BGH-Urteil launisch kommentiert, Teil I (Allgemein)

KlaKla, Donnerstag, 19.02.2004, 00:05 (vor 7653 Tagen)

Wirklich gut und lesenswert ist der Kommentar zum BGH-Urteil, verfasst von Martin Reisbeck im Satireblatt "Der Bruchköbler". Lassen Sie sich vom Titel BGH watscht Kläger aus Bruchköbel ab nicht irritieren, der Kommentar ist mobilfunkkritisch. Und er sagt der Evangelischen Kirche, die Ihren Turm in Bruchköbel an die Mobilfunker vermietet hat, "die schwerste Erschütterung voraus, die sie je erlebt hat. Und die wird von innen, aus ihr selbst kommen."
Da das Original des Kommentars bei einigen Browsern Leseprobleme bereitet, nachfolgend der Text im Wortlaut (Klaus, ich war mal so frei dein Posting da ein wenig abzuändern...):

BGH watscht Kläger aus Bruchköbel ab
(mr) Von Martin Reisbeck. Bruchköbel, 14. Februar 2004. Juristen sind für ihre Monstersätze bekannt. In der Regel gelingt es auch nur Juristen, die Sätze aus ihrem Fachbereich verständlich darzulegen. Da ich keinen Cent zu verschenken habe, schalte ich jetzt das eigene Hirn mal einen Gang höher und interpretiere ein interessantes Urteil des BGH von gestern frisch von der Leber weg. Ich denke auch mal laut über seine Bedeutung nach. Natürlich ohne dabei die Würde des hohen Gerichtes verletzen zu wollen.

Am Freitag dem 13. standen die Vertreter der evangelischen Jakobuskirche Bruchköbel und der Betreiber der Mobilfunksender im Kirchturm der Jakobuskirche als Beklagte vor dem BGH. In dieser Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofes können wir nachlesen, wie die Kläger, mutige Privatleute aus Bruchköbel, vom Gericht gezeigt bekamen, was Gesundheitsvorsorge wert ist, wenn wirtschaftliche Interessen einer Boombranche dagegen stehen. Zitat aus der Pressestelle des BGH: "(…)Die Kläger müssen die von der Anlage ausgehenden elektromagnetischen Felder nach §906 Abs. 1 Satz 1 dulden. Es besteht Duldungspflicht, wenn die von der Anlage ausgehenden Immissionen zu keiner oder nur zu einer unwesentlichen Beeinträchtigung führen. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, hängt von dem Empfinden eines verständigen Menschen ab (…).” Der letzte Satz geht zwar mit einem "Und” weiter, aber ich halte an dieser Stelle kurz inne um zu wiederholen, was bis hier eigentlich gesagt wurde.

Das Gericht hat festgestellt, daß die Kläger verpflichtet sind, Sendeanlagen im Kirchturm zu dulden, wenn es durch die hochfrequent gepulste Mikrowellenstrahlung zu keiner oder nur zu einer geringen Beeinträchtigung kommt. Und es stellt fest. wovon es abhängt, ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist oder nicht. Nämlich vom Empfinden eines verständigen Menschen. Um es vorweg zu nehmen: das Gericht hat in keinem Punkt seiner Begründung angedeutet, daß es glaubt, die Kläger seien unverständige Menschen. Die Urteilsbegründung geht nach dem "Und” weiter: "und hängt davon ab, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist.”

Eine als wesentliche empfundene Beeinträchtigung kann vom Gericht als unwesentlich festgestellt werden, wenn die Würdigung anderer Belange entsprechend ausfällt. Im Bezug auf die eventuelle Beeinträchtigung der Gesundheit großer Bevölkerungsgruppen ist das verdammt mutig vom BGH. Es geht weiter im Text: "Dabei steht dem Tatrichter ein auf die konkreten Umstände des Einzelfalls bezogener Beurteilungsspielraum zu.” Kläger und Beklagte haben nichts anderes erwartet, als das Ausschöpfen dieses Spielraumes. Deshalb haben sie sich vor dieser Institution eingefunden. Mit dieser kleinen Koketterie holt der BGH sozusagen Luft um zum richtigen Schlag gegen die Kläger auszuholen.

