Kindern entweder schleunigst aufzugeben oder wenigstens qualitativ auf ein vertretbares Niveau zu bringen. Eile ist geboten, denn Herr Imbesi plant bereits den nächsten Angriff auf Schulen in Südtirol, diesmal mit einem vergleichbar unzulänglichen Kresse-Experiment.

Wie es zu diesem Projekt kam
Das Unheil, das Dr. Imbesi in die südtiroler Schulen bringt, hat er aus Deutschland importiert, es ist die FunkySchool-Box, ein fertig zusammengestelltes Mehlwurm/Kresse-Experimentierset, mit dem der in Nordrhein-Westfalen ansässige Anti-Mobilfunk-Verein Limes schon seit längerem versucht, die Angst vor Funkwellen in Kinderköpfen fest zu verankern. Das von dem Verein getragene Projekt FunkySchool ist unter dubiosen Umständen mit Hilfe eines Baubiologen zustandegekommen, der, als dies belegt wurde, sich dieses Erwerbszweigs fluchtartig entledigte und seither nur noch als Lernexperte auftritt. Die "Lehrhefte", mit denen das Projekt in Schulen drängt, angeblich um dort Aufklärung zu den Risiken von Funkfelden zu betreiben, erwiesen sich bei einer Prüfung durch das IZgMF als indiskutabel.

Organisierte Mobilfunkgegner bemühen sich seit langem, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Mit bescheidenem Erfolg. Möglicherweise ist dies der Grund dafür, dass sie ganz ungeniert auch Kinder und Jugendliche für Ihre Zwecke einspannen und die meist alarmierenden Ergebnisse der infantilen Forschung anpreisen, als wären sie auf wissenschaftlich ernst zu nehmende Weise zustande gekommen. Nach Einschätzung des IZgMF ist es unverantwortlich, Kinder Experimente mit einer Technik machen zu lassen, für deren angebliche Schadwirkung unterhalb bestehender Grenzwerte es (noch) kein anerkanntes Wirkmodell gibt. Niemand kann den Jungforschern verbindlich erklären, warum ihre Würmer unter schwachem Funkeinfluss angeblich anders reagieren. Und mit Mutmaßungen von Lehrern, Baubiologen, Verbraucherzentralen oder selbsternannten Experten ist den Kindern sicher nicht geholfen, damit werden lediglich Ängste geschürt, die später im Erwachsenenalter unangenehme Folgen haben können.

Bemerkenswert ist, dass Diagnose-Funk den Schulversuch in Südtirol so dokumentiert, als wäre das Experiment von der Verbraucherzentrale Südtirol ersonnen worden. Dabei hat der Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein auch bei FunkySchool die Finger mit drin und muss daher sehr gut wissen, was in der Region Bozen läuft. Indem er das Experiment als unabhängigen Versuch deklariert, erhofft sich der Verein vermutlich eine Aufwertung gegenüber dem Eingeständnis, dass lediglich das kommerziell angehauchte Projekt FunkySchool einen Abnehmer für die FunkySchool-Box in Südtirol gefunden hat.

Hintergrund
Begleitdokumentation zum Mehlwurm-Experiment des Dr. Imbesi
Funky School: Zweifelhaftes Unterrichtsmaterial für Schüler
Funky School - oder: Wie die Angst in die Schule kommt
Kresse-Experimente - alles was das IZgMF-Forum dazu weiß

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Baubiologie, Filz, Kinder, Verantwortungslos, Diagnose-Funk, Täuschung, Waldorfschule, Jugend forscht, FunkySchool, Verbraucherzentrale Südtirol


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