Ich kürze mal ab, sonst wird es unspannend. Der BGH bestreitet also keinesfalls eine Beeinträchtigung der Kläger durch die Beklagten, sondern unterscheidet, wie es sich im Prolog bereits abgezeichnet hat, zwischen wesentlicher und unwesentlicher Beeinträchtigung. Das Gericht tut dies, obwohl es im Prolog festgestellt hat, daß ein verständiger Mensch sehr wohl in der Lage ist, zu beurteilen, was eine wesentliche Beeinträchtigung darstellt.

Fortsetzung im nächsten Posting

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Meine Meinungsäußerung

Tags:
Bruchköbel

BGH-Urteil launisch kommentiert, Teil II

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 19.02.2004, 14:55 (vor 7653 Tagen) @ KlaKla

Der BGH begründet das Vorliegen einer unwesentlichen Beeinträchtigung mit der Einhaltung der nach Bundes Immisions Schutzverordnung (BImSchV) festgelegten Grenzwerte. Er stellt weiter fest, daß diese Grenzwerte solange als ausreichend zu erachten sind, bis die Kritiker dieser Grenzwerte eine wissenschaftliche Studie vorlegen können, die dem Gericht schlüssig beweisen kann, daß die Grenzwerte wegen der Wirkungen im athermischen Bereich falsch angesetzt sind. Pikanterweise schließt das Gericht eine schädliche, athermische Wirkung gar nicht aus. Es nimmt nur den fehlenden schlüssigen Beweis der Wirksamkeit athermischer Einflüsse der Strahlung als Indiz dafür, daß der Grenzwert der BImSchV in Ordnung ist. Der BGH stellt somit direkt fest, daß nicht etwa der Emittent die Unschädlichkeit seiner Technik lückenlos nachzuweisen hat, sondern der sich betroffen fühlende Bürger die Schädlichkeit. Das Vorsorgeprinzip, das ansonsten grundsätzlich beim Inverkehrbringen von chemisch- physikalischen Vorrichtungen Prinzip ist, wird in diesem Fall schlicht umgekehrt. Wir werden vom BGH verdonnert, mitsamt unserer Kinder als Versuchsobjekte an einem Feldversuch teilzunehmen. Und die evangelische Kirche spielt mit. Auf einem Terrain, auf dem sich die BGH-Richter in ihrer Urteilsfähigkeit durch die von der Politik festgelegten Grenzwerte noch ausreichend gedeckt sehen und somit großzügig über die Gesundheit des Volkes hinweg urteilen können, hat die Versicherungsbranche vor den unkalkulierbaren Risiken bereits weitgehend den Schwanz eingekniffen. So war am 27.01.2004 in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: "Von Handys und Mobilfunk-Sendemasten geht elektromagnetische Strahlung aus. Bis heute wird von vielen befürchtet, dass diese Strahlen Menschen krank machen könnten. Einen wissenschaftlichen Beleg für diese These gibt es allerdings nicht. Falls eine Gesundheitsgefährdung nachgewiesen werden sollte, könnte es zu Schadensersatz-Forderungen gegen Unternehmen kommen, die mit der Verbreitung solcher Strahlenfelder zu tun haben. (…) Allerdings schließen immer mehr Versicherungen derartige Risiken aus ihren Policen aus. Das berichteten auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung übereinstimmend Vertreter der beiden größten Versicherungsmakler der Welt, Marsh und Aon. Georg Bräuchle, Geschäftsführer bei Marsh Deutschland, teilte mit, in den bereits beendeten Vertragsverhandlungen für das laufende Jahr seien diese Risiken "erstmals auf breiter Front" ausgeschlossen worden.(…) So schließe auch der HDI, der zu den größten Branchenvertretern gehört, mittlerweile bei Mobilfunk-Firmen die Elektrosmog-Risiken aus. Vom HDI gab es dazu keine Stellungnahme. (…)”

Angesichts der astronomischen Erlöse aus der Versteigerung der UTMS-Lizenzen und einer florierenden Branche fragt sich ja schon keiner mehr, warum der Staat mit seinen Richtern so ein profundes Interesse daran hat, die Mobilfunkbranche vor dem Vorsorgeprinzip zu schützen. Angesichts einer gut funktionierenden Lobby, die ihre Agenten über die gesamte Republik verstreut und besonders in Berlin zu einer schlagfertigen Truppe formiert hat wundert sich auch keiner mehr, warum kein Politiker das Thema nutzen möchte, um sich als vertrauenswürdige Alternative zu empfehlen. Wie die Gehirnwäsche der Betreiber aussieht, kann man sich anschaulich auf dieser Webseite anschauen. Unter der dort gestellten Frage: "Warum stellt der Mobilfunk einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar” wird in diesen angeblich so lausigen Zeiten jedem Betrachter schnell klar, wer hier in Deutschland das Sagen hat.

Klar ist auch, wer in diesem Monopoly der kraftlose Erfüllungsgehilfe ist. Vorsorge ist schon lange nicht mehr angesagt und gehört zu einer Moralvorstellung von gestern. Risikofreude ist die zentrale Eigenschaft der Gewinner von heute. Was mich da allerdings ganz hellhörig macht und empfindlich stört ist, daß da gestern vor dem BGH eine Kirche neben einem dieser Gewinner auf der Anklagebank saß und mangels Beweisen noch einmal davongekommen ist. Daß Moral in Politik und Wirtschaft mittlerweile den Bach heruntergegangen ist, kann ich als Kind eines progressiv agressiven Kapitalismus noch verstehen. Daß die evangelische Kirche allerdings das Prinzip der Vorsorge für eine Hand voll Euro in den Orkus kippt, und damit auch ihren hohen Anspruch an die Moral, mit dem sie seit Luther gehandelt hat, das verblüfft sicher nicht nur mich. Hier weiterhin nur von einem kleinen "Fehler” zu sprechen heißt, die für gläubige Christen geradezu ungeheure Dimension des Geschehens vollkommen zu unterschätzen. Ich sage der EKD die schwerste Erschütterung voraus, die sie je erlebt hat. Und die wird von innen, aus ihr selbst kommen.

In Bruchköbel selbst geht derweil der Protest auch nach dem BGH-Urteil weiter: :-P

Veranstaltungshinweis

GESUNDHEITSRISIKO MOBILFUNK!?
Die INITATIVE MOBILFUNKSENDERFREIE WOHNGEBIETE BRUCHKÖBEL e.V. lädt zu einer Informationsveranstaltung für Donnerstag, 4. März 2004, 20.00 Uhr, ins Bürgerhaus Bruchköbel ein.

Zum Thema "GESUNDHEITSRISIKO MOBILFUNK!?" referieren:
Dr. Ing. Martin H. Virnich
- Baubiologe und Umweltmesstechniker, Mönchengladbach
Dr. Ulrich Warnke
- Akademischer Oberrat an der Universität Saarbrücken
Prof. Dr. med. H.-J. Wilhelm
- HNO-Arzt aus Frankfurt
Die Experten stehen für Fragen der Teilnehmer zur Mobilfunktechnik und den von ihnen ausgehenden gesundheitlichen Risiken zur Verfügung.
Die Bürgerinitiative, die nicht gegen Mobilfunk ist, strebt an, die besonderen Risiken in Wohngebieten durch eine Gesamtbauleitplanung zu minimieren. Für alle Anbieter sollen die Standorte für Basisstationen optimal auf die Topographie Bruchköbels und die funktechnischen Erfordernisse abgestimmt werden.

INITIATIVE MOBILFUNKSENDERFREIE WOHNGEBIETE Bruchköbel e.V.
Bruchköbel Thomas Hirt, Vors.
Tel. 06181/97 62 01

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

BGH-Urteil launisch kommentiert, Teil II

Miriam Schulkowsky, Donnerstag, 19.02.2004, 15:35 (vor 7652 Tagen) @ H. Lamarr

Ja klar. Ist doch alles nur eine Sache der sog. "Berater". Die sitzen den Politikern, und auch den Kirchenleuten wie hier zu lesen, in den Ohren und reden natürlich nur in eine Richtung, nämlich ihre Geschäftsrichtung. Wie sollen da die Politiker noch den Abstand haben, sich überhaupt in anderem Sinne zu informieren. Sie sind schlicht Opfer dieser "Beschwatzungsindustrie". Das Beispiel von Herrn Schily geht doch genau in dieselbe Richtung. Der hat sich auch nur beschwatzen lassen, von den "Beratern", wie gut doch eine "Bürger-Überwachung" per SMS wäre. Und der hat das gleich geglaubt.
Alles furchtbar schwache Leistungen unserer Politiker. Aber das ist ja nichts Neues.
Ich hab's hier nur mal schreiben wollen.

Miriam

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